Starke Marken:
Wie Ferrero seine Kultmarke Nutella jung hält
Als der Konditor Pietro Ferrero in den 1940er Jahren die Rezeptur für eine Haselnusscreme entwickelte, war ihm sicher nicht klar, dass sich daraus später eine absolute Markenikone entwickeln würde. Heute steht Nutella besser da als je zuvor.
Zucker, Palmöl, Haselnüsse, Magermilchpulver, fettarmer Kakao und die Emulgatoren Lecitin und Vanillin sind die sieben Zutaten, aus denen Ferrero mit leichten Veränderungen bei den Anteilen der Inhaltsstoffe seit den 60er Jahren seine ikonische Nuss-Nugat-Creme herstellt. Erfunden wurde das Produkt in den 1940er Jahren vom Konditor Pietro Ferrero in Alba, einer Kleinstadt im italienischen Piemont. Weil in Kriegszeiten der Kakao rar war, sah er sich für seine Paste nach einem Ersatzprodukt um und wählte als Hauptzutat Haselnüsse, die im Piemont in rauen Mengen verfügbar sind, inzwischen aber aus der Türkei zugekauft werden. Zu Beginn hieß Nutella noch „Giandujot“, später wurde daraus die streichfähigere „Supercrema“ bis in den 60er Jahren Pietros Sohn Michele sowohl die Rezeptur als auch den Namen nochmals überarbeitete. Aus „Supercrema“ wurde exakt am 20. April 1964 „Nutella“ – eine Markenikone war geboren.
Die folgenden Jahrzehnte waren von Expansion und Diversifizierung geprägt. Zunächst eroberte Nutella nach Italien auch den Rest von Europa, in den 80er Jahren dann neben Nordamerika auch Asien, Australien und Südamerika. Heute wird Nutella global in über 160 Ländern angeboten, etwa 400 Millionen Gläser verkauft der Konzern pro Jahr. Dafür produzieren die etwa 47000 Ferrero-Beschäftigten in weltweit 37 Produktionsstätten jährlich über 300000 Tonnen der beliebten Creme, von der jeder Mensch in Deutschland statistisch gesehen pro Jahr etwa ein Kilogramm verdrückt.
Gesund ist anders
In diesem Jahr feiert die Marke Nutella also ihr 60-jähriges Jubiläum. Wie die obigen Zahlen eindrucksvoll beweisen, steht die Creme heute vermutlich besser da als je zuvor – und das trotz höherem Gesundheitsbewusstsein und dem aus ökologischer und gesundheitlicher Sicht sehr problematischen Inhaltsstoff Palmöl, der Hauptzutat nach dem Zucker. Von diesem wiederum stecken 56 Gramm in 100 Gramm des Brotaufstrichs, der exakt 539 Kalorien pro 100 Gramm Creme enthält. Das entspricht ziemlich genau der Kalorienmenge einer Tafel Schokolade. Viel Zucker, jede Menge Palmöl, massenweise Kalorien und mit dem Magermilchpulver eine Ingredienz tierischen Ursprungs: Eigentlich, sollte man meinen, ist Nutella alles andere als ein zeitgemäßes Produkt. Und trotzdem behauptet sich die Marke gegen eine vermeintlich gesündere Konkurrenz und wirkt obendrein auch nach 60 Jahren alles andere als eingestaubt. Wie gelingt Ferrero dieses Kunststück?
Diversifikation als Jungbrunnen
Weiter oben haben wir bereits die Diversifikation erwähnt, die Ferrero für Nutella seit vielen Jahren vorantreibt. Ein erstes Beispiel dafür war und ist das 2008 gelaunchte Nutella & Go, eine Packung mit mehreren Brotsticks und Nutella zum Dippen. Ein weit größerer Schritt war dann der 2017 gelaunchte Riegel Nutella B-ready, mit dem der Brotaufstrich Einzug in die Gebäckregale hielt. Nutella für unterwegs quasi, immer dabei, praktisch, lecker und, anders als Nutella & Go, eine absolut saubere Angelegenheit. In den letzten Jahren hat Ferrero die Diversifizierung mit großem Elan weiter vorangetrieben. Inzwischen gibt es Nutella Muffins in Backstationen, Nutella Biscuits mit „cremigem Nutellaherz“, tiefgekühlte Nutella Croissants zum Aufbacken und, ganz neu, endlich auch Nutella Eis.
Jedes dieser Produkte ist ein weiterer Baustein in der Strategie, die Marke Nutella frisch, relevant und im Gespräch zu halten. Gleiches gilt für die regelmäßig vorgestellten limitierten Editionen und saisonalen Produkte, wie etwa die derzeit im Nutella-Onlineshop beworbene „Friends Edition“: Dabei handelt es sich um ein riesiges Nutella-Glas mit 21 kleinen Nutella-Gläsern mit jeweils 30 Gramm Creme zum Verschenken, die jeweils mit Botschaften und Namen individualisiert werden können. In das leere Riesenglas, das Design des Nutella-Glases stammt übrigens von Lelo Cremonesi, lassen sich dann beispielsweise ganz stilecht jede Menge Nutella Biscuits aufbewahren. Lokale Produkte hat Nutella übrigens ebenfalls im Portfolio. Ein Beispiel dafür die die Sorte „Nutella Peanut“, die seit letztem Spätsommer in den USA vertrieben wird.
Echte Nutella-Cafés gibt es seit 2017 übrigens auch, und zwar unter anderem in der Michigan Avenue Chicago. Dort können Fans des Brotaufstrichs Nutella-Baguettes, Nutella Pancakes, Nutella Croissants, Nutella Eis, Nutella mit Waffeln, frische Beeren mit Nutella und vieles mehr genießen. Ein weiteres Café befindet sich in Dubai im Terminal 3 des Flughafens, ein Café in New York wurde 2022 nach vier Jahren wieder geschlossen. In Deutschland gab es im August 2019 in der Hamburger Hafencity auch mal ein Nutella-Café – allerdings nur für zehn Tage, quasi als Testballon. Für einige Zeit gab es auch Nutella-Bars in einigen Filialen des italienischen Lebensmittelhändlers Eataly, der in Deutschland in der Münchner Schrannenhalle vertreten ist. Diese Kooperation gibt es allerdings nicht mehr.
Problemzutat Palmöl
Die Zutaten von Nutella sind bekannt, die Rezeptur und Zubereitung ist dagegen ein streng gehütetes Geheimnis. Das umstrittene Palmöl als wichtiger Bestandteil von Nutella steht in der Kritik, doch wirklich ersetzbar scheint es nicht zu sein, ohne dabei den Geschmack oder die Konsistenz des Produkts zu verändern. Folglich ist Ferrero auch nicht gewillt, die Zutat durch eine andere zu ersetzen. Stattdessen geht Ferrero einen anderen Weg und verwendet seit einiger Zeit nur noch “nachhaltig zertifiziertes RSPO-Palmöl“, für das nach eigenen Angaben keine Abholzung vorgenommen wird. Der „Aktionsplan 2021“ des Herstellers hält fest, man setze sich für Menschenrechte und soziale Praktiken, für „Umweltschutz und Nachhaltigkeit, für Transparenz der Zulieferer und für die Einhaltung grundlegender Anforderungen bei Überprüfung der erforderlichen Sorgfalt“ ein. Die RSPO-Zertifizierung (Roundtable on Sustainable Palm Oil) wiederum basiert auf sieben Prinzipien, darunter das Bekenntnis der Palmölbauern zu „ethischer Verantwortung und Transparenz“, zur „verantwortungsvollen Berücksichtigung der Angestellten und betroffener Personen und Gemeinden“ und zum „Schutz, Erhalt und Förderung von Ökosystemen und Umwelt“. Darüber hinaus ist Ferrero Mitglied der Palm Oil Innovation Group, einer Initiative von Erzeugern, Herstellern und NGOs, die die Palmölindustrie „positiv verändern“ will. Und schließlich überwacht Ferrero die gesamte Lieferkette in Echtzeit, um sicherzustellen, dass sie frei von Abholzung ist. Das geschieht unter anderem mithilfe des Starling-Satellitensystems von Airbus Defence and Space.
NGOs wie Rettet den Regenwald, Greenpeace oder Uniterre sehen das 2004 in der Schweiz gegründete Palmöl-Label RSPO allerdings kritisch und sprachen 2022 in einer Petition von „Greenwashing“ und einer „katastrophalen Bilanz“. Mit RSPO-Siegel zertifizierte Palmöl-Firmen zerstörten nach wie vor Regenwälder, vernichten die Artenvielfalt, verdrängen die Bevölkerung von ihrem Land und verletzten die Menschenrechte, so einige der Vorwürfe. Der RSPO sei nach 19 Jahren kein glaubwürdiges Instrument, „um Unternehmen in der Palmölindustrie für Umwelt-, Sozial- und Arbeitsverstöße zur Rechenschaft zu ziehen. Das bedeutet, dass der RSPO seine eigenen Grundsätze und Kriterien gegenüber seinen Mitgliedern nicht einhält.“
Marketing und Werbung
Entscheidend für den dauerhaften Erfolg einer alt eingesessenen Marke wie Nutella ist und bleibt allerdings das Marketing – und hier zeigt sich Ferrero seit eh und je modern und erfinderisch. So gab es ab 2005 eine denkwürdige Zusammenarbeit mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, in der unter anderem Michael Ballack und Lukas Podolski als Markenbotschafter zum Einsatz kamen. Die Kombination aus Fußball und einer überaus beliebten Marke erwies sich als überaus effektiv und strahlt bis heute nach. Heute setzt Ferrero bei seiner Marke Nutella zum Beispiel auf seine Kampagne #NutellaStories, in der Fans der Marke aufgefordert werden, ihre Erlebnisse und Geschichten mit Nutella zu teilen. Die zahlreichen nutzergenierten Inhalte fördern die Bindung zur Marke ebenso wie die diversen Storytelling-Formate, in den Familienmomente mit gemeinsamem Frühstück, Kindheitserinnerungen oder saisonale Geschichten im Mittelpunkt stehen.
Nostalgische Bilder, die Nutella als zeitloses Produkt positionieren, Social-Media-Aktionen, in denen die Konsumenten aufgefordert werden, eigene Nutella-Kreationen zu schaffen und Kampagnen, die Nutella als Teil von Festlichkeiten oder besonderen Momenten im Leben von Menschen darstellen, sind ebenfalls Teil der Marketingstrategie. Und schließlich setzt die Marke auf aktuelle kulturelle Trends, und das nicht nur in Bezug auf die nachhaltige Palmöl-Produktion oder Initiativen zur Verbesserung der Recyclingquote ihrer Verpackungen. Mit dem Nutella Pancake Day beispielsweise ist ein Aktionstag, der die Freude am gemeinsamen Frühstück und am Genuss von Pfannkuchen mit Nutella feiert. Hier werden unter dem Hashtag #NutellaPancakeDay Jahr für Jahr Pfannkuchenrezepte auf Social Media geteilt, Promotions in Cafès, Restaurants oder Supermärkten sowie Gewinnspiele veranstaltet und damit ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt, auf das Nutella seit Ewigkeiten setzt. In diesem Zusammenhang setzt Nutella natürlich auch auf Influencer-Kooperationen auf Plattformen wie Instagram, TikTok oder Youtube, um sich ihr ewig jugendliches Image erfolgreich zu bewahren.