Influencer Marketing:
Markenführung: "Alles ist politisch. Neutralität ist out."
Norman Röhlig hat als einer der ersten erkannt, dass Influencer Marketing ein wachsendes Segment ist. Heute ticken die Creators jedoch komplett anders als in der Anfangsphase. Was das für Marken bedeutet.
Bereits 2015 machte sich Agenturchef Norman Röhlig Gedanken, wie man bei Meinungsführern im Social Web landen kann. 2011 hatte er mit RSA Media eine Agentur für Influencer-, Creator- und Talent-Marketing gegründet. Seitdem hat sich die Welt des Influencer-Marketings jedoch völlig gewandelt. Was bewegt die Talente und Content Creators von heute und was müssen Marken wissen, wenn sie mit ihnen zusammenarbeiten wollen? Ein Update.
Herr Röhlig, Sie waren einer der Ersten in Deutschland, der 2011 eine Agentur gründete, die sich auf Influencer Marketing fokussierte. Würden Sie das heute wieder machen?
Absolut, ohne jeden Zweifel. Ich wäre sogar noch entschlossener. Vor gut 15 Jahren, als alles begann, kannten wir noch jeden zweiten Blogger persönlich. Der Begriff Influencer:in keimte gerade erst auf und wir hatten nur eine vage Vorstellung davon, welche gigantische Industrie auf uns zurollen würde. Bis heute bin ich stolz, dass wir unserem Bauchgefühl gefolgt sind, anstatt auf den verstaubten Rat der damaligen Branchenexpert:innen zu hören. Wir kämpften quasi an zwei Fronten gleichzeitig: Zum einen behaupteten wir uns gegen die festgefahrene Haltung in der Agenturlandschaft und zum anderen mussten wir die Marken selbst überzeugen, die zwar irgendwie Interesse zeigten, aber zu jener Zeit keinen Cent zu viel investieren wollten.
Heute, in einer Zeit, in der keine Kampagne mehr ohne Influencer:innen auskommt, gilt mein Grinsen vor allem jenen, die einst zynisch meinten: „Influencer who?”
Worin besteht Ihrer Meinung nach heute der größte Unterschied zu damals?
Kurz gesagt: Das Internet ist kein putziger Ort mehr. Alles ist politisch. Neutralität ist out! Als wir vor fast 15 Jahren begannen, Kampagnen durch digitale Meinungsführer:innen zu unterstützen, war das noch etwas ganz anderes. Klassische, gar konservative Parameter und eindimensionale Strategien haben die Auswahl von Talents lange Zeit geprägt. Heutzutage hingegen wird selbst höfliche Neutralität zu moralisch gewichtigen Themen wie Diskriminierung, Geschlechtergleichheit, Inklusion, Umwelt oder Krieg von der Community als unverzeihlich angesehen.
Unternehmen, die ihren Follower:innen nahe sein möchten, müssen Stellung beziehen. Dabei ist es von großer Bedeutung, mit polarisierenden Meinungen und sensiblen Inhalten kompetent und sorgfältig umzugehen, um mögliche Fehltritte zu vermeiden.
Was bedeutet das konkret für Unternehmen im Alltagsgeschäft?
Unternehmen müssen zeigen, dass sie zu den wichtigsten Themen eine klare Meinung haben und sich schnell auf neue Trends und Diskussionen einstellen. Zeitgeist und Aktualität ist unabdingbar: Eigene sowie externe Netzwerke, Foren und Social-Media-Kanäle sollten daher stetig beobachtet werden, um zu wissen, was gerade angesagt ist und welche Meinungen dominieren, um sich potenziell als Marke zu positionieren.
Hierbei gilt: Timing ist alles. Wer zu früh rumbrüllt oder zu spät um die Ecke kommt, wird von der Community meist hart bestraft. Wer Nutzer:innen hingegen das Gefühl gibt, im richtigen Zeitpunkt gemeinsam anzutreten, stärkt nicht nur nachhaltig das Image der Marke, sondern fördert aufrichtig und authentisch die Beziehung zum Endverbraucher.
Laufen Marken dabei nicht Gefahr, unglaubwürdig auf Social Media zu erscheinen oder gar Green- oder Bluewashing zu betreiben?
Selbstverständlich ist es für Unternehmen eine Herausforderung, auf Social Media authentisch und glaubwürdig aufzutreten, ohne dabei Green- oder Bluewashing zu betreiben. Doch anstatt dieser Herausforderung aus dem Weg zu gehen, sollten sie ihr mutig gegenübertreten und auf eine konsistente und ehrliche Markenpräsenz auf allen Kanälen setzen. Smarte Unternehmen sind sich bewusst, dass sie Themen wie Vielfalt, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit nicht einfach als Marketing-KPIs verwenden können, sondern dass sie diese Werte aktiv leben und entsprechend nach außen kommunizieren müssen.
Nur so können sie eine langfristige Bindung der Community an ihre Marke generieren und Widersprüche zwischen Selbstdarstellung und tatsächlichem Handeln vermeiden. Eine einheitliche und glaubwürdige Darstellung in allen Bereichen der Unternehmensorganisation, von der Personalabteilung über die Produkte bis hin zur Werbung, PR und Social Media, ist deshalb unerlässlich. Denn eins ist sicher: Wer seine Versprechen nicht einhält, wird von den aufmerksamen Augen der Community schnell enttarnt und muss mit harten Konsequenzen rechnen.
Abgesehen von den Inhalten auf Social Media – ticken auch die Influencer:innen von heute anders als früher?
Auf jeden Fall! Die Influencer-Szene hat sich in den vergangenen Jahren fundamental gewandelt. Die einstigen, zum Teil noch als schrullig empfundenen Tech-Youtuber, Beauty-Tutorial-Queens oder Reise-Blogger:innen haben sich mittlerweile zu professionellen Content Creators mit einem tiefgreifenden Verständnis für eine zielgerichtete und zielgruppenorientierte Ansprache weiterentwickelt.
Im Vergleich zu Kampagnen von damals sind sie keine „nette“ Ergänzung mehr, sondern der essenzielle kommunikative Treiber in nahezu jedem Markenkonzept. Wir sprechen gar vom „lebendigsten” Teil einer Strategie. Um die unterschiedlichen Kategorien von digitalen Meinungsmacher:innen zu unterscheiden, hat die Branche mittlerweile eigene Definitionen entwickelt: Während Influencer:innen in erster Linie Reichweite nutzen, um Produkte oder Dienstleistungen zu promoten, gelten Content Creators als Macher:innen einzigartiger und origineller Inhalte, die Marken vorrangig im Abverkauf voranbringen sollen.
Als Talents verstehen sich dagegen Personen, die aufgrund besonderer Fähigkeiten in bestimmten Bereichen – wie beispielsweise Musik oder Schauspielerei – in der Lage sind, andere von ihrer Expertise oder ihrem Wert in der Öffentlichkeit zu überzeugen. Jede Kategorie hat ihre eigenen Vorzüge. Es verwundert daher nicht, dass Marketing-Expert:innen oft nach Personen Ausschau halten, die alle Kriterien erfüllen.
Welcher Mehrwert ergibt sich daraus für Marken, die mit digitalen Meinungsmacher:innen zusammenarbeiten wollen?
Jede Marke hat mittlerweile eigene Social Media-Kanäle, die kontinuierlich mit hochqualitativen Inhalten gefüttert werden müssen, um nicht in der Versenkung zu verschwinden. Wer will schon dieselben langweiligen Beiträge immer und immer wieder sehen? Täglich ansprechende und wohl resonierende Posts, Stories und Kommentare zu produzieren, ist jedoch eine enorme Herausforderung.
Um das Interesse der Follower:innen zu wecken und Engagement zu fördern, ist es heute unerlässlich, mit einem Netzwerk aus Content Creators zusammenzuarbeiten und gemeinsam innovative, relevante und unterhaltsame Inhalte zu kreieren. Im Influencer-Marketing geht es längst nicht mehr nur um die Conversion-Rate, sondern vielmehr darum, mit Hilfe der Creators mehr Interaktionen und die sogenannte Conversation-Rate, also sprichwörtlich die Konversationen rund um die Brand, zu erhöhen. Genau darin steckt heute der Mehrwert für Marken.
Auf was kommt es denn beim Aufbau eines Creators-Netzwerks an und was sollte vermieden werden?
Erfolgreiche Kollaborationen basieren auf einer strukturierten Herangehensweise. Allen voran zählt dabei vor allem der richtige Mix des Creators-Casts: Sind ihre Werte, Skills, Charakterzüge und Inhalte passend für die Marke und können sich die Talente gegenseitig ergänzen? Zudem raten wir unseren Kund:innen, den Content Creators die Marke mit all ihren Stärken und Schwächen näherzubringen. Sie sollten ehrlich und aufrichtig hinter der Marke positionieren und umgekehrt. Nur so können echte Dialoge entstehen, die den Follower:innen das Gefühl geben, dass sie Teil von etwas Besonderem sind, das dem Gemeinwohl dient oder für sie selbst von Vorteil ist.
Influencer:innen dabei kreative Freiheit in der Entwicklung und Produktion der Inhalte zu gewähren, ist entscheidend. Nur so können Beiträge individuell und interessant gestaltet werden. Auf keinen Fall sollten Creators dagegen moderner und näher am Zeitgeist sein, als die Marke selbst. Wenn das passiert, wirken die Inhalte schnell hohl und zu gewollt.
Können Sie das genauer erklären?
Der wahllose und zum Teil sehr unerfahrene Einsatz von Influencer-Marketing hat die wohlgepriese Glaubwürdigkeit zerstört. Unzählige Social-Media-Beiträge ohne jeglichen Zusammenhang zwischen Influencer:innen und der beworbenen Marke, dem Produkt bzw. der Dienstleistung haben bei den Follower:innen eine „Glaubenskrise” ausgelöst. Immer mehr Abonnent:innen sind sich darüber bewusst, dass jeder dritte Beitrag mittlerweile bezahlt ist und Star-Creators mit ihren Inhalten Millionen verdienen.
In einer Zeit, in der Glaubwürdigkeit also die heißeste Ware ist, stellt sich die Frage: Wo findet man sie noch? Antwort: Dort, wo Influencer:innen zum Teil der Marken-DNA oder des Angebots wird. Kluge Influencer:innen wissen ganz genau, dass sie nicht mehr jedes beliebige Produkt bewerben können, sondern nur solche, die zu ihren bisher bewiesenen Kompetenzen und Werten passen. Der Gipfel dieser Entwicklung sind sogenannte Marken-Ambassador-Programme. Hierbei entwickeln und vertreiben einzelne Social-Media-Expert:innen oder Creator-Unternehmen eigene Produkte in Kooperation mit einer Marke. Auf diese Weise werden sie nicht mehr nur als Werbegesichter ohne soziale Verantwortung betrachtet, sondern als Botschafter*innen oder gar Chefs ihres eigenen Unternehmens.
Um Influencer:innen passgenau auszuwählen, werden heute vor allem datengestützte Tools herangezogen. Welche Relevanz hat also künftig noch die Beratungsleistung von Agenturen?
Nicht nur für den Auswahlprozess, sondern auch für die Performance-Bewertung der Influencer:innen sind moderne Management-Tools und in naher Zukunft insbesondere KI-gestützte Dienste, nicht mehr wegzudenken. Um sicherzustellen, dass Influencerinnen nicht nur Industriestandards übertreffen, sondern auch die spezifischen Ziele der Kund:innen erfüllen, ist es mittlerweile unerlässlich, die Erfahrung eines Marketeers durch fundierte Daten zu prüfen. Die Expertise eines erfahrenen, potenziell kleineren Teams, wird jedoch auch in Zukunft notwendig sein, um zu einer informierten Empfehlung überzugehen.
Wenngleich digitale Lösungen in kürzester Zeit unzählige Daten erkennen und analysieren können, sind sie (noch) nicht imstande, persönliche Beziehungen aufzubauen. Für die braucht es Empathie und Fingerspitzengefühl – Fähigkeiten, die auch KI nur schwierig replizieren kann, die aber für eine gewinnbringende Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Influencer:innen und Content Creators zwingend nötig sind.
Was würden Sie Unternehmen und Marken abschließend noch raten?
Influencer-, Creator- und Talent-Marketing sind längst keine Geheimwaffen mehr, sondern feste Bestandteile vieler Unternehmen in ihren Marketingplänen. Doch trotz des Erfolgs, scheinen einige Unternehmen immer noch zu zögern, ihr Budget entsprechend anzupassen. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass das ROI-Potenzial von Creator-Marketing mittlerweile sogar höher ausfallen kann, als das von TV-Werbung – wie der Global Annual Marketing Report von Nielson 2022 belegt.
Als Rat an Unternehmen kann ich daher nur betonen: Nutzen Sie das enorme Potenzial von Social Media. Berücksichtigen Sie es nicht nur stärker in Ihrer übergreifenden Marketingbudgetplanung, sondern setzen Sie nachhaltig darauf. Die Zeiten des Ausprobierens sind vorbei, mittlerweile stehen jedem Investment klare Ergebnisse gegenüber. Einer budgetäre Umverteilung ist daher nicht nur eine Empfehlung, sondern die logische Konsequenz in der Marketingplanung. Ergo, nicht nur mit Zeitgeist kommunizieren, sondern auch investieren.
Über Norman Röhlig: Der 42-jährige Wahlberliner gründete 2011 die Agentur rsa Media, eine Kreativagentur für Premium Influencer-, Creator- und Talent-Marketing. Dabei verantworten Röhlig und sein Team das Influencer-Marketing von Marken internationaler Konzerne wie Netflix, Diesel, Fossil, Cosnova, Frosta, uw. 2020 erweiterte Röhlig seinen Geschäftsbereich durch den Start von rsa Mgmt, ein Premium Talent Management, dass namhafte Künstler und Creator wie den beliebten Schauspieler Jannik Schümann (@jannik.schuemann), Instagram Star und urban Gardener Patrick Vernuccio (@thefrenchiegardener) oder den Olympia Eiskunstläufer Joti Polizoakis (@jotipolizoakis) vertritt. Zudem ist Röhlig Mit-Gründer der veganen Pflegeserie rools und Geschäftsführer der rsa Holding, die Anteile an weiteren Berliner Start-ups hält.