Wirkstoff TV:
"Das große Umschalten findet nicht statt": So reagieren Privatsender auf herbe Kritik
Die Gattungsinitiative der Sender, Wirkstoff TV, bezieht nach der geballten Kritik Stellung: TV heute bedeute "Multiscreen-Realität"....
Müssen private Sender "Das große Umschalten" fürchten, wie es das "Handelsblatt" vorige Woche formuliert hat? Laufen RTL und Konsorten die Zuschauer weg und wandern ab ins Internet sowie zu den digitalen Sendern der Öffentlich-Rechtlichen – wie Mediakenner Thomas Koch warnt? Nichts dergleichen, kontert nun Wirkstoff TV gegenüber W&V Online. Die Gattungsinitiative der Sender beziehungsweise ihrer Vermarkter bezieht nach der geballten Kritik an Qualität und Quotenperformance privater Programme Stellung und weist darauf hin, dass im Jahr 2013 das Fernsehen und sein Konsument viel differenzierter betrachtet werden müssten. "Der non-lineare Anteil der TV-/Bewegtbildnutzung via Streaming wird derzeit noch nicht von der AGF gemessen – fließt heute also noch nicht in die gemessene TV-Nutzung mit ein, geht ihr ergo verloren. Das große Umschalten findet also nicht statt, und selbst beim kleinen Umschalten findet sich der Zuschauer wieder beim Fernsehen ein, eben im Internet", betont man bei Wirkstoff TV auf Anfrage.
Zur Begründung dieser Entwicklung heißt es, in der "Multiscreen-Realität" habe sich der TV-Zuschauer zum Bewegtbild-Konsumenten entwickelt. Er sei dabei der Gewinner der Digitalisierung – "mit totaler Wahlfreiheit". Er sehe auch im Internet professionelle und hochwertige Inhalte, also genau jenen Content, den er aus dem klassischen TV kenne. "Und der mit Abstand größte Anbieter von professionellem Bewegtbild im Internet ist das Fernsehen mit seinen Catch-Up-Angeboten, Online-Videotheken, Mediathelen und Videoportalen", ordnet Wirkstoff TV den massiven Schwenk des TV-Publikums hin zum Internet ein, den das "Handelsblatt" ausgemacht haben will und von Medienjournalist Stefan Niggemeier als Koordinaten-Schweinerei entlarvt worden ist.
Bewusst sind sich die TV-Macher, dass es durchaus gewisse Verschiebungen geben wird – weg vom linearen hin zum On-Demand-Fernsehen. Bis 2015 dürfte der nicht klassisch genutzte Anteil auf rund zehn Prozent steigen, schätzt das Team um Wirkstoff-TV-Lenker Jan Kühl. Die Initiative hält fest: "Von der weltweit rasant steigenden audiovisuellen Mediennutzung auf allen Plattformen profitiert vor allem das Fernsehen. Digital erweitert das bisherige Geschäftsmodell, die digitalen Verbreitungswege und Endgeräte ergänzen das traditionelle TV", heißt es mit Blick auf Thomas Koch, der moniert, dass die großen Privatsender derzeit lieber in digitale Projekte als ins originäre Programm investieren würden.
Dass das Fernsehen und speziell das kommerzielle TV wankt, glaubt bei Wirkstoff TV freilich keiner. Untermauert wird der Optimismus dort vom Blick in die USA, wo TV "derzeit die am meisten unterschätzte Erfolgsstory der Medienbranche" sei. Medienkonzerne wie Time Warner und News Corp. hätten für das abgelaufene Weihnachtsquartal Rekordergebnisse gemeldet. Wachstumstreiber bei beiden sei das extrem gut laufende TV- beziehungsweise Bewegtbild-Geschäft gewesen, heißt es. Hoffnungen steckt die Gattung in neue Entwicklungen: TV werde derzeit rasant und zunehmend ergänzt durch den Second Screen, heißt es. Social-TV-Angebote würden die Zuschauer stärker binden und aktivieren – was diverse Studien durchaus bereits belegen. Wirkstoff TV resümiert: "Das ‚alte‘ Lagerfeuer flackert jetzt nicht nur im Wohnzimmer, sondern zusätzlich durch Social TV dezentral auf vielen Smartphones und Tablets. Das Fernsehen, das durch seine ja heute schon mehrheitlich gemeinschaftliche Nutzung das soziale Medium schlechthin ist, wird also noch sozialer."
Wirkstoff TV vertritt seit einigen Monaten die diversen Formen des Fernsehens, das klassisch-lineare Programmfernsehen genauso wie das non-lineare und mobile TV via PC, Tablet oder Smartphone. Das Ganze nennt sich "Initiative für TV und Bewegtbild"; es sei egal, auf welchem Screen der professionelle Content verbreitet werde, heißt es.
Übrigens: Sowohl "Handelsblatt" als auch Thomas Koch reiben sich an der Qualität der Formate im privaten TV, werfen Sat.1, RTL und ProSieben auch Ideenlosigkeit vor. Über Qualität lässt sich immer trefflich streiten: Gerade eben hat das Grimme-Institut das lange verpönte "Dschungelcamp" von RTL geadelt und die Show "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" (Ibes) erstmals in diesem Jahr in der Kategorie Unterhaltung für den begehrten Grimme-Preis nominiert. Vermeintlicher Trash wird ergo salonfähig. Hinzu kommt: Sender wie RTL II mögen aus Sicht der Feuilletonisten mit stark Social-Media-affinen Real-Life-Formaten wie "Berlin - Tag & Nacht" patzen. Bei der Zielgruppe kommen diese Programmstrategien an und bringen den zwischenzeitlich abgesunkenen Münchner Privatsender nach Marktanteilen insgesamt wieder gut ins Rennen.