Neue Arbeitsmodelle bedeuten auch, Arbeitsaufgaben und Verantwortungsbereiche zu hinterfragen.

Zitat: Elisabeth Schlachter

Es gibt aber noch genügend Unternehmen, wo sich noch wenig oder eher langsam etwas bewegt…

Ein Unternehmen aus unserem Kundenstamm beispielsweise, welches – ich sage mal – behördenähnlichen Charakter hat, tastet sich da aktuell sehr vorsichtig ran. Dort ist der klassische Acht-Stunden-Tag im Büro noch State of the Art. Aber die Personalabteilung möchte nun das Projekt starten, eine Woche im Jahr „Arbeiten von überall“ zu ermöglichen. Es ist okay, vorsichtig zu sein. Aber man muss neue Modelle einfach auf dem Schirm haben und vor allem eines machen: einfach mal ausprobieren.

Wie findet man überhaupt ein passendes Modell?

Ein guter Start ist es, mit den Mitarbeitenden darüber zu reden und vor allem auch den Wunsch zu äußern, dass der Kontakt und das Persönliche nicht ganz auf der Strecke bleiben soll – um dann gemeinsam einen guten Kompromiss zu erarbeiten. Wir empfehlen den Führungskräften, mit denen wir arbeiten, dass sie mit ihrem Team Probezeiträume vereinbaren von circa drei bis sechs Monaten und in diesem einfach mal Vereinbarungen wie mindestens zwei Tage im Office oder Ähnliches testen, dann eine Lessons-Learned-Runde drehen und dann anpassen. Das ist ja auch Teil der Freiheit, die wir heutzutage haben: Wir können fast alles ändern, jederzeit.

Lass uns konkret über Home-Office sprechen, das spätestens seit Corona wohl am weitesten verbreitete neue Modell. Eine Studie von Indeed zeigt, dass 75 Prozent der Arbeitnehmenden Flexibilität wichtig bzw. sogar sehr wichtig ist. Und für 33 Prozent ist Präsenzpflicht im Büro ein entscheidender Faktor für Jobwechselgedanken, so eine Analyse von Leapsome und Yougov. Auf Arbeitgeberseite wird derzeit aber immer mehr die Return-to-work-Pflicht propagiert – oft aus Sorge um den Kontrollverlust oder weil die Kosten für die Räumlichkeiten gerechtfertigt werden müssen. Aber solche Diskrepanzen können doch keine effizienten Triebfedern für eine Arbeitswelt von morgen sein. Wie erlebst du das Ganze?

Genauso, wie du es gerade beschrieben hast: geteilt. Ich finde es schade, dass leider in den Medien meist die Extrema diskutiert werden. Es gibt diejenigen, die das Büro lieben. Büropräsenz hat auch eindeutige Vorteile: automatische Sozialkontakte, „geteiltes Leid, halbes Leid“, man kann nach Feierabend die Arbeit auch räumlich hinter sich lassen, man motiviert sich gegebenenfalls gegenseitig, fühlt sich weniger als „Alleinkämpfer“, weil man die anderen um sich herum arbeiten sieht. Ich merke, dass sich das vor allem für diejenigen gut anfühlt, die auch Work-Life-Separation gut finden. Oft kommt es auch auf die Tätigkeit an. Auf der anderen Seite stehen die, die mehr Ruhe im Home-Office spüren, die sich viel Zeit in der An- und Abreise zum Arbeitsplatz sparen, die die Koordination ihrer Familie besser unter einen Hut bekommen und weiteres.

Aber wie sollen Führungskräfte mit der Sorge um Kontroll- und eventuell auch „Führungs“-Verlust umgehen?

Ich glaube, die Unternehmen, die wieder zu alten Mustern zurück wollen, machen vor allem eines zu wenig: führen über Ergebnisse. Wir müssen uns klar machen, dass wir nicht mehr genau sehen, wann wie und wo jemand etwas tut – wenn jemand aber eine gute Arbeit abliefert, dann ist das okay. Ich merke, dass vor allem in Großkonzernen nun oft festgestellt wird, dass Führungskräfte eben vielfach nicht über Ergebnisse führen und sich dann fragen, was genau macht meine Mitarbeitende, mein Mitarbeitender im Home-Office. Und dann beginnt das Misstrauen. Long-Story-Short: Neue Arbeitsmodelle bedeuten auch, Arbeitsaufgaben und Verantwortungsbereiche zu hinterfragen und Aufgaben durch Boards transparent zu machen. Das stärkt das Vertrauen in beide Seiten und schafft Ergebnisse – und das ist es ja, was zählen sollte: Das Unternehmen durch gute Arbeit voranzubringen – egal von wo.

Wie erlebst du den Einsatz und den Umgang mit dem Modell der Vier-Tage-Woche – also den gleichen Arbeitsaufwand bei gleichem Gehalt in vier Tagen zu schaffen – Zukunftsmodell oder Mogelpackung?

Meiner Meinung nach ist das ein Zukunftsmodell, welches viel zu lange auf sich warten lässt. Lass uns mal die Geschichtsbücher aufschlagen. Im Grunde genommen gehen geregelte Arbeitszeiten von acht Stunden bei einer Sechs-Tage-Woche noch auf die Zeit unter Reichskanzler Otto von Bismarck zurück. Beim Pariser Kongress der Sozialistischen Internationale 1889 wurde der 1. Mai zum Feiertag der Arbeiter:innen ausgerufen und länderübergreifend danach für die Einführung des Acht-Stunden-Tages demonstriert. Über 125 Jahre später bin ich durchaus der Meinung, dass eine Revolution der Arbeitszeiten längst überfällig ist. Angesichts der Industrie, der Digitalisierung und Internationalisierung, der gesamten Lebensveränderungen der letzten 125 Jahre bedarf es auch hier Neuerungen. Zweitens belegt eine Studie aus Großbritannien auch meine persönliche Vermutung. 61 Unternehmen haben dort ein halbes Jahr die Vier-Tage-Woche getestet. 56 davon wollen dabeibleiben. Mitarbeitende sind wohl ausgeglichener, gesünder und die Produktivität hat sich sogar erhöht. Ein Unternehmen aus Bielefeld startete sogar mal im Selbstversuch die 25-Stunden-Woche. Also fünf Werktage, aber weniger Zeit pro Tag. Dadurch gab es ebenfalls keine Einbußen an Leistung, Qualität oder Zahlen. Wir leben bzw. arbeiten in einer Zeit, in der wir immer kürzere Produktionszyklen forcieren, die Zeit in immer kleinere Einheiten teilen und darin mehr leisten. Daher darf und muss man auch mehr Zeit zur Erholung, zur persönlichen Gesunderhaltung einplanen.

Wenn wir Arbeitszeiten reduzieren, müssen wir auch die Arbeitsumgebung und die Werkzeuge anpassen, um die Arbeit zu beschleunigen.

Zitat: Elisabeth Schlachter

Bedeutet es nicht auch, dass bei solchen Modellen Prozesse optimiert werden müssen?

Exakt. Wenn wir Arbeitszeiten reduzieren, müssen wir auch die Arbeitsumgebung und die Werkzeuge anpassen, um die Arbeit zu beschleunigen, sonst werden wir uns schwerer tun – und das ist es, was viele Unternehmen noch zu wenig betrachten: die Vier-Tage-Woche gepaart mit schnelleren Vorgehensweisen und neuen Werkzeugen – und nicht die gewohnte Arbeitsumgebung und Vorgehensweise mit einfach weniger Zeit.

Wir haben derzeit einen Arbeitnehmermarkt. Gute Fachkräfte sind rar – Obstkorb, Yoga und Kickertisch reichen nicht als Überzeugungsarbeit. Setzt das Unternehmen nicht auch unter Zugzwang, Modelle anbieten zu müssen, hinter denen sie nicht wirklich stehen?

Obstkorb, Yoga und Kickertisch haben noch nie wirklich ausgereicht. Das war ein Bild, das gezeichnet wurde, weil es „neu“ war, „Genuss“ mit Arbeit zu verbinden. Das hat vor allem in Start-Ups funktioniert und auch nur da, weil dort eben die Arbeitnehmer:innen eher nach dem Prinzip des Work-Life-Blendings lebten. Wir müssen uns heute vor allem eines bewusst machen: Menschen suchen nicht mehr nach Arbeit, nur damit sie arbeiten können. Das Motto „Hauptsache ein Job“ hat ausgedient. Und das heißt nicht, dass – wie oft sehr banal propagiert – junge Menschen nicht mehr arbeiten wollen. Das wollen sie sehr wohl, viele sogar mehr als im Arbeitsvertrag vorgeschrieben steht. Aber die Zeit, die für etwas aufgewandt wird, soll sinnvoll investierte Zeit sein bzw. in einem Umfeld stattfinden, das sich gut anfühlt. Damit meine ich nicht, dass Arbeit nur Spaß machen muss. Das Gesamtbild von Arbeitsaufwand und Wohlgefühl muss ausgeglichener sein. Menschen arbeiten nicht mehr nur dafür, dass sie am Wochenende etwas machen können. Die Arbeitszeit wird auch als Lebenszeit wahrgenommen. Das muss uns, und da schließe ich mich nicht aus, als Arbeitgeber:innen bewusster werden. Die Arbeitszeiten sind ein Bestandteil einer „Arbeitsumgebung“, die ich als Arbeitgeber:in schaffen muss. Sie sind nicht allein ausschlaggebend, aber eine gute Chance auf einen Wettbewerbsvorteil.

Vor welchen Herausforderungen stehen Führungskräfte? Was bedeuten die neuen Modelle für den Führungsstil?

Eine Führungskraft muss sich mehr um den Menschen, der vor einem steht, kümmern als um die Tätigkeit an sich. Das könnte bedeuten, dass ich bei zehn Personen zehn unterschiedliche Führungsstile brauche. Ich muss mich mehr auf das Gegenüber einlassen, intensiver zuhören und individuelle Wege auf dessen Lebensstil abstimmen. Zudem wird uns gerade in der aktuellen Zeit immer bewusster, dass Führungskräfte gezielte Beziehungsarbeit leisten müssen. Was früher mal schnell im Vorbeigehen im Großraumbüro stattgefunden hat mit einem schnellen „Hallo, wie geht’s“ oder „Heute Kantine?“, muss heute direkt mit einem Anruf geplant und gesteuert werden. Kurze Abstimmungen müssen genutzt werden, um herauszufinden, wie es dem anderen gerade geht. Das ist keine leichte Aufgabe und kostet Zeit.

Und auch eine Aufgabe, die sich permanent verändert?

Genau. Auf die Mitarbeitenden und ihre Arbeitsumgebung prasseln immer schneller und immer mehr Veränderungen ein, was die Menschen verunsichert und frustriert – und das immer wieder aufs Neue. Und weil Führungskräfte eben auch nur Menschen sind, kommt ihnen eine Doppelaufgabe zu: sich selbst zu halten und dabei gleichzeitig anderen Halt zu vermitteln. Das ist ein enormer Druck, der emotionale Ausgeglichenheit voraussetzt – und das alleine ist teilweise eine Mammutaufgabe.

Gerade in der aktuellen Zeit wird uns immer bewusster, dass Führungskräfte gezielte Beziehungsarbeit leisten müssen.

Zitat: Elisabeth Schlachter

Inwieweit spielen Generationsunterschiede eine Rolle bei der Umsetzung neuer Arbeitsmodelle?

Aktuell agieren in nicht wenigen Unternehmen so viele Generationen im Unternehmen mit- und nebeneinander wie noch nie, Führungsetagen inklusive: Baby Boomer, Gen X, Y und Z: vier verschiedene Prägungen, Wertevorstellungen und Einstellungen. Als Führungskraft ist man tagtäglich mit unterschiedlichen Stimmen konfrontiert, es gilt zu moderieren, unterschiedlichen Meinungen anzuhören und dann auch Entscheidungen zu treffen, die dem einen oder anderen nicht gefallen. Hier hat sich das Einführen einer guten „Streitkultur“ bewährt, sodass das Team schnell lernt, seine Diversität selbst zu steuern. Die jungen Generationen bewegen sich irgendwo zwischen Selbstverwirklichung und Freiheit, Absicherung und klaren Strukturen. Dieses Hin- und Hergerissensein ist auch spürbar. Die jungen Generationen wollen mitwirken, aber nicht unbedingt bewirken. Die Babyboomer und die Generation X sind sehr leistungsorientiert unterwegs. Ein strukturierterer Arbeitsstil wird hier mehr geschätzt als in der jüngeren Generation. Arbeit hat hier noch einen anderen Stellenwert und muss nicht immer „Spaß“ machen.

Ein ganz anderer Aspekt: Nach wie vor sind Frauen in den Führungsetagen deutlich unterrepräsentiert. Laut einer Studie der IU Internationale Hochschule gibt hierzulande jeder dritte Mann an, eine leitende Funktion zu haben. Bei den Frauen sind es 17,6 Prozent. Inwieweit glaubst du, könnten neue Arbeitsmodelle auch hier ein Gamechanger sein?

Da vor allem Frauen immer noch die Care-Taker-Rolle zuhause übernehmen und gerade bei Corona, wie mehrere Studien zeigen, auch wieder die Frau die Mehrbelastung tragen musste, glaube ich, dass die flexiblen Zeiten vor allem auch den Frauen mehr Luft und Flexibilität verschaffen. Es ist einfach leichter, vom Home-Office in die Küche zu gehen, um für die Kinder zu kochen, als dann noch eine Wegstrecke mit einzuplanen. Und das ist nur eines von vielen Beispielen – auch wenn es das klischeehafteste ist. Auch glaube ich, dass Frauen, die gerade Mutter geworden sind, so schneller wieder in den Beruf einsteigen können, weil während der Zeit, in der das Kind schläft, auch von Zuhause aus der PC bedient werden kann – das wäre alles komplizierter, wenn man ins Büro fahren muss, eine Betreuung braucht etc. Das könnte dazu beitragen, dass Frauen auch mehr in Führungspositionen kommen, weil sie erreichbarer werden.

Was gibst du Unternehmen abschließend mit auf den Weg?

Die Angst vor dem Ungewissen ist total normal und auch wichtig, um Neues kritisch zu betrachten und nicht blauäugig ins offene Messer zu rennen. Unternehmen sollten also verständnisvoll, kritisch und vorsichtig Neuerungen einführen, das Motto des Ausprobierens viel größer propagieren und immer wieder Feedbackschleifen mit den Mitarbeitenden drehen, um herauszufinden, was tatsächlich gut passt und das Leben leichter macht. Einfach nur ein Modell einzuführen, damit man auch „moderner“ wirkt, ist nicht die Lösung. Letztlich geht es um bessere Bindung der Mitarbeitenden, um einen Wettbewerbsvorteil, indem gute Fachkräfte zu mir kommen und dort bleiben, weil es zum Lebensstil passt, und nicht zur Konkurrenz abwandern. Das macht Unternehmen profitabel und zukunftsfähig. Egal welches Modell man – im Konsens mit der Belegschaft – wählt: Ich rate Unternehmen, sich dabei immer um ein wertschätzendes Umfeld zu kümmern, um transparente Kommunikation zwischen Arbeitnehmer:innen und Vorgesetzten und um regelmäßiges Feedback und Entwicklungsmöglichkeiten. So kann man Unzufriedenheit vorbeugen und Bedarfe schnell aufdecken. Neben neuen Arbeitsmodellen sollten also die Faktoren der psychologischen Sicherheit forciert werden. Die Zeit spielt für uns. Wer sich jedoch vehement und pauschal gegen alles Neue wehrt, wird früher oder später verlieren.

Last but not least – wie arbeitest du persönlich?

Ich lebe Work-Life-Blending. Es gibt Tage, da arbeite ich fünf Stunden, einfach weil ich nachmittags auf ein Event gehe, und dann gibt es Tage, da ziehe ich meine 14 Stunden durch, weil eine Deadline gehalten werden muss und wir nochmal ein neues Konzept brauchen. Bei uns gibt es sehr viele Freiheiten und keine festen Arbeitszeiten. Ob man von Bremerhaven aus oder auf den Bahamas arbeitet, ist egal. Aber wir haben auch Pflichttermine, unser digitales Meeting immer montags und alle drei bis vier Monate einen Teamtag in Präsenz. Wichtig ist bei uns: Es wird nach Ergebnissen gearbeitet und diese auch transparent kommuniziert – wenn die stimmen, ist es egal, wie, wann und wo.

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Autor: Christiane Treckmann

Christiane Treckmann ist Mitglied der W&V Redaktion. Ihre Interessen: das Spannungsfeld von Menschen, Marken und Medien - analog und insbesondere digital. Daher liegen ihr besonders Themen rund um Markenstrategien, Mediaplanung, Nachhaltigkeit, KI - und die Menschen dahinter am Herzen. Christiane ist zudem regelmäßige Moderatorin der W&V Webinare.