Das entspreche einem Bruttowerbeverlust von rund drei Milliarden Euro, die nicht kompensiert werden können und vor allem die privatwirtschaftlich finanzierten Medien betreffen, die bis zu 16 Prozent ihres Gesamtbudgets über Lebensmittelwerbung generieren. Ähnlich wie die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie argumentiert der Markenverband, dass das geplante Gesetz nicht nur an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit verhältnismäßig hohem Gehalt an Zucker, Salz oder Fett untersage, sondern vielmehr ein nahezu generelles Werbeverbot für den überwiegenden Anteil aller Lebensmittel bedeute. 

Lobby versus Gesundheits- und Verbraucherorganisationen

Doch laut Prof. Dr. Haucap gibt es derzeit keine empirisch tragfähige Grundlage dafür, dass ein Werbeverbot für Lebensmittel zur Verbesserung der Gesundheit von Kindern beitragen könnte. Auch die BVE vertritt diese beiden Annahmen und startete darauf aufbauend Anfang April eine Kampagne gegen das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und Cem Özdemir, die wiederum Gesundheits- und Verbraucherschutzorganisationen auf den Plan rief. Foodwatch beispielsweise gehen die geplanten Restriktionen teilweise sogar nicht weit genug.

"Das angekündigte Werbeverbot hätte nicht nur massiven Einfluss auf unsere Medienvielfalt, sondern auch auf die Lebensmittelindustrie. Sollten die Unternehmen ihre Produkte und Angebote dem Verbraucher nicht mehr kommunizieren dürfen, gibt es keine Innovationen mehr. Marken würden sterben, der Standort Deutschland international seine Wettbewerbsfähigkeit verlieren – und das ohne empirische Evidenz für die Wirkung eines solchen Werbeverbots auf die Gesundheit", beschreibt Köhler das Szenario. 

Weitere Thesen aus dem Gutachten sind, das besonders lokale und regionale Radiosender gefährdet seien und dem Kostendruck nur mit Personalabbau begegnet werden kann. Das wiederum führe zu einer "Erosion des Journalismus". Neben TV und Hörfunk seien weitere Medien, Verlagshäuser und die Außenwerbung von Einnahmeverlusten betroffen. Denn die vorgesehene Bannmeile um Kindertagesstätten, Schulen und Spielplätze würde in Ballungsgebieten dazu führen, dass nur noch eine von 100 Flächen mit Werbung für Lebensmittel belegt werden darf, die unter die WHO-Kriterien fallen.

Gegenwind nicht nur von der Ernährungslobby

Auch die W&V-Redaktion sieht das Vorhaben wie oben angedeutet eher kritisch. Chefredakteur Rolf Schröter etwa findet, dass das aktuell diskutierte Werbeverbot für "ungesunde" Lebensmittel an Kinder und Jugendliche ein fehlerhaftes Verständnis von Politik zeige. Auch Chefredakteurin Verena Gründel kommentiert, dass die Pläne des Ernährungsministers nicht bis zu Ende gedacht sind und listet neun Gründe dagegen auf.

Auch aus juristischer Sicht werden die Pläne Özdemirs immer wieder kritisiert. Laut einem Gutachten von Professor Dr. Martin Burgi, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht der Ludwig-Maximilians-Universität München, könnte das Werbeverbot verfassungs- sowie europarechtswidrig sein. Zu einem ähnlichen Schluss kam auch Rechtsanwältin Barbara Klaus, die den Gesetzesentwurf für W&V analysierte.

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Autor: Marina Rößer

Marina Rößer hat in München Politische Wissenschaften studiert, bevor sie ihre berufliche Laufbahn in einem Start-up begann und 2019 zu W&V stieß. Derzeit schreibt sie freiberuflich von überall aus der Welt, am liebsten in Asien, und interessiert sich besonders für Themen wie Nachhaltigkeit und Diversity.