Amazon Buy Box:
Stehen revolutionäre Änderungen bei Amazon an?
Wer es in die Amazon Buy Box geschafft hat, braucht sich um seine Umsätze nicht zu sorgen. Das könnte sich ändern. Ein zweites Einkaufswagenfeld könnte bald kommen. Für Verbraucher wäre es hilfreich.
Nur wenige Elemente haben einen so starken Einfluss auf den Verkaufserfolg bei Amazon wie die Buy Box. Um die Buy Box, das Einkaufsfeld, das neben der Produktvorschau erscheint, ranken sich zahlreiche Mythen. Die Internet-Foren sind voll mit Fragen dazu, es gibt viele Ratgeber-Artikel und dennoch bleiben die meisten mit Fragezeichen zurück. Zumal immer wieder die Buy Box verloren geht und Verkäufer sich das nicht erklären können.
"Tags ist hell, Nachts ist Dunkel und im Durchschnitt haben wir Dämmerung." – so klingen auf die Quintessenz reduziert die Aussagen von Marktteilnehmern im Hinblick auf die Buy Box Rankingfaktoren.
Eventuell stehen wir nun vor einer Änderung, die einen gewaltigen Einfluss auf Amazon im Speziellen und den E-Commerce im Allgemeinen hat. Denn vielleicht kommt eine zweite Buy Box.
Dieser Hinweis versteckt sich in einer Pressemeldung der Europäischen Kommission und ist in der Berichterstattung fast komplett untergangen bzw. wurde bestenfalls partiell tangiert.
So berichtete der Spiegel am 14. Juli 2022 beispielsweise in dem Artikel „Amazon will keine Daten von Verkäufern mehr auswerten“ folgendes: „In dem neuen Kompromiss hat Amazon versichert, Verkäufer bei der Rangfolge ihrer Angebote auf seiner Website gleich zu behandeln, auch wenn sie nicht die Amazon-Logistik benutzen. Insbesondere in der prominent platzierten »Buy Box«, bei der Kundinnen und Kunden mit besonders wenigen Mausklicks einkaufen können, soll der gleichwertige Zugang sichergestellt werden.“
Das der gleichwertige Zugang womöglich bedeutet, dass es dann ggf. eine zweite Buy Box gibt, steht allerdings nur in der originären Pressemeldung der Europäischen Kommission vom 14. Juli 2022, Zitat:
“[…]
In Bezug auf das Einkaufswagen-Feld verpflichtet sich Amazon,
- bei der Erstellung der Rangfolge für das Angebot, das im Einkaufswagen-Feld platziert wird, alle Verkäufer gleich zu behandeln
- und außerdem neben dem Angebot im Einkaufswagen-Feld ein Konkurrenzangebot anzuzeigen, sofern ein solches existiert und sich vom Angebot im Einkaufswagen-Feld in Bezug auf Preis und/oder Lieferung hinreichend unterscheidet. Beide Angebote sollen dieselben beschreibenden Informationen enthalten und dieselbe Einkaufserfahrung bieten. Auf diese Weise verbessern sich die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher.
[…]“
Das „Commitment Proposal“ von Amazon veröffentlichte die Europäische Kommission ebenfalls am 14. Juli 2022. In dem PDF ist auf der letzten Seite auch eine entsprechende Skizze zu sehen. Der Bundesverband Onlinehandel ist am 9. September 2022 dann dem öffentlichen Ersuchen der Europäischen Kommission nach Feedback gefolgt und hat seine Sicht der Dinge veröffentlicht. Auch andere Marktteilnehmer bzw. Institutionen haben ihr Feedback dazu veröffentlicht.
Politico berichtete dann in der Folge am 19. Oktober 2022, Zitat: “ […] according to two people who spoke to Politico on condition of anonymity because the process is shrouded in confidentiality.
The fundamental logic of the improvements suggested in this second attempt is to ensure users of Amazon can find products from third-party sellers more easily, rather than having to scroll further down the page to find a deal they’d like to snap up. This will include a secondary Buy Box that will be presented more prominently, and without wording that may turn shoppers off. […]”
Amazon-Produktdetailseite
Eine der großen Erfolgsgeschichten von Amazon ist die kundenzentrierte Usability der Plattform. Mittlerweile sind viele Standards die Amazon gesetzt hat, gar nicht mehr anders vorstellbar.
Einer Produktdetailseite bei Amazon sind die Händler zugeordnet und nicht andersherum. Dieses einfache Konzept war zum Zeitpunkt seiner Einführung eine echte Innovation. Denn bis dahin lieferte eine Produktsuche bei anderen Plattformen pro Suchanfrage mehrere identische Produkte je Händler. Aus Usability-Gesichtspunkten war das unerträglich. Dadurch, dass die Produktdetailseite dominiert und die Händler dem Produkt zugeordnet sind und nicht anders herum, erhält ein Nutzer pro Suchanfrage nur ein identisches Produkt, welches bei einem oder mehreren Anbietern bezogen werden kann.
Mehrere Händler teilen sich deshalb immer eine Produktdetailseite. An der rechten Bildschirmseite (Desktop) bzw. im Zentrum der Website unterhalb des Produktbildes (Mobil) von Amazon befindet sich die Buy Box. Meist wird der sogenannte „Featured Offer“ gemeint, wenn von der Buy Box gesprochen wird, allerdings ist die Buy Box aka Einkaufswagenfeld selbst eigentlich noch größer.
In der Amazon Buy Box gibt es Informationen zum Preis, zur Versandart und dem Händler, der das Produkt anbietet. Klickt man auf „In den Einkaufswagen“ (Add to Cart) oder „Jetzt kaufen“ (Buy Now) wird derjenige Anbieter ausgewählt, der sich bei der Amazon Buy Box durchgesetzt hat.
Wichtig zum Verständnis: Amazon agiert einerseits selbst als Verkäufer und ist andererseits auch Plattform-Anbieter des Amazon Marketplaces. Bei letzterem verkaufen andere Händler (Drittanbieter) über Amazon. Endkunden differenzieren in der Regel nicht zwischen Amazon als Händler und Amazon als Plattform-Anbieter / Marktplatz – vielen ist das überhaupt nicht bewusst.
Für Amazon ist deshalb das perfekte Nutzererlebnis außerordentlich wichtig. Denn die Nutzer unterscheiden nicht zwischen Drittanbieter und Amazon. Aus Perspektive eines Großteils der Kundenbasis ist sowieso immer Amazon gleichzeitig Verursacher und Verantwortlicher. Das gilt sowohl für guten als auch schlechten Service.
Unter Amazon-Experten wird im Allgemeinen geschätzt, dass in einer Größenordnung von etwa 90 % der Sales über den Besitzer der Buy Box laufen. Alle anderen Händler kommen nur dann zum Zug, wenn die potenziellen Kunden ganz gezielt andere Anbieter aus der Liste unterhalb der Buy Box auswählen. Nur ein kleiner Bruchteil (< 10 %) der Käufer wird offenbar diesbezüglich aktiv. Hier sieht man die immense Bedeutung von Website Usability & Convenience.
Die Nutzerführung ist auf Einfachheit und Intuition angelegt. Daher sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Nutzer nach Alternativen schauen. Der bequemste Weg ist derjenige über den Besitzer der Amazon Buy Box. Interessenten gehen davon aus, dass jeweils das beste Angebot die Buy Box bekommt. Amazon hat ein gewaltiges Interesse daran, dass dieses Vertrauen auch erfüllt wird.
Amazon Buy Box-Voraussetzungen
Damit man überhaupt in die Evaluierung bzgl. eines Gewinns der Buy Box aufgenommen wird, sind folgende Kriterien eine Voraussetzung:
- Kurzfristige Verfügbarkeit der Ware
- Verkauf von Neuartikeln, d.h. gebrauchte Ware ist von der Buy Box prinzipiell ausgeschlossen
- Attraktiver Preis, der nicht weit über dem bisherigen Durchschnittspreis liegt
- Verkauf auf Amazon seit mindestens 90 Tagen
- Verkauf über den Tarif „Professionell“ (nicht Tarif „Einzelanbieter“)
Amazon Buy Box Rankingfaktoren
Wenn sich die Verwirrung stiftenden, rhetorischen Nebelkerzen vieler Marktteilnehmer verziehen, bleiben die folgenden drei Rankingfaktoren die erfahrungsgemäß am relevantesten sind:
- Liefergeschwindigkeit: Zeit, die das Produkt von der Bestellung bis zum Eintreffen beim Kunden benötigt. Dieser Faktor ist neben Preis und Versand bzw. Fulfillment-Art am Wichtigsten. Am besten sollte die Lieferzeit innerhalb von 1-2 Tagen erfolgen. Bei längeren Zeiträumen ist es eine große Herausforderung, die Amazon Buy Box zu bekommen, insbesondere bei Produkten mit intensivem Wettbewerb. Der Effekt auf die Buy Box Gewinnrate ist bei einer Verbesserung der Lieferzeit von 5 auf 4 Tage mutmaßlich deutlich geringer als bei einer Verbesserung von 3 auf 2 Tage. Amazon schreibt hierzu selbst: „Bieten Sie Prime- und kostenlosen Versand an. Verkäufer mit kürzeren Versandfristen haben mehr Chancen auf eine Platzierung im Einkaufswagen-Feld.“
- Preis: Der Preis ist eines der drei entscheidenden Kriterien neben Lieferzeit und Versandweg. Der Preis muss nicht zwingend das günstigste Angebot sein, um die Buy Box zu bekommen, wenngleich er eine überragende Bedeutung hat. Entscheidend ist, dass der Preis mit der Konkurrenz innerhalb eines kleinen Korridors mithalten kann. Wenn bei allen anderen Metriken gepunktet wird, kann man auch die Buy Box erhalten, ohne den günstigen Preis anzubieten. Man schafft sich somit durch exzellente andere Parameter kleine Spielräume für Preiserhöhungen. Es ist jedoch zu beachten, dass schnelle, starke Preisanpassungen nach oben oder unten aus der Perspektive des Amazon-Algorithmus suboptimal sind. Daher ist bei Preisanpassungen ein iteratives Vorgehen optimal. Ein wichtiges Element ist selbstverständlich auch der kostenlose Versand.
- Versand / Fulfillment-Art: Neben Preis und Lieferzeit der wichtigste Rankingfaktor. Ein Verkäufer der FBA (Fulfillment by Amazon) oder Seller-Fulfilled Prime (SFP) nutzt wird sich meistens gegenüber FBM (Fulfillment by Merchant) durchsetzen. Bei FBM handelt es sich um Eigenversand durch den Verkäufer. Bei SFP sind jedoch zahlreiche Voraussetzungen zu erfüllen hinsichtlich der Seller-Metriken. Hauptvorteile bei Versand durch Amazon (FBA) sind die Versand-Geschwindigkeit (Shipping Time) und die pünktliche Lieferung (On-Time Delivery Rate). Deshalb kann darüber diskutiert werden, ob Versand / Fulfillment-Art ein komplett eigenes Kriterium ist oder einfach nur auf die Lieferzeit einzahlt. Die Fulfillment-Art ist sozusagen ein Ranking-Derivat, das sich aus dem Kriterium Lieferzeit ergibt. Aus dem gleichen Grund sind die gelegentlichen Vorwürfe, Amazon würde FBA einseitig und zu Unrecht bevorzugen vermutlich auch haltlos.
Alle weiteren Faktoren sind auch wichtig, spielen aber vermutlich eine geringere Rolle und können quasi als Faktor Nummer vier als „Seller Account Metriken“ zusammengefasst werden
Nur ein Verkäufer – trotzdem keine Buy Box
Eine sehr häufige Frage mit verzweifeltem Unterton aus dem Consulting-Alltag lautet: Wieso kann es sein, dass man als einziger Verkäufer (Private Label) trotzdem nicht immer die Buy Box hat? Die Antwort dazu lautet: Ein Produkt, für das es nur einen einzigen Verkäufer gibt, hat dennoch nicht zwangsläufig in 100% der Fälle die Buy Box. Die Ursachen sind vielfältig. Es kann beispielsweise ein zu schnell veränderter Preis sein. Oder es hat sich eine der zahlreichen anderen Seller-Account Metriken verändert, wie z.B. eine gestiegene Stornorate oder eine schlechtere Lieferzeit. Aus Amazon-Perspektive qualifiziert sich dann mitunter überhaupt kein Anbieter mehr für die Buy Box. Auch die Qualität der Produktdetailseite kann eine Ursache sein, dann sollten Bilder und Produktbeschreibungen verbessert werden.
Das nachfolgende YouTube Video (https://www.youtube.com/watch?v=UYn3SKg0zPI) vom Mai 2022 der Plusminus Sendung über Amazon ist ein insgesamt guter und sehenswerter Beitrag. Deswegen nur „gut“ und nicht „sehr gut“, weil die darin gezeigten Ergebnisse einer beauftragten Analyse zur Buy Box durchaus sehr interessant sind, es gibt allerdings ein methodisches Problem. Denn es wurden offenbar nur Preis und Liefergeschwindigkeit analysiert. Wie zuvor erläutert, gibt es daneben jedoch noch viele weitere Kriterien zur Gewinnung der Buy Box.
Zumal die Studie doch eher die bekannten Kriterien bestätigt: der Preis ist einer der wichtigsten Parameter, aber eben nicht das einzige Kriterium. Neben dem Preis ist die Liefergeschwindigkeit der vermutlich am zweitwichtigste Faktor.
Bei 20.242 von 64.616 Produkten hielt Amazon die Buy box. Bei 8.845 von 64.616 Produkten, d.h. bei etwa jedem achten Produkt, hielt Amazon die Buy Box, obwohl ein anderer Anbieter einen besseren Preis hatte. Amazon war im Durchschnitt um 1,83 € teurer. Dieses Beispiel zeigt doch, dass der Preis zwar sehr wichtig ist, aber eben auch andere Aspekte wie z.B. die Lieferzeit evaluiert werden.
Bei nur 156 von 64.626 Produkten hielt Amazon die Buy Box, obwohl andere einen besseren Preis und die gleiche Geschwindigkeit hatten. Das ist eine fast vernachlässigbar kleine Quote von 0,24%. Es wäre hier zunächst eine detailliere Analyse der 156 Fälle nötig, bevor man zu einer Schlussfolgerung kommen darf. Vermutlich würde es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zeigen, dass die Verkäufer-Bewertungen einfacher schlechter sind oder es mehr Reklamationen gibt etc. und das dann das Zünglein an der Waage war, obwohl Preis und Liefergeschwindigkeit gleich sind. Insofern ist diese Analyse ungeeignet, Amazon unfaire Praktiken vorzuwerfen.
Selbst wenn alle wichtigen Faktoren gleich sind, dann rotiert die Buy Box aber nicht gleichmäßig verteilt, sondern in Abhängigkeit der genannten nachgelagerten Faktoren der Seller Account Metriken. Heißt: ein Seller kann die Buy Box bekommen und danach dann wieder nicht – obwohl sich keine Metrik verändert hat.
Fazit & Ausblick
Sollte die zweite Buy Box tatsächlich kommen, hätte sie zumindest das theoretische Potential, ein Game Changer zu werden. Es kommt allerdings auf die ganz genaue Ausgestaltung an, wie groß der Impact werden würde. Wer sich mit Website Usability, User Experience und Conversion-Optimierung beschäftigt hat, weiß, welchen hohen Impact selbst kleinste Layout-Änderungen haben können. Amazon ist die „Benchmark-Instanz“, wenn es um das Thema Conversion-Optimierung, Multivariate Tests oder A/B Tests geht. Zumal die Marke Amazon und Amazon Prime sehr stark sind.
Selbst wenn die Nutzer auf einer zweiten Buy Box andere Angebote angezeigt bekommen, könnte es sein, dass sie sich aufgrund der Marken-Effekte überwiegend dennoch für Amazon entscheiden, falls eines der beiden Angebote vom „Verkäufer Amazon“ stammt.
Im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2022 startete Amazon auch bereits mit einer Art Zwischenschritt. Seitdem kann unter der Buy Box ein Feld „Andere Verkäufer“ angezeigt werden, so dass man nicht erst durch einen Klick weitere Verkäufer angezeigt bekommt, sondern eben unverzüglich.
Welchen Impact eine „richtige“ zweite Amazon Buy Box letztendlich haben würde, würde dann die Praxis zeigen
Über den Autor: Markus Caspari (hier auf LinkedIn folgen) ist Head of Performance Marketing bei Dentsu / iProspect. Dort berät er seit über 10 Jahren Kunden in den Bereichen E-Commerce, Retail Media, Social Media, Search & Programmatic. Er arbeitete auf Agenturseite bereits für Unternehmen bzw. Marken wie Mondelez (Milka, Oreo), Danone (Aptamil, Milupa), Microsoft, Stada, Pirelli und auch für fast alle Bedarfsträger der Bundesregierung. Zudem hat er seit mehreren Jahren Lehraufträge in verschiedenen Fächern an unterschiedlichen Hochschulen, z.B. an der Hochschule Darmstadt und der DHBW Stuttgart.