Mr. Media-Kolumne:
Wenn es mit den Mediaagenturen zu Ende geht
Plötzlich ist das Thema Mediaagenturen wieder in aller Munde. Doch diesmal geht es nicht um Skandale, Kickbacks, Transparenz oder Vertrauen. Sondern um ihre Zukunft schlechthin. Genau genommen um ihr baldiges Ableben.
Zuerst war es Erik Siekmann, der unter der Headline "Wohin mit den Mediaagenturen?" einen Neustart der Branche forderte. Der Geschäftsführer von Digital Forward hält es obendrein für alternativlos, dass Kunden die Mediakompetenz zurück ins Haus holen.
Dann war es - gewiss zur Überraschung seiner Kollegen - kein Geringerer als der OMG-Chef Florian Adamski, der ein radikales Szenario entwarf, in dem er auch die größten Mediaagenturen als verwundbar bezeichnet: "Wer 2017 sein Geschäftsmodell aus den 1990er Jahren noch nicht angepasst hat, wird schon 2018 in große Probleme geraten." Für Agenturen, die in der Hauptsache mit Arbitrage-Geschäften Geld machen, gäbe es keine Zukunft, so Adamski.
Solange es nur Kreative, Auditoren, meine Wenigkeit oder die im OWM zusammengeschlossenen Kunden waren, die die Mediaagenturen kritisierten, hat das die Protagonisten in den Network-Agenturen ziemlich kalt gelassen. Wenn aber Kritik und Abgesangsszenarien nun aus den eigenen Reihen, quasi aus dem Epizentrum des Media-Business ertönen, dürfte manchem Agenturchef die Luft weggeblieben sein. Da hätte man zu gern Mäuschen gespielt.
Denn zuletzt war es Oliver Blecken (Ex-Mediacom-COO, heute JOM), der die naive Algorithmus-Gläubigkeit als "Armutszeugnis" seiner Branche ansieht. Er prangert das larmoyante Bullshit-Bingo ebenso an wie die Black Boxes und warnt empathisch davor, den Sitz im Marketing-Cockpit an die IT abzugeben.
Agenturmeldungen aus der Hölle
Die Äußerungen, die dagegen aus dem kritisierten Agenturlager kommen, stimmen einen mehr als nachdenklich. Da vermeldet ausgerechnet WPP, dass Werbungtreibende 20 Prozent ihrer Ausgaben in Online-Anzeigen stecken, die nicht angezeigt werden und damit im vergangenen Jahr 12,5 Mrd. US-Dollar versemmelten. Scheinbar ist den Verfassern der Studie bei WPP nicht bewusst, dass sie dabei ihre eigenen Kunden meinen. Und dass es möglicherweise Aufgabe der WPP-Mediaagenturen gewesen sein könnte, genau das zu verhindern. Oh Herr, lass Hirn vom Himmel…
Und was treibt Omnicom derweil? Sie wollen die Youtube-Werbung wieder sicher machen. Den Agentur-Verantwortlichen scheint dabei ebenso wenig in den Sinn zu kommen, dass ihre eigene, programmatische Werbeauslieferung schuld daran ist, dass Markenwerbung vor unerwünschtem Content zu sehen war. Und dass keinesfalls ihnen selbst das Debakel auffiel, sondern von Journalisten der "Times" aufgedeckt wurde. Kompetenz sieht wahrlich anders aus.
Das Problem sind die Agenturen selbst
Den Stein der Weisen glaubt man dagegen bei Havas entdeckt zu haben. Kreation und Media zusammenführen hält CEO Yannick Bolloré für "game changing". Ja, wo haben die denn die letzten 20 Jahre geschlafen? Haben sich nicht gerade Mediaagenturen bemüht, die Zusammenarbeit von Kreation und Media zu behindern? Wenn wir Kreativagenturen dazu fragen, bekommen wir von ihnen eine ziemlich unmissverständliche Antwort.
Unvergessen übrigens, dass aus dem gleichen Havas-Lager auch die Studie stammt, die nachweist, dass den Verbrauchern Marken immer gleichgültiger werden. Das nächste Eigentor. Denn es ist wohl die primäre Aufgabe von Agenturen jeglicher Couleur, Marken zu stärken, nicht sie immer weiter zu schwächen.
Fehlt eigentlich nur, dass sich Publicis und Aegis auch noch zum Thema äußern. Aber sie haben wohl im Augenblick genug damit zu tun, sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Um Intelligenz und Einsicht ist es in den Agenturen also nicht gut bestellt. Ein ums andere Mal verwechseln sie Ursache und Wirkung. Ebenso wenig scheinen sie sich ihrer Aufgabe bewusst zu sein. Zu lange haben die Mediaagenturen sich selbst ins Zentrum des Eigennutzes gestellt. Zu lange waren ihnen die eigenen Renditen wichtiger als das Wohl ihrer Kunden und der ihnen anvertrauten Marken. Nicht die Verbraucher sind das Problem, nicht die Digitalisierung. Nein, die Agenturen sind das Problem.
Drei simple Regeln
Bevor der von ihnen selbst abgefeuerte Bumerang sie nun ins endgültige Aus befördert, wird es wohl Zeit, sich Gedanken über ihre Marktposition und ihre eigentliche Aufgabe zu machen. Wenn sie es nicht selber tun, werden es Andere für sie richten.
Natürlich bin ich dabei gern behilflich. Es muss bei neuen Entwicklungen und Innovationen nicht immer "entweder oder" sein. So war unsere Welt nie. Und so wird sie vermutlich nicht werden. Finden wir also heraus, welche Balance die richtige ist. Dazu reichen fürs Erste drei simple Regeln:
- Im Zentrum aller Bemühungen stehen der Kunde und seine Marke. Sie zu betrügen, ist eine Todsünde. Ihre Markenkommunikation sehenden Auges zu schwächen ebenso. Das mit Studien zu verankern - und so zu tun, als wären andere daran schuld - ist Selbstmord.
- Digitale Medien sind ein Gewinn für die Kommunikation. Nur nicht für (Display-) Werbung und lieblos adaptierte Analog-Reklame. Und nicht dann, wenn der Umgang mit digitalen Medien intransparent bleibt. Den Online-Mediaeinkauf in Black-Trading-Boxes zu verfrachten, ist daher unerwünscht.
- Programmatic bietet eine riesige Chance zur Steigerung der Wirkung. Es gilt zu ergründen, wie viel Programmatic gut ist für die Mediapläne. Den ganzen, großen Rest überlassen wir besser dem Menschen.
Sehen Sie, es hat überhaupt nicht wehgetan. Wenn manche Mediaagenturen dennoch nicht willens sind umdenken und den längst fälligen Neustart hinzulegen, ist es nicht wirklich schade um sie. Dann waren sie nicht mehr als nur eine Sternschnuppe im unendlichen Kommunikations-Universum. Wenn sie in der Atmosphäre verglühen, haben wir immerhin alle einen Wunsch frei. Was wünschen Sie sich?