
Böhmermanns Schmähkritik:
Erdogan muss auf Urteil warten
Das Hamburger Landgericht will erst am 10. Februar verkünden, ob Jan Böhmermanns Gedicht "Schmähkritik" verboten wird, wie es der türkische Präsident Erdogan fordert.

Foto: Screenshot Jan Böhmermann/Youtube
Das Hamburger Landgericht will erst am 10. Februar verkünden, ob Jan Böhmermanns Gedicht "Schmähkritik" verboten wird, wie es der türkische Präsident Erdogan fordert.
Beim Prozess am heutigen 2. November haben sich die Anwälte des Satirikers und Recep Tayyip Erdogans einen Schlagabtausch geliefert. Böhmermann-Vertreter Christian Schertz verwies auf die Einstellung der Strafermittlungen gegen seinen Mandanten. Die Staatsanwaltschaft Mainz habe den Tatbestand der Beleidigung verneint, sagte Scherz. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz habe des weiteren festgestellt, dass es sich verbiete, einzelne Teile eines Kunstwerkes aus dem Zusammenhang zu lösen.
Schertz forderte das Gericht auf, die aktuelle zeitgeschichtliche Einbettung des Beitrags zu berücksichtigen. Der Aussagekern liege nahezu ausschließlich in der Kritik am Umgang des türkischen Präsidenten mit der Meinungsfreiheit. Der Anwalt verwies auf die jüngsten Verhaftungen von Journalisten in der Türkei. "Wenn sich jemand so geriert, dann muss er sich die schärfste Kritik ever gefallen lassen." Schertz appellierte an die Richter, ihre frühere Entscheidung zu überprüfen und die Unterlassungsklage Erdogans komplett abzuweisen.
Erdogans Anwalt Michael-Hubertus von Sprenger betonte dagegen, die Strafermittlungen seien nur deswegen eingestellt worden, weil bei Böhmermann nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft in Mainz kein Vorsatz zu erkennen gewesen sei. Eine Strafsache sei jedoch etwas anderes als ein zivilrechtliches Verfahren, indem es um die Frage gehe, ob das Gedicht eine Schmähung sei.
Der Anwalt des türkischen Präsidenten sieht das Gedicht nicht von der Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt. "Hier wird nur noch plump beleidigt, unterhalb der Gürtellinie." Sprenger zitierte aus dem Gedicht und resümierte: "Der Kläger soll als Prototyp des verlausten Türken gezeigt werden. Das ist schlicht rassistisch." Nach Ansicht von Sprenger hat Böhmermann Artikel 1 des Grundgesetzes schwer verletzt. "Hier wird die Menschenwürde getreten: Die Menschenwürde ist nicht verhandelbar."
Sprenger warf den Ermittlungsbehörden in Rheinland-Pfalz vor, das dortige Verfahren bewusst in die Verjährung getrieben zu haben. Die Entscheidung über die Einstellung sei so spät getroffen worden, dass ihm praktisch keine Zeit zur Einleitung eines Klageerzwingungsverfahrens geblieben sei. Im Medienrecht beträgt die Verjährungsfrist nur sechs Monate.
Der türkische Präsident will in dem Zivilverfahren erreichen, dass das gesamte Gedicht verboten wird. Im Mai hatte das Hamburger Gericht bereits eine einstweilige Verfügung gegen Böhmermann erlassen - seitdem darf er den größeren Teil des Gedichttextes nicht wiederholen. Die Vorsitzende Richterin Simone Käfer ließ nicht erkennen, in welche Richtung die Entscheidung der Pressekammer tendiert. Sie sagte lediglich zu den Anwälten: "Wir werden Ihre Argumente würdigen."
Der Moderator Böhmermann hatte das Gedicht "Schmähkritik" am 31. März in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" vorgetragen, als Reaktion auf die "Extra 3" Satire "Erdowie, Erdowo, Erdogan", die zur Einbestellung des Botschafters geführt hatte. Das ZDF hatte daraufhin das Gedicht aus der Mediathek entfernt.
Jan Böhmermann erlebte daraufhin viel Kritik, aber auch eine Solidaritätswelle mit namhaften Unterstützern wie Oliver Kalkofe und John Oliver. So solidarisierte sich etwa Springer-Chef Matthias Döpfer mit dem ZDF-Neo-Moderator - und sah sich prompt ebenfalls einem Antrag auf einstweilige Verfügung von Präsident Erdogan ausgesetzt, die das Landgericht Köln aber zurückwies.
Alles zur Affäre um Erdogan und Böhmermann finden Sie im Update-Stream unter diesem Artikel.
In seiner nächsten Sendung (ab 3. November) nimmt sich Jan Böhmermann erneut Präsidenten vor, zumindest potenzielle: Das "Neo Magazin Royale" wird sich in einer Spezialausgabe dem US-Präsidentschaftswahlkampf widmen. Erstmals wird es in der ZDF Mediathek neben der deutschen Fassung auch eine englische Version der Show (mit deutschen Untertiteln) geben. (W&V Online/dpa)