Interview mit Berndt Schramka:
"Spiegel"-Strategie: "Synergien kann ich nur beim Logo erkennen"
Das Ende der "Spiegel"-Chefs Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron ist besiegelt. Eine Doppelspitze hat sich nach Ansicht von Medienkritiker Berndt Schramka überlebt. W&V-Redakteurin Petra Schwegler hat den früheren G+J-Manager zum Fall "Spiegel" befragt.
Nun bekommt der "Spiegel" schon wieder eine neue Spitze. Ove Saffe, Chef des Spiegel Verlags, hat zwar nach einem Wochenende voller Spekulationen über die Zukunft von Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron und mögliche Nachfolger am Montag verdeutlicht, dass die Gesellschafter noch keine Entscheidung gefällt hätten. Aber am Dienstag wird offiziell, dass die Erben des früheren Chefredakteurs Stefan Aust den Hut nehmen müssen. Man sei unzufrieden mit den Auflagenzahlen des Printobjekts, man vermisse eine digitale Strategie, ist zu hören. Wie denken nun Branchenbeobachter über die Lage beim "Spiegel"?
W&V Online hat bei Berndt Schramka nachgefragt. Der erfahrene Journalist, lange Jahre Stellvertreter von Wolf Schneider an der Henri Nannen Schule und unter anderem Multimedia-Ausbilder bei Gruner + Jahr, begleitet in seinem Sprachblog Deleatur von der Schweiz aus die deutsche Presse. In Sachen "Spiegel" hält Schramka, der heutzutage in Zürich das Büro für Kommunikation und PR leitet, fest: Ein neuer Kurs könnte nicht schaden.
Herr Schramka, kaum machte das Gerücht die Runde, beim "Spiegel" müssten die Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron schon wieder weichen, da häufen sich im Social Web süffisante Kommentare der Branchenbeobachter über einen möglichen Nachfolger. Wie konnte es so weit kommen, dass das einstige Meinungsführer-Medium Nummer 1 mit Spott überzogen wird?
Weil das Heft dünn geworden ist. Nicht nur in der Seitenzahl. Dafür ist das PR-Maul größer geworden. Das haben wir Leser natürlich bemerkt. Da darf sich die Redaktion nicht wundern, wenn wir Stattler und Waldorfs jetzt im Social Web eine hämische Soße an Sarkasmus anrühren. Früher hatte ich den "Spiegel" jeden Montag drei Stunden auf dem Bistrotisch und hatte alles Wichtige gelesen. Heute kaufe ich ihn nicht mehr. Auch aus Prinzip, weil er die Wechselkurs-Anpassungen zum Franken nicht mitgemacht hat und die Schweizer abzockt.
Haben sich "atmosphärische" Spannungen, wie sie zwischen Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron stets vermutet worden sind, auf Konzept und Qualität der Medienmarke ausgewirkt?
Klar. Es gibt ja zwei "Spiegels". Der eine wird auf Papier gedruckt, der andere auf den Bildschirm. Synergien kann ich nur beim Logo erkennen. Früher war der gedruckte "Spiegel" pointierter, kritischer, frecher. Und hatte mehr gute Ideen. Heute läuft der Schreiber der ständigen Burnout-Titel ja Gefahr, dass er selbst einen kriegt. So viel, wie er zu tun hat.
Würde es aus Ihrer Sicht Sinn machen, wenn beim "Spiegel" die Doppelspitze aufgelöst und künftig nur noch ein Chefredakteur Print und Online verantworten würde?
Ja. Dann gäbe es endlich einen Fähnleinführer. Und der kann dann den Pfad durch den Info-Dschungel weisen. Man stelle sich nur mal vor, das Kriegsbeil der beiden Redaktionen würde in der Bleiwüste vergraben! Was könnte "Spiegel online" dann alles machen. Und das Heft käme vielleicht auf frische Einfälle. Aber für einen Print-Mann ist es wahrscheinlich ein Albtraum, wenn seine Story online mit News weitergeführt würde. Nichts für selbsternannte Edelfedern.
Die letzte Suche nach einer neuen Spitze beim "Spiegel" nach der Demission von Stefan Aust verlief dilettantisch und endete mit einer internen Besetzung, die nun offensichtlich auch nicht funktioniert hat. Wo und wie würden Sie einen neuen Chefredakteur suchen?
Ich würde dem "Spiegel" meine Telefonnummer geben (lacht) ...
Sie haben vor wenigen Wochen den Neustart des Gruner-Flaggschiffs "Stern" recht kritisch begleitet, viele Fehler bemängelt und den Relaunch in dieser Form als überflüssig eingestuft. Könnte auch der "Spiegel" in eine solche Falle tappen?
Ja, und wohl billiger. Aber statt den üblichen Kladderadatsch in ein neues Tütchen zu stecken und ein rosa Schleifchen drumzumachen, sollte er sich selbst den Spiegel vorhalten. Wenn die Kollegen lange genug hineinschauen, erkennen sie vielleicht, was zu tun wäre. Gut wäre noch, wenn sie sich vorher ein paar alte Exemplare aus den 70er-Jahren aus dem Keller holen lassen.