
Pharma-Kreation:
"Der Bierdeckel, auf dem wir tanzen"
Wer im Gesundheitsmarkt mit dem Wachstum Schritt will, muss Antworten für das Marketing finden. Gunther Brodhecker, Kreativchef bei Schmittgall Health, verrät, wie unter Regulierung gute Kreation entsteht.

Foto: Schmittgall
Mancher Kreative in einer Agentur mag weiter die Nase rümpfen, wenn er an Pharmawerbung denkt, an RX und das deutsche Heilmittelwerbegesetz. Doch die Gesundheitsbranche ist massiv im Umbruch. Digitalisierung verändert alle Bereiche, und die Klaviatur der Kommunikation ist nicht schmächtiger als im Consumer-Bereich.
Außerdem wird investiert, nicht jeder Euro dreimal umgedreht. Es ist ein Wachstumsmarkt, der viele neue Player auf den Plan ruft. Gunther Brodhecker jedenfalls, Geschäftsführer Kreation bei Schmittgall Health, hat den Wechsel aus der FMCG-Welt und der glamourösen Autowerbung nie bereut. Und findet heute leichter denn je talentierten Nachwuchs.
Herr Brodhecker, Sie selbst haben Ihre Karriere als Kreativer im Bereich FMCG und Automotive gemacht. Weshalb sind Sie dann zu einer Pharmaagentur gewechselt?
Es gab zwei, drei attraktive Angebote damals. Die Entscheidung war nicht so sehr Healthcare oder nicht. Letztlich haben mich bei Schmittgall die Menschen überzeugt, die Agenturkultur. Ich komme selbst aus einem Familienunternehmen, von einem großen Reiterhof im Hessischen. Die Schmittgall fühlte sich wie eine Familie an und hat mich stark an das Miteinander zu Hause erinnert. Ich wusste schnell: Das ist es, das machst Du!
Pharmawerbung hat keinen guten Ruf. Wenig kreativ, wegen der vielen Beschränkungen. Hat Sie das nicht gestört?
Wenn über wenig kreative Healthcare-Werbung geschimpft wird, dann betrifft es fast immer OTC. Das ist wie Kommunikation für Konsumgüter, nur dass die Zielgruppen halt nicht hipp sind, sondern eben Senioren. TV beispielsweise erinnert da oft an frühere Spots für P&G-Produkte mit ihrer wenig überraschenden Mechanik: Problem-Setup, Demo, Benefit-Celebration. Aber gerade im RX-Bereich – bei den verschreibungspflichtigen Medikamenten - gibt es tolle Arbeiten, die intelligent und disruptiv sind. Oder auch bei den weniger regulierten Medizinprodukten, die oft nur digital vertrieben werden, wie etwa das Allergiebett für gesundheitsbewusste Besserverdiener. Das ist Hardcore-Leadgenerierung und Sales-Funnel-Kommunikation, aber da lassen sich richtig gute Sachen machen.
Und thematisch?
Schwierig fand ich schon immer gut. Ich habe früher schon Werbung für den Finanzsektor gemacht und fand das spannend. Aber Healthcare macht mehr Spaß. Man ist nah am Menschen, arbeitet viel mit Insights. Es menschelt und das ist mein Ding. Außerdem sind Gesundheitsthemen en vogue und es wird immer noch Geld für Kommunikation in die Hand genommen.
Heißt das auch. Dass es leichter ist, kreative Talente zu verpflichten?
Ich glaube, es ist viel leichter geworden. Erstens, weil das Thema Gesundheit so ungemein breit und fast schon ein Lifestyle-Thema ist. Es interessiert uns alle. Viele von uns nutzen die Möglichkeiten beispielsweise zur Selbstoptimierung. Spricht man mit der Next Generation Kreation über digitale Gesundheitsanwendungen, über Apps und ähnliche Angebote, so findet sie das toll. Selbst ‚Big Pharma‘ wird heute mehr wertgeschätzt. Immerhin gelang es ihr, schnell Impfstoffe gegen Covid-19 zu entwickeln. Was den Ruf lange prägte, war wie gesagt OTC. Aber das nehmen unsere Jungkreativen kaum wahr, weil es nur in Print und in TV zu sehen ist. Die leben schlicht in einem anderen Werbeuniversum von Netflix & Co.
Dennoch gibt es wohl keinen Bereich, der mehr durch den Gesetzgeber eingeschränkt ist als Healthcare-Werbung.
Das ist richtig. Die Regulatorien sind der Bierdeckel, auf dem wir tanzen. Bei RX ist der klein, bei OTC etwas größer. Aber wir denken kreativ frei. Erst dann kommen die Vorgaben und wir machen es passend. Kreativ heißt da auch mit den Einschränkungen schöpferisch umzugehen. Wichtig ist nur, dass wir die Vorgaben nicht als Ausrede für schlechte Kreation nehmen. Denn es gibt genügend Beispiele, die das Gegenteil beweisen. Ich zeige meinen Leuten als Antwort immer gute Kampagnen, die bei uns oder auch in anderen Agenturen entstanden sind. So das geniale MS-Fahrrad von Grey Australien. Mithilfe eines Rads alle Phänomene von MS deutlich zu machen – das ist eine Spitzenidee, mit der bei allen Wettbewerben gewonnen werden kann. Das ist nicht Pharma, das ist einfach nur gut.
Was müssen Kandidat:innen mitbringen, um als Kreativer oder Kreative hier glücklich zu werden?
Lust auf Gesundheitsthemen ist natürlich kein Fehler. Und bei Gestaltern ist es hilfreich, wenn sie nicht nur kreativ, sondern auch extrem gewissenhaft sind. Es gibt einen Typus bei den Kreativen, der darauf keine Lust hat, dass man beispielsweise medizinisch referenziert. Dann wird es schwierig. Ich habe in meinem Team eine international erfahrene Kreative, die Lust auf Medizin hat und auch auf Awards. Aber auch sie brauchte natürlich Zeit, bis sie mit den Regulatorien klarkam.
Ihr bildet viel selber aus?
Ja, vor allem Texter, Konzeptioner, aber auch Gestalter. In der Kreation haben wir eine gute Mischung von Leuten, die schon 20 Jahre im Haus sind und jungen Kollegen. Von bis. Ich suche gezielt nach passenden Kandidaten bei der Texterschmiede. Wenn mir Talente auffallen, dann versuche ich sie für unser Thema zu gewinnen und kämpfe dafür auch. Da kann schon mal passieren, dass wir Kandidaten auch langfristig im Visier haben, weil wir sie perfekt passen würden. Und zuschlagen, wenn sie nicht mehr happy im alten Job sind.
Wir investieren viel Zeit und Energie in unser Kreativteam. Es kann leicht passieren, dass das kreative Produkt zu stark an einer Person hängt, eben etwa am Kreativchef. Das will ich nicht und das kann sich keine Agentur langfristig leisten. Umso wichtiger ist es für mich, die Kreation im Ganzen fit zu machen. Heute profitieren wir von einer über die Jahre gewachsenen Kreativkultur. Wir leben Ideen. Wir sichten, was ist wettbewerbstauglich, wie kann man Ideen noch größer machen? Wir optimieren und veredeln die Arbeiten immer weiter. Priorität hat natürlich, dass das Kundenproblem gelöst wird.
Wie wichtig ist Kreation? Auch für die Kunden. Hat sich da etwas gegenüber früher geändert?
Ich sehe da keine großen Unterschiede zu früher. Das wichtigste ist, dass es Kampagnen sind, die ihren Job machen. Idealerweise sind die so gut, dass wir etwas einreichen können, ohne uns dafür zu schämen. Wobei ich felsenfest davon überzeugt bin, dass Arbeiten, die kreativ sind, weil sie auffallen und überraschen, besser funktionieren. Darum quälen wir uns so lange, bis aus einer strategisch richtigen Lösung auch eine kreativ gute wird. Bei neuen Kunden muss sich das erst entwickeln. Da ist es für den Auftraggeber oft nicht so einfach, die mutigere Kampagne zu akzeptieren. Das hat auch mit Vertrauen zu tun. Als Agentur müssen wir ihm dann erklären, dass die Sehnsucht nach Sicherheit letztlich risikoreicher ist, als das Ungewöhnliche zu wagen. Denn am schlimmsten ist es, wenn man gar nicht wahrgenommen wird. Umgekehrt gilt: Haben Kunden erfahren, dass es sich lohnt, mutig zu sein, bleiben sie es auch in Zukunft. Zumal der Verantwortliche merkt, dass er, mit Blick auf die eigene Karriere, selbst davon profitiert. Das ist nur menschlich.
Die Möglichkeiten und Kanäle zu kommunizieren sind in den vergangenen Jahren explodiert. Begünstigt das die Kreativität?
Es macht unseren Job vor allem anspruchsvoller. Auf der einen Seite braucht es nach wie vor die Big Idea als eine Art Anker für alle Maßnahmen. Andererseits ist eine Kreativität auf einer anderen Ebene gefordert, die nichts mit der Leitidee zu tun hat: für die Vernetzung, Interaktion, die Platzierung von Content, die individuelle Ansprache der Zielgruppen und anderes mehr. Es müssen Antworten auf Fragen wie die Leadgenerierung gefunden werden. Wie begleiten wir die Zielperson im Sales Funnel immer weiter bis zum Kauf? Da ist eine besondere Kreativität im Detail gefragt. Heute gibt es so viele verschiedene Momente, wo wir einen Menschen passend zu seiner Befindlichkeit ansprechen. Für diese vielen Micro-Momente der Kommunikation müssen auch gute Ideen her, viele Small Ideas sozusagen. Das Megafon der Big Idea reicht da nicht mehr.
Plattformen wie gesund.de, die Bestellplattform der Initiative Pro AvO und Online-Versender: Wie wirken sich diese auf Kreation, beispielsweise aufs Packaging aus?
Wir beobachten diese Plattformen ganz genau. Aber sie sind nur eine Vertriebsform von vielen. Viele Kunden gerade im Bereich der Medizinprodukte verkaufen lieber direkt, wegen der höheren Marge. Dass mehr Produkte als früher online ausgewählt werden, hat sehr wohl Folgen für die Kommunikation. Aber beim Packaging eher weniger. Die gleichen Arzneimittel müssen ja auch am physischen PoS verkauft werden. Die Rolle der Apotheke als Verkaufsmaschine mit einer eigenen Raumlogik hat sich ändert. Online ist zunehmend der Standard für regemäßig zu kaufende Produkte, die Apotheke wird dafür aufgewertet in Richtung persönliche Beratung.
Uns beschäftigt mehr, was die Menschen dazu bewegt, sich für das eine oder andere Arzneimittel oder Gesundheitsprodukt zu entscheiden – sei es am physischen oder am virtuellen PoS.
Ohne Big Data geht auch im Gesundheitsmarkt immer weniger. Wie wichtig sind datengetriebene Kommunikation und Kreation?
Bei Schmittgall haben wir früh das Thema Inbound Marketing fokussiert und dafür Lösungen entwickelt. Oft mithilfe von Hubspot. Wir betreiben Leadgenerierung, verknüpft mit unserem Wissen als medizinisch kompetente Agentur und unserer kreativen Leistungsfähigkeit. Das funktioniert sehr gut. Dabei hilft es, dass wir einen bestimmten Schlag an Kreativen haben, der nicht vergangenheitsorientiert ist, dafür aber umso neugieriger auf Technik.
Schmittgall nimmt seit Jahren an Kreativwettbewerben teil. Weshalb?
Ja, schwerpunktmäßig im Healthcare-Bereich. Die Kreativwettbewerbe sind die Peitsche für uns selbst. Natürlich geht die Welt nicht unter, wenn wir keine Preise gewinnen. Ich will so oder so ein herausragendes kreatives Produkt haben, weil es den Kunden am meisten hilft. Zugleich wollen wir im Feld der Healthcare-Agenturen immer unter den Top5 sein, weil wir überzeugt davon sind, genau dorthin zu gehören. Jede Idee kann gut sein, ob sie vom Konzeptioner, vom AD, dem Berater oder der Putzfrau kommt. Das ist mir egal. Aber dafür braucht es eine Kreativkultur, die diesen Namen auch verdient. Wettbewerbe sind ein wichtiger Teil davon. Nicht nur wegen der Außenwirkung, sondern eben auch als Signal nach innen.