Transformationsprozess:
Der Spiegel zündet die nächste Stufe von Projekt Orange
Ab 1. September gibt es unter anderem eine neue redaktionelle Struktur, die die Grenzen zwischen Print und Online verschwinden lässt.
Am 1. September ist es soweit: Dann wird beim Spiegel die nächste Stufe der Fusion von Print- und Online-Redaktion gezündet. Im Rahmen dieses "Projekts Orange", intern auch "Agent Orange" genannt, stehen einige Veränderungen an. Die gravierendste: Der Gemeinschaftsbetrieb startet. So richtig wird das für die Nutzer ab dem kommenden Jahr zu sehen sein: Dann erfolgt ein Relaunch der Website, die fortan nicht mehr Spiegel Online heißen wird, sondern Der Spiegel – das Komplettangebot wird zu einer einzigen Marke.
Ein Blogbeitrag des Spiegel dazu verrät genauere Details. So wird es Ressorts mit gemeinsamen Ressortleitungen geben, erstmals auch ein gemeinsames Impressum. Insbesondere für die Mitarbeiter von Spiegel Online stehen Verbesserungen an: Neue Regelungen bei Gehalt und Arbeitszeiten sollen die Unterschiede zur (besser gestellten) Printredaktion verringern. Heißt natürlich auch: Geben wird es diese Unterschiede trotzdem noch.
Eine weitere Veränderung: Zum 1. September wechseln die ersten 30 Mitarbeiter von Spiegel Online in den Spiegel Verlag, was bedeutet, dass sie stille Gesellschafter der Mitarbeiter KG werden können.
Kein einfacher Prozess
Der Weg dahin war, gelinde gesagt, holprig, wie die Orange-Projektleiter Susanne Amann und Birger Menke schreiben: "Bei laufendem Betrieb, mit neuer Chefredaktion und einer Redaktion, die zwischenzeitlich mit der größten publizistischen Krise ihrer Geschichte konfrontiert war — Stichwort Relotius — in so einer Zeit über neue Strukturen nachzudenken, ist eine Herausforderung, um es diplomatisch zu formulieren."
Umso mehr freue man sich über das, was geschafft wurde. So hätten sich die Betriebsräte nach monatelangen Verhandlungen mit der Geschäftsführung auf die kaufmännischen Rahmenbedingungen für den Gemeinschaftsbetrieb geeinigt. Dabei ging es neben der Arbeitszeit und der Vergütung auch um die Gewinnbeteiligung, die Hausbräuche, den Wechsel von Spiegel Online zum Spiegel-Verlag und die Verträge mit dem Presseversorgungswerk.
Eine zweite Ebene wird eingezogen
Die redaktionelle Struktur wurde neu geordnet: Unterhalb der Chefredaktion gibt es jetzt eine zweite Ebene mit Blattmacher, Managing Editors, einem Nachrichten- und einem Entwicklungschef. Dazu zählt außerdem die Creative Direction, die erstmals die Optik aller Spiegel-Produkte verantworten wird. Zugleich wurde das Ressort Sonderthemen aufgelöst, diese Mitarbeiter sind nun in den Ressorts Leben und Geschichte angesiedelt. Dann gibt es noch das Ressort Audience Development, in dem Leserbriefe, das Forum und Social Media zusammenlaufen.
Ein Dashboard, mit dem die Performance der Spiegel+-Artikel gemessen wird, soll ebenfalls weiterentwickelt werden. Es soll künftig darüber Auskunft geben, welche Texte wie viele Interessenten bringt, welche Texte lange gelesen werden – also Größen, mit denen die Relevanz der Beiträge über Klickzahlen hinaus gemessen wird.
Neue Standards für die Dokumentation
Der Fall Relotius hat außerdem noch für neue Standards im Bereich Dokumentation gesorgt – auch wenn die Idee dazu schon vorher existierte. Der Entwurf einer Arbeitsgruppe wird derzeit diskutiert, im Herbst soll das "Standard-Book" dann fertig sein.
De Fusion ist damit allerdings noch lange nicht vollzogen. Denn Unterschiede würden ja nicht mit einem neuen Organigramm verschwinden: "Für eine gemeinsame Redaktion, die auch so empfunden und gelebt wird, braucht es gemeinsame Erlebnisse, gemeinsame Ziele, gemeinsamen Erfolg und durchaus auch gemeinsame Niederlagen. Dafür braucht es jede und jeden Einzelnen. Und es braucht Zeit."
Der Umbau sei letztlich ein riesiges Modernisierungsprojekt: "Wir stehen gerade mal am Anfang, der Wandel wird anhalten, er wird kompliziert und anstrengend bleiben." So weiter zu machen wie bsher sei jedoch keine Alternative gewesen. Das Ziel sehe so aus: "Wir wollen Journalismus so anbieten, dass er für Leser und Nutzer attraktiv ist und sie bereit sind, dafür zu bezahlen." Damit man weiterhin das bieten könne, "was wir am besten können und für wichtig halten: exzellenten, investigativen Journalismus."