Interview:
Whatsapp während Wacken: So geht Live-Kommunikation
Wie sich aus einem Einmal-Ereignis positive Langfristeffekte für die Marke erzielen lassen, erläutert Christiane Wiemann von der Agentur East End.
Festivalbesucher oder Messegäste haben zwar kein Interesse an Werbung, wenn sie live vor Ort sind, aber sie nutzen permanent ihr Smartphone. Um sich zu informieren oder das Erlebnis via Social Media zu teilen. Deswegen ist Whatsapp hervorragend geeignet, um Besucher mit Marken in Kontakt zu bringen. Was das für Event-Agenturen bedeutet und welche Strategie die Wacken-Organisatoren fahren sollten, haben wir Christiane Wiemann, Strategy and Innovation Lead bei East End, gefragt.
Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Events im Laufe der Customer Journey?
Events sind im modernen Marketing nicht mehr wegzudenken. Dennoch werden sie immer noch zu wenig in die Markenstrategie eingebunden und oft als singuläre und kurzzeitige Veranstaltung gesehen. Stattdessen wären Unternehmen besser beraten, das Event in den Mittelpunkt ihrer Kommunikation zu stellen und daraus abgeleitet kommunikative Botschaften über einen längeren Zeitraum zu spielen.
Adidas hat das vergangenes Jahr mit aufwendig inszenierten, integriert umgesetzten Consumer Events in Großstädten vorgemacht und einen interessanten Case geschaffen. Markenkommunikation liegt heute mehr denn je in einem persönlichen Markenerlebnis, das reale Kommunikationsanlässe bietet und deshalb weit über den Moment hinaus wirkt. Wer heute sein Kommunikations-Budget effizient nutzen will, kommt an der kompletten Vermarktungskette im Zeitraum der Pre- und Post-Event-Phase nicht vorbei. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Marketing-Messe Dmexco, die sich künftig als Content-Hub positionieren und die Besucher über das ganze Jahr mit Informationen versorgen will.
Gerade eben ist in Wacken das Heavy-Metal-Festival zu Ende gegangen. Was wären da Ihre Ideen für Whatsapp-Kommunikation mit dem Publikum?
Schöne Aufgabe! Sprechen wir von Whatsapp-Maßnahmen eines Sponsors vor Ort oder vom Veranstalter? Wenn wir spaßeshalber von Letzterem ausgehen, würde ich zunächst abklopfen, was der Veranstalter für Ziele und Herausforderungen rund um das Event hat. In diesem Fall läge der Fokus wohl darauf, einen möglichst reibungslosen Ablauf vor Ort (trotz Hitze, logistischen Herausforderungen etc.) zu gewährleisten und das besondere Offline-Erlebnis digital zu spiegeln. Und das idealerweise vor, während und nach dem Festival. Also starten wir (trotz Hitze) die Kopfmaschine. Hier erste bunte Gedanken:
Im Vorfeld
- Vorfreude schüren: Line-Up posten, neue Songs anteasern, wilde Matsch-Fotos der Community aus dem letzten Jahr teilen mit Gewinnspiel für letzte VIP-Tickets
- evtl. noch restliche Tickets (eher unwahrscheinlich, ich weiß) verkaufen oder Festival-Ausstattung von Aspirin bis Zelt verlosen
- Anreise-Tipps mit Wegbeschreibung und Links zu Google Maps teilen, über freie Unterkünfte vor Ort informieren oder logistische Dinge vor Ort humorvoll und im Heavy Metal-Stil teilen, bspw.: Wo gibt es den besten butterweichen Butterkuchen für harte Kerle und welche lebenswichtigen (skurrilen) Dinge des Festival-Lebens werden auch vor Ort im Supermarkt knapp?
Während des Festivals
- Lageplan der Bühnen und akute zeitliche Anpassungen im Line-Up verschicken
- Wegen der Hitze: Regelmäßig zum Wassertrinken animieren, Hot Dust Alert: Besucher können melden, wo auf dem Festival-Gelände Wassertanks zum Staubbändigen fahren sollen
- Bier-Alarm: an welchen Ständen sind die kürzesten Schlangen
Nach dem Festival
- Staumelder für die Rückreise, Wartezeiten der Fähre Glückstadt
- Dankeschön und Verlinkung auf weitere relevante Inhalte aus den digitalen Kanälen des WOA (Wacken Open Air). Ggf. Verkauf von limitierten Tickets oder Rabatten für das nächste Jahr, Infos von den Sponsoren mit Überleitung zu limitierten Produkten oder Einkaufsrabatten, Verkauf von Merchandising-Artikeln
Was müssen Events heute bieten, um Menschen zu begeistern – und gleichzeitig auf die Marke einzuzahlen?
Das hört sich an, als wäre das ein Widerspruch. Wir bei East End sprechen gar nicht so gerne von Events, sondern stattdessen von "Markenerlebnissen". Jede gesunde Marke hat einen unverwechselbaren Kern, eine Mission, ein Angebot und einen Charakter, den man in einem Event mit allen Sinnen – so wie in keinem anderen Kanal – erleben kann. Das allein ist eine riesige Chance, etwas Besonderes und Emotionales zu inszenieren. (Und wenn die Marke angeschlagen sein sollte, kann ein Event hier natürlich ebenso ansetzen und helfen, die Wahrnehmung der Marke positiv zu beeinflussen.)
Wir stellen uns die Marke gerne als "reale" Person vor, die aus einem bestimmten Anlass eine bestimmte Gruppe Menschen zu einem besonderen Erlebnis einlädt oder begleitend vor Ort ist. Wie wird also eingeladen? Was ist das Motto? Was erwartet mich vor Ort? Was gibt es speziell an diesem Event zu schmecken, zu hören, zu riechen, das zu der Marke und dem Motto passt? Was begeistert die Besucher? Wen treffe ich dort? Wen nicht? Was wird unverwechselbar in Erinnerung bleiben? Und was sollen die Besucher für ein Gefühl oder Erlebnis mitnehmen? Das alleine bietet einen irre großen kreativen Gestaltungsraum. Und das Ganze noch kombiniert mit innovativer Technologie (wie z.B. AR/VR, RFID), Bühnenshows, Künstlern, Promis, Medienkooperationen, VIP-Arealen… die Möglichkeiten sind einfach endlos.
Eine Marke kann im Grunde nur in einem echten Markenerlebnis vollumfänglich zum Leben erweckt werden. Und sorgt für Überraschungsmomente, wie zum Beispiel bei unserem Pop-Up-Store für die Weinwelt von Aldi Süd: Statt Preispromotion und oberflächlicher Werbeversprechen kann sich eine Marke anfassbar präsentieren, einen Mehrwert geben, mit dem Besucher "sprechen" und ein bestimmtes Gefühl vermitteln.
Dazu kommt der Hunger der Menschen nach einzigartigen, möglichst personalisierten Erlebnissen: Durch die Flut der virtuellen und digitalen Möglichkeiten gewinnt ein multisensuelles Erleben enorm an Wert(schätzung). Und dank Social Media und Mobile sind Markenerlebnisse nicht länger ein Nischenphänomen, sondern können – wenn es denn Teil der Aufgabe ist – durch integrierte Konzeption und Kommunikation auch eine gewisse Reichweite und Impact erzielen. Sei es durch Owned oder Earned oder sogar durch das Bewerben von Events via Paid Media.
Sind Menschen auf Events überhaupt empfänglich für digitale Kommunikation? Tun es da nicht die bisher bekannten Werbemittel wie Banner, Give-aways, Stände?
Empfänglich für digitale Kommunikation im Sinne von "Ich konsumiere Werbung" ist man sicher nicht, nein. Der entscheidende Punkt ist die alltäglich gewordene Nutzung des Smartphones mit all den Möglichkeiten in Verbindung mit den daraus erwachsenden neuen Bedürfnissen vor Ort: Man möchte es zum einen so einfach wie möglich haben, sich vor Ort zu navigieren. Das Smartphone ist in den meisten Fällen stets in der Hosentasche oder in der Hand.
Und zum anderen gibt es das Bedürfnis, die Besonderheit des Erlebens digital via Social Media zu teilen und mit seiner Person sichtbar zu verknüpfen. Über das Smartphone kann ich informativ, relevant, nützlich, unterhaltsam, verbindend sein. Sei es, indem ich die Lust zur Selbstdarstellung nutze und einzigartige Fotohintergründe installiere oder Erlebtes via Social Media verlängere – bis hin zu Vouchern oder Give-Aways, die man via "Pay/Get-per-Post" erhält. Es gibt so viele Möglichkeiten, auch für eine Interaktion: Umfragen durchführen und den Verlauf der Veranstaltung mitbestimmen, Inhalte der Veranstaltung via Messenger mit anderen teilen, innovative Foto-Tools, die ich mit meinem Handy steuere und dann direkt versenden kann. Menschen, die dieses Mal nicht dabei sein konnten, via digitaler Messages mit Goodies oder Tickets fürs nächste Mal versorgen. Und und und…
Wie ändern sich die Vorstellungen der Unternehmen hinsichtlich ihrer Präsentation online und offline?
Das Verständnis und der Wunsch nach wirklich integrierten Umsetzungen sind absolut da und ich würde sagen, der Druck unserer Kunden, erfolgreiche Cases umzusetzen, steigt kontinuierlich. Auch durch immer schneller akut werdende Innovationen (wie jetzt gerade AI). Aber in der Realität sehen wir, dass die Schere zwischen der meist richtigen Vision und tatsächlicher Zukunftsfähigkeit oft noch weit auseinander geht. Speziell wenn es von der Theorie in die operative Umsetzung kommt, ist man mit altbekannten Silos, unterbesetzten Digital-/Content-Abteilungen, geringer Innovations-Freude und zu vielen wechselnden Ansprechpartnern konfrontiert. Und das wird immer mehr zu einer Herausforderung, denn wenn bei den Unternehmen das digitale Fundament in Sachen Operations nicht oder nur wackelig steht, werden die immer schneller anstehenden Innovations-Themen immer schwieriger umzusetzen sein. Also kann ich z.B. schlecht eine nachhaltige AR/VR im Rahmen eines Events umsetzen, wenn es keine Content-Strategie und Digitale Vision für die Marke und das Unternehmen gibt. Machen kann man das natürlich schon. Es zahlt sich nur in den wenigsten Fällen aus.
Wie reagieren Sie da als Agentur drauf? Welche (neuen) Angebote machen Sie Ihren Kunden?
Zum einen indem wir Kunden die Steuerung dieser Integrationsprozesse mit anbieten und das Koordinieren der vielen Schnittstellen übernehmen. Interessanterweise haben wir als Agentur für Markenerlebnisse sehr oft Schnittstellen zu vielen Abteilungen wie PR, Content, Marketing, Digital, Media, wodurch wir wichtige Einblicke erhalten, Erfahrungen transparent machen und Prozesse managen können. Zum anderen, indem wir sogenannte Innovations-Produkte entwickelt haben, die wir unseren Kunden als "Plug and Play"-Lösung im Paket mit anbieten.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Zum Beispiel mit einer Whatsapp-Lösung als "digitalem" Erlebnis-Layer einer Fachmesse im Beauty-Bereich. Oder als begleitender Service einer Incentive-Reise einer großen Automobilmarke. Oder auch mediale Verlängerungs-Pakete mit Künstlern für unseren Kunden Aida. Oder aus der "anderen" Seite kommend: aufwendige Performance-Evaluierungen via digitaler Messtechniken, um Events auch ganzheitlich bewerten zu können.
Unser Bestreben ist es, den gesamten Stream mit abzubilden. Daher ist auch das Evaluieren, das Verstehen und Verbessern, übrigens auch der Whatsapp-Umsetzungen, immer öfter Teil unseres Leistungsumfangs. Wir befinden uns hier in einem stetigen Innovations-Prozess und arbeiten mit Startups oder Firmen in einer Art Co-Creation. Wir lernen, verwerfen, verbessern. Das ist insgesamt ein sehr spannender Prozess. Nicht immer einfach, aber am Ende sehr lohnend und absolut notwendig, um zukunftsfähig zu bleiben.
Welche der digitalen Kanäle eignen sich bei der Event-Kommunikation am besten?
Das hängt stark vom digitalen Setup der einzelnen Marke, dem Unternehmen und der Zielsetzung ab. Zum Beispiel ist die Nutzung von Instagram für eine Beauty-Marke Standard. Diesen Kanal aber für ein wichtiges B2B-Event in der Vor- und Nachkommunikation zu nutzen, ergibt keinen Sinn, da zwar ein Marken-Fit, aber weder ein Ziel- oder Zielgruppen-Fit gegeben ist.
Wir schauen uns daher für eine Event-Konzeption immer das vorhandene Kommunikationsuniversum an: Von Database für Mailings, Website-Verwendung, Social Media, App-User, Vertrieb, Offline-Touchpoints etc. und entscheiden dann, was effektiv und effizient ist. Whatsapp sticht da allerdings etwas raus, weil es einfach ein sehr demokratischer und universeller Kanal geworden ist. Laut aktuellen Zahlen der GfK (Juli 2018) ist Whatsapp mit 83 Prozent der deutschen Online-Bevölkerung das reichweitenstärkste Mobilangebot. Und auch die Nutzungsintensität zeigt, in welch breitem Umfang Whatsapp heute zum Alltag gehört: 89 Prozent der 14-60-Jährigen nutzen Whatsapp täglich oder mehrmals die Woche. Eine Entwicklung, die man auch im privaten Umfeld sehr gut nacherleben kann.
Und was ist mit Instagram und Snapchat?
Instagram und Snapchat haben, so wie alle anderen noch möglichen Plattformen, ihre Berechtigung, wenn sie denn zur Zielgruppe, zur Marke und zu den Zielen passen. Der genaue Einsatz wird bei jedem Projekt en detail geprüft. Auch in Abhängigkeit zum digitalen Status der Marke. Bei einem B2B-Event macht z.B. der Einsatz von Instagram wenig Sinn, da das Erreichen vieler Follower sehr wahrscheinlich nicht zielführend ist. Snapchat hat seine Berechtigung bei einer sehr jungen Zielgruppe und Lifestyle-Teenie-Marken. Allerdings ist es für uns wichtig, die Trends und die Machart der Snaps/Loops/Stories grundsätzlich zu beobachten, zu verstehen und diese Art von sehr kontextuellem Snack-Content in unsere Konzeption zur Event-begleitenden Content-Produktion mit einfließen zu lassen.
Christiane Wiemann verantwortet bei East End den Bereich Strategie und Innovation. Die Agentur hat sich auf Markenerlebnisse spezialisiert - von der strategischen Beratung über die operative Umsetzung bis zur Erfolgskontrolle. Das Unternehmen zählt zu den 15 umsatzstärksten Eventagenturen.