Erkenntnisse aus dem US-Wahlkampf für Marken:
Warum Trump gewinnt, obwohl Harris das bessere Produkt ist
Hier ist eine unangenehme Wahrheit: Es ist möglich, mit einem schlechteren Produkt gegen die Konkurrenz zu gewinnen. Wie? Durch klare Versprechen. In einfacher Sprache. Immer und immer wieder. Ein Blick auf die Ergebnisse der US-Wahl genügt. Von Kimberly Ewton, US-Bürgerin und Kreative bei Antoni.
Ich habe dieses Jahr beschlossen, eine Auszeit von meinem Job in der Agentur zu nehmen und mich beim Wahlkampf für Harris und Walz zu engagieren. In den zwei Wochen vor der Wahl am 5. November war ich mit dem „Coordinated Campaign Team“ in Richmond, Virginia, aktiv, wo ich wahlberechtigt bin.
Ich konnte dieses Mal einfach nicht nur per Briefwahl abstimmen und den Wahlkampf aus der Ferne beobachten, wie ich es bisher oft getan habe. Ich wusste, ich musste vor Ort sein, die Ärmel hochkrempeln und aktiv daran mitarbeiten, meinen Traum – den Traum von etwa 50 Prozent der US-Bevölkerung und Millionen von Menschen weltweit – wahr werden zu lassen: die MAGA-Bewegung endgültig aus unserem Leben und unseren Algorithmen zu verbannen.
Aber eine Marke mit so unverschämt einfachen Botschaften, Reichweite und Wiedererkennungswert zu schlagen, ist keine leichte Aufgabe. Besonders dann, wenn die DemokratInnen immer wieder die gleichen Fehler machen wie in der Vergangenheit.
Was läuft da falsch? Hier sind zwei Theorien:
Die DemokratInnen lieben die Komplexität. Die RepublikanerInnen machen das Leben einfach.
Betrachten wir ein Thema, das im Wahlkampf im Mittelpunkt stand – die Wirtschaft. Laut „The Economist“ erbt der nächste Präsident eine Wirtschaft, die andere Länder neidisch macht („The American Economy: The Envy of the World“, October 2024 ). Historische Daten zeigen auch, dass demokratische Präsidenten immer wieder gewählt wurden, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Und doch gelingt es den RepublikanerInnen, die Wirtschaft als Achillesferse der DemokratInnen darzustellen – und meist fallen die DemokratInnen darauf herein.
Ihr erinnert euch vielleicht: Harris forderte Trump in der Woche vor den Wahlen auf, ein letztes Mal in einer Debatte auf CNN aufzutreten. Er lehnte ab, und stattdessen fand ein „Town Hall“-Format statt, bei dem Harris vor einer Gruppe unentschlossener Wähler Fragen beantwortete. Als sie gefragt wurde, wie sie die Inflation bekämpfen würde, erklärte sie sofort, dass sie „price gouging“ (Deutsch: „Preistreiberei“) verbieten wolle, und sprach dann über ihre Erfahrung als Staatsanwältin in Kalifornien, wo sie solche Täter mehrfach zur Rechenschaft gezogen habe.
Das klingt nach einem soliden Plan.
Wenn man darüber nachdenkt.
Doch Nachdenken bringt Menschen nicht unbedingt dazu, für jemanden zu stimmen. Leider.
Was macht Trump? Wann immer er über den Kampf gegen die Inflation sprach, setzte er darauf, dass niemand den Begriff „price gouging“ wirklich versteht oder ihn googelt. Er sprach kontinuierlich von seiner „radikal linken Gegnerin“, die angeblich die Preise für Lebensmittel diktieren wolle, was letztlich dazu führen würde, dass die Preise steigen.
Hm. Das klingt beängstigend.
Und ich muss nicht einmal darüber nachdenken.
Das bedeutet, ich werde vielleicht nie merken, dass das, was er sagt, gar keinen Sinn ergibt.
DemokratInnen gehen davon aus, dass die Menschen informiert sind. RepublikanerInnen gehen davon aus, dass sie nichts wissen.
Bleiben wir beim Thema Wirtschaft und Inflation. Am Ende des Tages interessiert sich jeder dafür, wie viel seine Lebensmittel kosten, und strategisch gesehen war es klug von der RepublikanerInnen, die Menschen mit der Angst vor steigenden Preisen zu vereinen. Die Art und Weise, wie die RepublikanerInnen dies jedoch nutzten, könnte als Beleidigung der Intelligenz all jener betrachtet werden, die ihre Botschaften hörten.
Ein einfaches Beispiel für die Strategie der RepublikanerInnen ist das Thema Eierpreise. JD Vance, der gewählte Vizepräsident, machte Harris in seinen Reden für die gestiegenen Eierpreise verantwortlich. Was war der eigentliche Grund? H5N1, die Vogelgrippe. Ein Ausbruch, der 2022 begann und über 100 Millionen Vögel in den USA betraf, führte zu einer Eiknappheit, die wiederum die Preise in die Höhe trieb. Die Bauern konnten mit der Produktion nicht Schritt halten, und allein im letzten Jahr stiegen die Eierpreise um 40 %. Es ist eigentlich ganz einfach.
Ja, das geschah während der Amtszeit von Harris und Biden. Nein, es geschah nicht wegen ihrer Amtszeit.
Die RepublikanerInnen setzen darauf, dass die meisten Menschen keine einfachen wirtschaftlichen Prinzipien oder den Unterschied zwischen Ursache und Korrelation verstehen.
Sie versprechen uns, dass alles ganz einfach ist, und liefern einen so einfachen Grund, dass man nicht weiter nachfragt und nicht weiter nachdenkt.
Viele denken:
Oh, das ist beängstigend.
Oh, das ist einfach.
Oh, ich verstehe.
Trump gut. Harris schlecht.
Trump niedrige Preise. Harris hohe Preise.
Die Trump-Kampagne setzte diese Erzählung in verschiedenen Touchpoints fort – in einfachen Worten. Das eindrucksvollste Beispiel fand ich die Wahlplakate, die ich an meinem Wahllokal und oft vor den Vorgärten gesehen habe.
Wie gesagt. Unverschämt einfach.
Die Lektionen, die man daraus lernen kann
Sollte man also den RepublikanerInnen in allem nacheifern? Bedeutet das, dass wir unsere Zielgruppen für uninformiert halten? Sicherlich nicht. Aber Marken, die qualitativ hochwertige Produkte haben, sollten ihre Zielgruppen „überparteilich“ ansprechen – denn die reine Produktqualität reicht nicht aus, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen.
Gute Kommunikation erfordert von Marken, dass sie sowohl die Komplexität einer Sache annehmen als auch wahrheitsgemäße Botschaften vermitteln, die leicht verständlich und einprägsam sind. Es bedeutet, unser Publikum zu respektieren, indem wir davon ausgehen, dass sie nicht dumm sind – und ihnen gleichzeitig kurze Wege aufzeigen, den breiteren Kontext zu erfassen, da viele Menschen einfach nicht genug Stunden im Tag haben, um tiefer zu graben.
In diesem Wahlzyklus hatten die DemokratInnen das bessere Produkt: eine solide und integrative Politik mit nachweislich langfristig positiven Effekten und eine Kandidatin, die bereit war, die Spaltung im Land mit Freude und Optimismus zu überwinden. Eine Kombination aus dieser Qualität und der klaren, selbstbewussten und unermüdlichen Kommunikation der RepublikanerInnen hätte definitiv mehr unentschlossene WählerInnen gewinnen können.
Das ist eine Lektion für alle Marken.
Botschaften haben eine enorme Kraft. Sie können Menschen in jede erdenkliche Richtung lenken, wie wir in den US-Wahlen gesehen haben. Lass uns nun versprechen, diese Macht zum Guten einzusetzen.
Über die Autorin: Kimberly Ewton ist Creative Strategist bei Antoni und amerikanische Staatsbürgerin, die sich entschlossen hat, den Rechtsruck durch ihr Engagement weiterhin zu bekämpfen.
Dieser Beitrag ist Teil der W&V-Kolumne Creative Social Responsibility. Zuletzt sind dort unter anderem diese Themen erschienen:
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