Interview über den Online-Supermarkt der Zukunft:
"Keiner kommt auf die Idee, mal die Kunden zu fragen"
Im Interview mit W&V erklären die myEnso-Gründer Norbert Hegmann und Thorsten Bausch, wie sie sich den Online-Supermarkt der Zukunft vorstellen. Ein Test läuft bereits in Bremen.
Der Mensch hat im Zuge der Digitalisierung gelernt, dass er direkt mit Marken und Unternehmen in Dialog treten kann. Diese Tatsache machen sich die beiden Gründer Norbert Hegmann und Thorsten Bausch mit myEnso zunutze, einem Online-Marktplatz für Lebensmittel und One-Stop-Shop für mehr als 100.000 Supermarktprodukte, der Kunden und Hersteller erstmals direkt zusammenbringt. Im Bremer Testmarkt können Kunden etwa den "Wünsch-Dir-was-Button" drücken. Bei 1.000 Likes wird die Idee umgesetzt. Außerdem können Kunden als Pioniere helfen, den Online-Supermarkt der Zukunft mitzugestalten - belohnt wird das mit Einkaufsgutscheinen und Anteilen. So finden die Gründer: "In zwanzig Jahren wird der Supermarkt so sein, wie der Kunde ihn möchte." W&V hat mit beiden Gründern gesprochen.
Herr Hegmann, Herr Bausch, woran hakt es derzeit im deutschen Online-Handel von Lebensmitteln?
Bausch: Konsumenten bemängeln, dass sie die Produkte nicht anfassen und riechen können. Sie vertrauen der Kühlkette und Frische nicht. Sie können sich online nicht so gut inspirieren lassen wie im stationären Geschäft. Zusammenfassend können sie ihr sozialisiertes Einkaufsverhalten online nicht wiederfinden. Das liegt daran, dass die tradierten Supermarktketten ihre Offline-Konzepte einfach in die Online-Welt überführen. Es gibt derzeit viele Punkte, mit denen Konsumenten im Online-Lebensmittelhandel unzufrieden sind und sich konkrete Verbesserungen wünschen. Und es kommt einfach keiner auf die Idee, einfach mal die Kunden zu fragen, was sie wollen.
Bausch: Außerdem ist die logistische Umsetzung viel zu teuer. Auch da gehen wir voran und haben mit Grenzebach Maschinen eines der führenden Robotik-Unternehmen als Partner gefunden.
Was macht MyEnso anders als andere Online Supermärkte?
Bausch: Wir hatten die Chance, den Online-Lebensmittelhandel nochmal ganz neu zu denken und 1,5 Millionen Euro in Marktforschung investiert. Darauf basierend haben wir ein Konzept für den Online-Supermarkt der Zukunft entwickelt, den sieben Millionen deutsche Haushalte gern ausprobieren würden*. Der Grundgedanke von myEnso ist Partizipation und das setzen wir mit unserem Ansatz einer hundertprozentigen Customer Centricity auch so um. myEnso ist eine handelsneutrale Plattform, die Hersteller und Verbraucher erstmals wieder in den direkten Dialog bringt. Nicht mehr und nicht weniger.
Warum brauchen Kunden heute überall Mitspracherecht? Kann man mit Produkten und Angeboten „von der Stange“ nicht mehr punkten?
Bausch: Der Mensch hat im Zuge der Digitalisierung gelernt, dass er direkt mit Marken und Unternehmen in Dialog treten kann. Das hat den Konsumenten gestärkt. Nun will er sich einbringen und mitentscheiden. Da ist es nur logisch, dass er diese Macht nicht mehr abgibt.
Wie hat sich unser Einkaufsverhalten geändert und wie wird es sich noch ändern? Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Bausch: Wir durchleben gerade einen fundamentalen Wertewandel in unserer Gesellschaft. Menschen entscheiden sich häufiger für Marken, deren Werte mit ihren eigenen übereinstimmen. Sie müssen einer Marke vertrauen, um die Produkte auch wirklich zu wollen. Der Konsument sucht vorwiegend nach Orientierung und Inspiration und nicht nach Effizienz und Spezialisierung. Er verlangt Offenheit und Ehrlichkeit von Marken und Unternehmen. Der Mensch von heute wünscht sich jemanden, der auf ihn eingeht, Vorschläge macht. Diese Wünsche bedient myEnso beispielsweise mit dem zentralen Element „Wünsch-dir-was-Button“ und bringt Hersteller und Konsumenten in einen direkten Dialog.
Sie arbeiten mit einem Testmarkt in Bremen, in dem Sie Verbraucherreaktionen auf Angebote testen. Was lernen Sie dort?
Hegmann: Wir haben bereits gelernt, dass Konsumenten sich Dinge wünschen, die direkt vor unseren Augen liegen. Einige der Ideen sind so banal und naheliegend, dass wir uns gewundert haben, wieso sie noch kein anderer Player umgesetzt hat. Beispielsweise haben wir einen „Wünsch-dir-was-Button“ entwickelt, über den unsere Kunden ihre Wünsche zu Produkten, dem Shop selbst oder ähnlichem äußern können. Bei 1.000 Likes setzen wir den Wunsch dann um. Außerdem werden wir ein Kühlsiegel für die Lieferkisten einführen und eine Mindesthaltbarkeitsangabe im Online-Shop, inklusive entsprechendem Preisnachlass, wenn das MHD näher rückt.
Wie gehen Sie mit all den gewonnenen Daten und Insights um?
Hegmann: Wir richten uns nach den strengen Datenschutzbestimmungen. Wir behandeln jeden Kunden erstmal so, wie jemanden, den man auf der Straße trifft. Erst, wenn man sich näher kennenlernt und das Vertrauen da ist, ist der Kunde bereit, seine Daten freizugeben, um seinen Einkauf zu optimieren. Gibt er beispielsweise die Daten seines Einkaufs frei, kann myEnso ihm eine Einkaufsliste zusammenstellen oder individuelle Angebote machen.
Bausch: Wir haben keine Datenvermarktung geplant. Hersteller, die unsere Wissenspakete buchen, bekommen die Ergebnisse basierend auf nichtpersonalisierten Informationen zu ihrer Kategorie. Dazu haben wir sogenannte Category-Partnerschaften in Zusammenarbeit mit Kantar TNS geschaffen.
Kunden können sich an MyEnso beteiligen – wie funktioniert das?
Hegmann: In der Testmarktphase suchen wir in Bremen, Hamburg und Hannover Pioniere, die uns dabei unterstützen, den Online-Supermarkt der Zukunft zu gestalten. Für seine Mitgestaltung bekommt ein Pionier Einkaufsgutscheine und wird je nach zeitlichem Engagement an myEnso beteiligt. Später kann dann jeder Kunde Teilhaber an myEnso werden. Dazu wird ein Teil von myEnso genossenschaftlich organisiert. Jeder kann für einmalig 100 bis 10.000 Euro einen Anteil an myEnso erwerben. Damit verbunden ist ein Vorteilsprogramm. Unser langfristiges Ziel ist es, dass myEnso irgendwann nahezu vollständig Deutschland gehört beziehungsweise alle Kunden einen Anteil an myEnso halten.
Was können andere Händler von Ihnen lernen?
Bausch: Nur, wer den Konsumenten zuhört und die gewonnen Insights in die Produktentwicklung einbezieht, dessen Konzept wird erfolgreich sein.
Sprachassistenten, Smart Homes, Drohnen - Wo steht der Handel in 20 Jahren? Wie sieht der Supermarkt der Zukunft aus?
Bausch: In zwanzig Jahren wird der Supermarkt so sein, wie der Konsument ihn möchte. Wenn der Kunden seinen Einkauf per Drohne geliefert haben möchte, dann bekommt er ihn per Drohne. Wer über Alexa bestellen möchte, kann über Alexa bestellen. Wir sehen jedoch noch viel Innovationspotenzial in näherer Zukunft. In der Logistik können Roboter eingesetzt werden, um die Logistik rentabel zu machen und in der IT kann die Shop-Usability verbessert werden, um das Feeling des stationären Einkaufens auch in die Online-Welt zu transportieren. Technologien wie Augmented Reality können eingesetzt werden, um den Online-Einkauf erlebbarer zu gestalten.
* Quelle: Kantar TNS, Hochrechnung aus Konzepttest mit 800 Befragten, 2016