Mittelstand:
"Die Kundensicht mit den IT-Kollegen zusammenbringen"
Digitalisierung im Vertrieb sollte Schritt für Schritt erfolgen, sagt Alexander Stahmer von Simon-Kucher & Partners. Aufgrund ihrer hohen Kundennähe haben Mittelständler hier entscheidende Vorteile.
Herr Stahmer, welche Voraussetzungen müssen mittelständische Unternehmen für die Digitalisierung im Vertrieb erfüllen?
"Die Hauptvoraussetzung ist das volle Commitment und ein klares Ziel des Top-Managements: Nur wenn von oben der Glaube an die Vorteile der Digitalisierung des Vertriebs da ist und der Glaube vorgelebt wird, kann das gesamte Unternehmen sich in diese Richtung entwickeln. Da gehört natürlich auch Mut dazu. Zum Beispiel wenn es darum geht, alte IT-Systeme abzulösen, die mal viel Geld gekostet haben. Hinzu kommt, dass der Return-on-Investment von neuen Vertriebs-Tools im voraus nicht immer gut kalkulierbar ist."
Wie sollten die Mitarbeiter "mitgenommen" werden?
"Auch hier ist ein klares Ziel entscheidend. Mitarbeiter sollten nicht im Ungewissen gelassen werden, was die Digitalisierung für jeden einzelnen bedeutet. Wenn ein Unternehmen Vertriebsabläufe automatisiert und Friktion aus dem Kaufprozess entfernen will, hat das Einfluss auf viele Mitarbeiter: Wie verändert sich die Rolle des Außendienstes? Wie die Rolle des Innendienstes oder des Telefonvertriebs? Wie wird sich die Vertriebsvergütung ändern? Welche Abläufe werden sich ändern? Das alles sind Fragen, die unweigerlich bei den Mitarbeitern aufkommen werden."
Gerade das Thema Vertriebsvergütung ist sensibel.
"Richtig. Wenn Online-Verkäufe nicht wie Offline-Verkäufe vergütet werden, wird der Außendienst den digitalen Kanal so lange bekämpfen, wie er kann. Schafft man es, Online-Verkäufe einer Region oder einem Mitarbeiter zuzurechnen, wird es eine Symbiose der Kanäle geben, und einer gelungenen Transition steht nichts mehr im Weg. Auch sollte man IT-affine Mitarbeiter einstellen. Ebenfalls wichtig sind Kollegen, die mit Daten umgehen können."
Weil man damit sicherstellt, ...
"dass man nicht nur Daten sammelt, sondern auch die richtigen Schlüsse daraus zieht und besser wird. Ganz entscheidend ist es dabei, Vertrieb und Marketing – also die Kundensicht – mit der Technik, also den IT-Kollegen, zusammenbringen. Vertriebler wissen oft nicht, was technisch möglich wäre, während IT-ler oft nicht wissen, was in der täglichen Arbeit mit dem Kunden hilfreich wäre. Die 'Supermänner', die wissen, was aus kaufmännischer Sicht nötig und aus technischer Sicht umsetzbar ist, sind rar und teuer. Also braucht es den Austausch der beiden Funktionen."
Sollten Mittelständler bei der Digitalisierung im Vertrieb iterativ vorgehen, oder braucht es den einen klaren Schnitt bei der Umstellung?
"Die Umsetzung kann nur Schritt für Schritt erfolgen. 'Big-Bang-Umstellungsprozesse' sind von Gestern und zum Scheitern verurteilt. Besser ist es immer, klein zu starten, im Verlauf zu lernen und danach neue Prozesse oder Tools auszurollen. Ein Key Learning aus der CRM-Welle vor zehn bis 20 Jahren ist, dass man Abläufe erst standardisieren und eindeutig definieren muss, bevor man sie digitalisiert. Ein weiteres Beispiel ist das Pricing. Versuchen Sie mal, ein Bauchgefühl in ein Pricing Tool zu programmieren. Es braucht eine klare Struktur und ein System hinter der Preisbildung und Rabattierung, die dann in ein Tool überführt wird. Erst dann kann dem Vertrieb ein Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden und kein Datengrab."
Inwieweit sind aus Ihrer Sicht mittelständische Unternehmen beim Aufsetzen von digitalen Vertriebsprozessen im Vorteil gegenüber großen Organisationen?
"Eine hohe Kundennähe kann in der Tat ein entscheidender Vorteil sein. Wer die Kunden besser versteht, weiß auch besser, wie er die Kunden digital erreicht. Das heißt: Ein Mittelständler kann im Zweifel zielgerichteter und personalisierter auf Kunden über Online-Kanäle zugehen. Zudem sollte die geringere Komplexität der Vertriebsprozesse im Vergleich zu einem Konzern und somit eine schnellere Umsetzung der Digitalisierung ein Vorteil sein. Geschwindigkeit wird immer mehr ein ganz entscheidender Wettbewerbsvorteil. Während im Konzern noch diskutiert wird und Abstimmungsrunden laufen, kann der Mittelständler schon umsetzen. Wenn man bedenkt, dass das Rennen in der B-to-B-Welt, anders als in der B-to-C-Welt, in Bezug auf Digitalisierung noch offen ist, kann ich nur hoffen, dass viele Mittelständler beherzt an das Thema herangehen."