Evolution der Plattformen:
"Social Media ist in der Gesellschaft angekommen"
Mit einem Handy in der Hand wird heute jeder zum cineastischen Genie, meint Influencer-Experte Philip Papendieck. Deswegen wird Video-Content immer wichtiger - und Social Commerce ist der nächste große Trend.
MySpace oder StudiVZ sind heute so antik wie ein Schwarzweiß-Fernseher, und auch Facebook ist nicht mehr so ganz jung. Im Interview erklärt Philip Papendieck, CEO der Influencer-Marketing Agentur Intermate, wie und warum sich die Plattformen so schnell wandeln - und was als nächstes kommt.
Herr Papendieck, auf welchem Social Network waren Sie heute schon unterwegs? Was war gut, was hat genervt?
"Ich war tatsächlich heute morgen auf LinkedIn unterwegs. Das ist meine erste Social Media Plattform, über die ich wichtige Informationen für mein Business beziehe. Ich habe mir dort auch über Hashtags, denen ich folge, wie z.B. TikTok, relevante Postings angeschaut. Das mache ich durchaus auch gern. Früher habe ich direkt morgens auch noch andere Plattformen konsumiert – das habe ich mir privat aber inzwischen abgewöhnt, damit ich nicht in den frühen Morgenstunden schon so einen digital overload bekomme. Das hat nämlich schon genervt: zu viele Plattformen, zu viele Informationen. Deshalb habe ich das bewusst reduziert."
Was war eigentlich der Durchbruch der sozialen Netzwerke – und wie haben diese sich im Lauf der Zeit gewandelt?
"Was unseren Kosmos betrifft, machten den Start damals Facebook und YouTube. Durch unsere Brille betrachtet, waren das nämlich die ersten Plattformen, auf denen man Influencer Marketing größer gedacht hat und auf denen sich Creator-Communitys entwickelt haben. Wir hatten vorher natürlich bereits Plattformen wie MySpace, die bereits Anfang der 2000er Jahre auf dem Markt waren. Aber 2004 bzw. 2005 kamen Facebook und YouTube schnell dazu. Das würde ich als die Geburtsstunde der für uns relevanten Social Media Kanäle betrachten. 2006 kam Twitter, 2010 Instagram und dann Snapchat. TikTok ist wohl die jüngste und frischeste Plattform.
Video ist mittlerweile das Instrument Nummer Eins ist. So werden Clips auch von Plattformen wie Instagram gepusht – sei es über die Stories-Funktion, IGTV oder natürlich Reels. Letzteres analysieren wir ganz aktuell: Wie intensiv wird Reels wirklich genutzt, wie erfolgreich ist das Format? Aber unbestritten ist bereits jetzt: Durch die Möglichkeit, immer einfacher und ohne jede technische Hürde Video-Content zu erstellen, wird das als Instrument auch immer relevanter. Das werten auch die großen Player so - Apple hat gerade erst einen Spot veröffentlicht, der zeigt, dass selbst erfolgreiche Filmemacher nur noch ein Handy brauchen und das iPhone 12 Pro jeden Nutzer zum cinematischen Genie macht. Diese geringe Schwelle treibt natürlich die Menge an Video-Content, der produziert und dargestellt wird, immer weiter voran. Das halte ich aktuell für eine der größten Entwicklungen. Eine weitere spannende Veränderung ist, dass Social Communities zu Content-Plattformen werden. Deswegen sprechen wir inzwischen ja auch vermehrt von Content-Creator und weniger von Influencern. Die Frequenz ist auch sehr viel höher geworden. Man sieht z.B. bei TikTok, dass Creator dort bis zu vier oder fünf Postings täglich veröffentlichen. Gerade im Vergleich zu einer Plattform wie YouTube, wo es ursprünglich ein bis zwei Clips pro Woche waren, ist das natürlich eine enorm hohe Frequenz. Außerdem ist ersichtlich, dass die Plattformen immer stärker voneinander kopieren. YouTube kommt mit Shorts um die Ecke, Instagram mit Reels – daran sieht man relativ deutlich, wie die Plattformen ihr Portfolio immer mehr erweitern. Wie geht’s weiter? Social Commerce, gerade mit Shoppable Videos, wird das nächste große Trendthema sein. Von YouTube laufen hierzu gegenwärtig schon Tests. Man kann also nach wie vor viel Bewegung in der Entwicklung der Plattformen beobachten."
Eine Zeitlang hieß es, man erreicht auf Social Media insbesondere junge Menschen. Ist das noch zeitgemäß? Wen erreicht man wo?
"Social Media ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es geht bei weitem nicht mehr nur um junge Nutzer – ganz im Gegenteil: Wir haben für alle Plattformen demografische Insights und können auslesen, wer sich wo rumtreibt und wessen Videos konsumiert werden. Auf Instagram ist es zum Beispiel so, dass wir etwa bei Mutter-/Vater-Influencern, also bei 'Mom-/Dadfluencern' Creator haben, die unter ihren Followern nur noch 8 Prozent im Bereich der 13- bis 17-Jährigen haben und über 90 Prozent bei den über 18-jährigen Usern. Das heißt, inzwischen haben wir hier Creator, die mehr über 35-jährige Follower haben als unter 18-jährige. Das zeigt sehr klar, wie sich auch die Demografie inzwischen verschoben hat – weg von Teenies, hin zur Mitte der Gesellschaft. Natürlich gibt es auch Plattformen, die neu dazukommen, wie TikTok, die dann stärker bei der Gen Z verortet werden können, aber eben auch andere Plattformen, die dann schon eher ein wenig gereift sind, wie z.B. Instagram. Grundsätzlich ist Social Media, wenn man es für Marken betrachtet, für jede Altersgruppe relevant."
War es absehbar, dass die Netzwerke inzwischen aus keinem Mediaplan mehr wegzudenken sind?
"Absehbar hätte es gewesen sein sollen, war es aber sicher für viele Marketer nicht, da Social Media früher, also vor sechs, sieben Jahren, eher als Goodie angesehen wurde. Das haben wir damals selbst so erlebt: Erst, wenn die eigentliche Mediaplanung komplett gemacht, die ganze Creation abgeschlossen und die Strategie klar war, wurde angedacht, die Ideen optional, ergänzend auf Social Media zu spielen. Mittlerweile ist es aber so, dass man einen Teil der Zielgruppe außerhalb der Plattformen kaum mehr erreicht. Wir sehen, eine klassische TV-Nutzung, also in dem Maße, wie man es früher kannte, ist nur noch bedingt gegeben. Und wenn Werbung läuft, konsumieren die Zuschauer diese beileibe nicht so aufmerksam, wie es notwendig wäre – gerade in Zeiten von 'Second Screen', in denen man mit Smartphone in der Hand vor dem Fernseher sitzt. Auf dem Smartphone selbst haben die Nutzer wiederum häufig Adblocker aktiviert. Es wird also immer schwieriger, diese Zielgruppen zu erreichen. Genau da ist Social Media natürlich eine ausgesprochen starke und valide Option, teilweise vielleicht sogar der einzige Weg, um die Zielgruppe kontinuierlich und nachhaltig anzusprechen. So verwundert es nicht, dass mittlerweile sogar 'Social First'-Kampagnen in Auftrag gegeben werden – also komplett konträr zur Herangehensweise von vor sechs Jahren. Mittlerweile kommen Marken von sich aus und sagen, lass‘ uns einen Produktlaunch für die Gen Z zuerst via Social Media gestalten und anschließend überlegen, ob man das auch für TV oder dergleichen adaptieren kann. Aber zunächst soll es auf Social Media gespielt werden und daher soll auch die ganze Kampagne auf die jeweiligen Plattformen zugeschnitten sein. Daran sieht man eine klare Verschiebung binnen weniger Jahre."
Was kommt als nächster Schritt in der Evolution der Netzwerke?
"Social Commerce. Man sieht sehr, sehr deutlich, wie TikTok das Thema gerade mit einer Shopify-Partnerschaft vorantreibt. Google ist da auch sehr aktiv und experimentiert mit Video-Content und den Creatorn. Ziel ist es, Produkte in den Clips zu platzieren. Man ist da ebenfalls mit Shopify im Gespräch. Auch bei Instagram gibt es mittlerweile die Möglichkeit, z.B. bei IGTV, Produkte zu vertaggen. Sicherlich wird auch der nächstes Jahr integrierte Checkout bei Instagram das ganze Social Commerce Thema voranbringen. Auf Snapchat haben wir den ganzen Bereich Augmented Reality in Verbindung mit Produkten, was sicherlich auch dazu beitragen wird, diesen Trend zu fördern. Dementsprechend ist das auch für Werbetreibende mit Sicherheit einer der spannendsten Aspekte."
Was raten Sie Werbungtreibenden, die keinen Trend verpassen wollen, aber doch irgendwie immer hinterherhinken?
"Das wichtigste ist, dass Werbungtreibende immer mit der Zielgruppe und den Creatorn im Austausch bleiben. Denn sie sind es, die die Trends auf den Plattformen tatsächlich leben und prägen. Sie können die Marken an die Hand nehmen und Insights oder Trends von morgen am besten beschreiben. Deswegen sollten Werber hier immer mit Creatorn im Kontakt bleiben und lernen, selbst wie ein Creator zu denken. So bleiben sie am Zahn der Zeit und können alles mitgestalten."