Markenimage:
Warum heute alle wie Patagonia sein wollen
Apple war in der Vergangenheit häufig Vorbild für andere Marken - doch meist unerreicht. Irmgard Hesse erklärt, warum die Outdoormarke Patagonia neuerdings Apple den Rang abläuft.
Ein häufig geäußerter Traum vieler Auftraggeber:innen in der Markenführung war über viele Jahre, es "wie Apple" zu machen. Dieser Marketingtraum wird interessanterweise nun abgelöst: nun wollen Auftraggeber "es" wie Patagonia machen. Was steckt dahinter?
In dieser Zeit, als die Marke Apple das immer gern zitierte Vor- und Wunschbild vieler Marketingleiter:innen war, wurde gern übersehen, dass Apple nicht deshalb eine starke Marke ist, weil sie so schön minimalistisch und souverän kommuniziert, sondern weil Apple für gleich mehrere Produkt-Revolutionen und eine bestimmte Haltung im Design steht, und das über Jahrzehnte hinweg.
Apple hat es wiederholt geschafft, uns Kund:innen immer wieder das Gefühl zu geben, dass genau das Produkt, das wir uns - ohne es zu wissen - schon immer gewünscht hatten, jetzt endlich erfunden wurde.
Apple - nichts ist schwerer als radikale Einfachheit
Einer der größten Geniestreiche von Steve Jobs war zweifelsfrei das 2007 erstmals präsentierte iPhone, dessen Tastatur - anders als damals bei allen nur halbwegs vergleichbaren Modellen - in das Oberflächen-Display integriert war. Bis heute wurde das iPhone nach Schätzungen über unfassbare 2 Milliarden Male verkauft. Und schon seit den Verkaufsschlagern Apple I und Apple II Ende der 1970er Jahre ist die Geschichte des Unternehmens eine der extremen Erfolge. Vom iPad, über die Apple Watch bis hin zu den zu digitalen Plattformen und Vertriebswegen wie iTunes und App-Store stand, immer ein gewisser Wagemut und Pioniergeist Fokus - und vor allem die Idee, das Leben von Menschen mit Technik und Design radikal einfacher zu machen. Oder wie es Apple in einer Anzeige vor vielen Jahren formulierte: "Never been there. Never done that".
Es lässt sich also die Behauptung aufstellen, dass hier ebendiese Erfolgsgeschichte Marke und Signet mit Begehrlichkeit auflädt und nicht umgekehrt: Wir betrachten den Apple-Apfel und denken an Erfolg und progressive, digitale Lebensstile. Dabei war das Logo schon zur Zeit seiner Entwicklung 1976 keineswegs originell, gab es doch seit knapp zehn Jahre lang die bekannte gleichnamige Plattenfirma der Beatles.
Was aber wäre gewesen, wenn Apple danach kein kometengleicher Erfolg beschieden gewesen wäre? Würden wir auch dann von einem genialen Branding sprechen? Wohl kaum. Allen Unternehmen, die sagen, sie hätten gern ein Branding wie Apple, sollte man entgegnen, dass dies nur dann funktioniert, wenn sie tatsächlich wie Apple sind.
Think different: Nur die eigene Story kann eine Erfolgsgeschichte sein
Was wiederum heißt, dass sie überhaupt nicht wie Apple sein dürfen. Sondern einzigartig, mutig und originell. Apple ist stets eigene Wege gegangen, Opportunismus kannte die Marke über lange Zeit nicht. Ende der 90er Jahre manifestierte sich diese Haltung, Dinge neu zu denken in der Kampagne "Think different".
Und das ist ein Hinweis und hervorragendes Argument gegen die Umfrage- und Marktforschungshörigkeit unserer Zeit ist: Auf die Frage, ob man Computer von einem Unternehmen kaufen würde, das einen angebissenen Apfel in seinem Logo trägt, hätte vor Gründung des Konzerns wohl so gut wie niemand mit "Ja" geantwortet, oder?
…und heute: einmal Patagonia, bitte
Interessant ist, dass der Apple-Marketingtraum aktuell abgelöst wird: jetzt wollen viele Auftraggeber:innen "es" gern wie Patagonia machen und formulieren diese Bestellung in vielen Briefings. Was steckt hinter diesem neuen Wunsch?
Es hat sich herumgesprochen, dass sich jede zukunftsfähige, starke Marke um das Thema Nachhaltigkeit "kümmern" muss. Die Verbraucherinnen und Käufer sind in ihrem Anspruch hier oft deutlich weiter als das Angebot der Unternehmen und so kann die fehlende Berücksichtigung von nachhaltigen Themen zum K.O-Kriterium beim Kauf werden.
In vielen Beratungsprozessen geht es also um die Frage, wie und in welcher Form "Nachhaltigkeit" in die DNA der Marke eingeschrieben werden kann. Denn diese "Eigenschaft" ist zu einer grundlegenden Überlebens-Voraussetzung geworden. Das Thema kann in der Markenführung nicht ignoriert werden und zieht, wenn es ernst genommen wird - und das muss es, sonst sprechen wir richtigerweise von Greenwashing - jede Menge Arbeit auf der Handlungsebene nach sich.
Erst die Taten, dann die Story
Und hier ist wiederum der Blick auf die Unternehmens- und Markengeschichte der Outdoormarke interessant. Der erste Katalog von Patagonia-Gründer Yvon Chouinard aus dem Jahr 1972 ist 74 Seiten stark, zeigt ein chinesisches Gemälde aus dem 16. Jahrhundert und enthält Essays, Bergsteigerfotos und Skizzen. Produkte werden nur am Rand erwähnt. "Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass die Ressourcen der Erde unendlich sind", ist im allerersten Text zu lesen. Diesen Kurs setzt Patagonia fort: Bis heute sind soziales Engagement und die Unterstützung von Protestbewegungen untrennbar mit der Marke verbunden. Schlagzeilen macht das Unternehmen 2011, als es zum Black Friday eine ganzseitige Anzeige in der New York Times schaltet: "Don`t buy this jacket".
"Reparieren ist eine radikale Handlung", bloggte Patagonias damalige Finanzchefin und bekennende Buddhistin Rose Marcario 2015. Obwohl Patagonia hochpreisige Kleidung verkauft und in Kampagnen dazu aufruft, am besten gar nichts zu kaufen und erstmal vernünftig flicken zu lernen, wächst die Marke deutlich schneller als die Outdoor-Branche. Die teils verheerenden ökologischen und sozialen Produktionsschäden, die dabei entstehen, legt Patagonia mit einem fast eigenartig wirkenden Stolz offen. Vielleicht ist dies der Grund für den Erfolg: Wer dermaßen antikapitalistisch wirbt, dem scheinen Umsätze egal zu sein - und ein nicht von Gier getriebenes Unternehmen erweckt als echtes Einhorn offensichtlich große Begehrlichkeiten.
Umgewandelt in eine gemeinnützige Stiftung, gilt Patagonia heute als Vorreiter einer Gemeinwohl-Ökonomie, ein Unternehmen, das die Trump-Regierung verklagt und in Shorts Etiketten mit "Vote the asses out" einnähen lässt. Dies alles sind Aktivitäten eines authentisch wirkenden Unternehmens, die bereits im Ursprung der Unternehmensgeschichte so angelegt waren und genau deshalb wahrhaftig wirken, natürlich und echt.
Auch bei Patagonia ist das starke Markenbild nur ein Spiegel, im besten Fall ein Verstärker der Inhalte, für die Patagonia schon stand, als Naturschutz als ein Thema für spinnerte Zausel in Rüschenhemden angesehen wurde. Und das ist der Punkt, der beim Wunsch "wie Patagonia" wahrgenommen zu werden, gern übersehen wird: Die Handlungsebene ist und bleibt die entscheidende Stellgröße und das ist gut so.
Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern überlebenswichtig
Nachhaltigkeit ist, richtig verstanden, gelebt und ernst genommen, kein "Spaßverderber", sondern der wichtigste Fortschrittsmotor, den wir aktuell haben. Sie ist kein "Trend", sondern steht für einen grundlegenden, nötigen Wandel, um unsere Gesellschaft auf nachhaltiges Wirtschaften, Verbrauchen und Leben umzubauen. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass nahezu alle Marken sich ausführlich dem Thema widmen und überlegen, wie sie nachhaltige Aspekte als Haltung in ihrer Marke verankern können.
Unternehmen sollten keine Bedenken vor den kleinen Schritten haben. Niemand kann von heute auf morgen alles richtig machen. Aber Verbrauch:innen wollen sehen, dass sich Marken auf den Weg machen und nicht nur Versprechen abgeben, sondern Taten folgen lassen.
Erst, wer seine Marke mit Leben und Wertvorstellungen, mit Inhalten, mit Leben und Herzblut gefüllt hat, kann ruhigen Gewissens in den Spiegel schauen. Apple und Patagonia sind starke Marken, weil beide Marken über Jahrzehnte in der Produktentwicklung und der Unternehmensführung einzigartige Innovationen entwickelt und Substanz für ihre Marken aufgebaut haben. Ich wünsche mir sehr, dass wir alle diesen Zustand irgendwann einmal erreichen.
Nicht, damit es mehr Marken gibt, die so sind wie Apple oder Patagonia. Sondern, damit es starke Marken gibt, die durch Echtheit überzeugen - durch Pioniergeist, Mut und Eigensinn.
Über die Autorin
Irmgard Hesse ist geschäftsführende Gesellschafterin, bei Zeichen & Wunder. Die Marken- und Designagentur steht für die enge Verzahnung von strategischem Denken, ausgezeichnetem Design und Storytelling.
Kunden sind unter anderem Bründl Sports, Deuter, Fraunhofer Gesellschaft, Gemeinde Ismaning, Herrmannsdorfer Landwerkstätten, Judith Williams Cosmetics, Landeshauptstadt München, Naturkundemuseum BIOTOPIA, Parador, Sanacorp, SAP, Sporthaus Schuster, Valensina und Wolfra. Weitere Informationen unter: www.zeichenundwunder.de