Björn Portillo*, Hmmh:
4 Schritte für mehr digitalen Schwung im Einzelhandel
Die Hose, die einem online gefällt, gleich im Laden mitnehmen und per Push-Nachricht das passende Hemd vorgeschlagen bekommen. So stellt sich Björn Portillo, Hmmh, Connected Retail vor. Was dazu nötig ist.
Der Handel in ein paar Jahren – so könnte er aussehen: Weil ich im Online-Shop erfahre, dass meine favorisierte Jeans auch im Laden um die Ecke verfügbar ist, mache ich mich auf den Weg, um sie dort direkt anzuprobieren. Bereits kurz vor dem Geschäft erhalte ich eine Push-Nachricht auf mein Smartphone, die mir mitteilt, dass ich das Hemd von meiner Merkliste für fünf Euro weniger sofort kaufen könnte. Im Laden liegt die Hose schon für mich bereit. Hose und Hemd passen, aber weil ich sie nicht sofort mitnehmen will, schickt sie mir der Verkäufer kostenlos nach Hause. Weil er außerdem durch meine Kaufhistorie meine Vorlieben kennt, empfiehlt er mir gleich noch eine Jacke. Zwar ist diese nicht im gewünschten Blau im Lager vorrätig, aber ich kann sie in einem Digital-Signage-Screen anschauen. Die Jacke lege ich mal in meine Merkliste, auf die ich online wie auch im Store Zugriff habe. Das Hemd und die Hose bezahle ich bargeldlos mit meinem Smartphone und verlasse das Geschäft. Am nächsten Tag erhalte ich alles bequem nach Hause geliefert.
Dies ist eines von vielen Szenarien, die im Moment auf Herz und Nieren getestet werden, um den Kunden auch am Point of Sale (POS) die bestmögliche digitale und personalisierte Kundenansprache bieten zu können. Für Händler, die sich bisher noch nicht mit dem Thema Connected Retail beschäftigt haben, mag das auf den ersten Blick vielleicht fast schon bedrohlich wirken: Wie soll man das nur alles schaffen? Welche Aspekte sind für mich relevant? Und wo bitte soll ich eigentlich anfangen?
Aus meiner Erfahrung möchte ich Ihnen gerne folgende Schritte empfehlen:
1. Aller Anfang liegt beim CEO
Die erste Voraussetzung ist eine Unternehmensführung, die voll und ganz hinter dem Thema steht. Ohne geht es nicht. Erfolgreiche Lösungen im Connected Retail zu entwickeln und umzusetzen, muss Chefsache sein, da die Umsetzung einen Einfluss auf die gesamte Organisationsstruktur haben kann.
Wichtig ist, dass alle internen Stakeholder in das Projekt involviert werden. Ein kanalübergreifendes Einkaufserlebnis, das analoge und digitale Elemente miteinander verschmelzen lässt, bedarf vielfacher Kompetenzen: Marketing, IT, Sales, die Verkäufer selbst – sie alle müssen dafür an einen Tisch. Gerade die Mitarbeiter im Laden spielen dabei eine zentrale Rolle, da nur sie das Konzept in der Praxis erfolgreich umsetzen können. Deshalb muss gleich zu Beginn eine ganzheitliche Vision geschaffen werden, auf die alle Beteiligten hinarbeiten.
2. Der Kunde steht im Fokus aller Aktivitäten
Die Zielgruppe ist natürlich der Kunde. "User Centricity" darf also nicht nur als Buzzword, sondern muss als Selbstverständlichkeit verstanden werden. Ohne im Vorfeld die Kundenbedürfnisse zu identifizieren und die Verhaltensweisen kennenzulernen, sollten Sie nicht beginnen. Nur so können Sie wirklich relevante Services an den dazu passenden Touchpoints am POS zu mehrwertstiftenden Interaktionen anbieten.
Eine solche mehrwertstiftende Interaktion kann bereits ein einfaches Tablet ermöglichen: Der Verkäufer kann für den Kunden so ergänzende Produktinformationen aufrufen und ihm zusätzliche Produkte anbieten, die aktuell nicht auf der Fläche sind. Darüber hinaus könnte er so Zugriff auf die Kaufhistorie des Kunden erhalten, die über eine digitale Kundenkarte gespeichert wird und ihm so Auskunft über die Vorlieben des Kunden gibt.
3. Denken Sie groß, aber beginnen Sie smart
Schaffen Sie Ihre Vision mit einem ganzheitlichen Blick auf Ihr Gesamt-Touchpoint-System, aber entwickeln Sie die neuen Touchpoints Schritt für Schritt. Sammeln Sie Erfahrungen und entwickeln diese weiter. Und vor allem: Vermeiden Sie eine Lösung "von der Stange", die nicht auf Ihre Kunden ausgerichtet ist.
Formulieren Sie für kleine Problemstellungen erste Thesen, entwickeln Sie davon ausgehend Ansätze und testen Sie diese in kurzen Zyklen direkt auf der Fläche aus. Dieses iterative Vorgehen ermöglicht einen Start mit geringeren Investitionen und bewahrt vor möglichen Fehlinvestitionen. Erst wenn ein Szenario als Prototyp erfolgreich war, sollte man mit aufwändigen Anbindungen von ERP-, CRM- oder Kassensystemen beginnen.
4. Jetzt starten statt warten
Beginnen Sie Learnings aus kleineren Projekten mit Ihren Partnern (Retail, Agentur, etc.) zu sammeln. Diese Erfahrungen verbessern die Zusammenarbeit noch bevor größere Projekte anstehen und stärken das einheitliche Bild für den Kunden.
Das Wichtigste aber ist: Starten Sie jetzt! Wer jetzt zögert, wird auf lange Sicht das Nachsehen haben, denn der Kunde wird bei dem Unternehmen kaufen, das ihm zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort, im richtigen Kontext die passenden Informationen oder Produkte zur Verfügung stellt – online und offline.
*Der Autor:
Björn Portillo, Managing Partner bei Hmmh, trat 1989 als Art Director bei Hmmh ein und ist seit 2001 Vorstand. Zusätzlich verantwortet er den Bereich Digital Marketing und treibt in dieser Funktion auch die Geschäftsentwicklung der Agentur voran. Daneben engagiert sich Portillo u.a. im Beirat des Masterstudiengangs für Medienkultur der Universität Bremen und macht sich für die Kreativwirtschaft in Bremen stark. Seine Schwerpunkte sind Connected Commerce und die damit einhergehende digitale Transformation, neue Unternehmensstrategien und die Nachwuchsförderung in der Kreativwirtschaft.