Ökodesign-Verordnung:
Der Digitale Produktpass - Chance für den Kundendialog
Es ist beschlossene Sache: der Digitale Produktpass (DPP) kommt. Ab 2027 müssen Unternehmen, die Produkte in der EU herstellen oder vertreiben, den DPP einführen. Das ist viel Aufwand. Und eine Riesenchance für Kreislaufwirtschaft und Kundenkommunikation.
In Zuge der geplanten Ökodesign-Verordnung verpflichtet die EU Unternehmen nahezu aller Branchen, die Waren und Produkte in der EU herstellen, in Betrieb nehmen oder verkaufen, zur Einführung des DPP. Die Unternehmensberatung Deloitte geht in einer mittleren Berechnung davon aus, dass jährlich EU-weit fünf Billionen DPP ausgestellt werden. Diese Zahl lässt erahnen, welche Tragweite die Entscheidung der EU haben wird.
Noch ist nicht geklärt, welche gesetzlichen Pflichtangaben so ein DPP genau enthalten muss. Das von der EU-Kommission initiierte Konsortium Cirpass entwickelt derzeit Prototypen für Produktpässe für Batterien, Textilien und Elektrogeräte. Den Start machen Batterien; sie müssen ab 2026 als erste Produktkategorie mit einem digitalen Pass versehen sein. Jetzt schon ist klar: Der DPP wird die Wirtschaft verändern. Dass er auch neue Chancen für die Kommunikation bietet, ist vielen Marketern neu.
Der DPP lässt Produkte sprechen
Im Prinzip ist so ein digitaler Produktpass nichts anderes als ein Datensatz, der alle möglichen Informationen zu einem Produkt vereint: Zum Beispiel, wo es herkommt, wer es unter welchen Bedingungen hergestellt hat, woraus es besteht und welche Stationen es auf seinem Weg bis zum Verkauf zurückgelegt hat. Aber auch wie es funktioniert, sich pflegen, reparieren, recyceln und entsorgen lässt. Natürlich enthält der DPP auch Bürokratisches, etwa Zertifikate, lieferbegleitende Dokumente oder erforderliche Informationen für den grenzüberschreitenden Warenverkehr, die Erfordernisse des Lieferkettengesetzes oder Infos zum ökologischen Fußabdruck. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Das klingt erstmal, als hätte die EU sich eine lästige regulatorische Pflicht für Unternehmen ausgedacht. Der Digitale Produktpass birgt aber eine Riesenchance, denn: Er ist nicht nur ein bald verpflichtender Nachweis für nachhaltiges, sauberes, transparentes Handeln, sondern ermöglicht es, Produkte mit ihren Käufer*innen „sprechen“ zu lassen.
Was von der EU als wichtiger Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft auf den Weg gebracht wird, ist zugleich ein direkter Kommunikationskanal. Mit dessen Hilfe werden Menschen bessere Kaufentscheidungen treffen und Hersteller mit den Produktnutzer*innen über den Kauf hinaus in Kontakt bleiben können – in ihrem Look, ihrer Tonalität, mit ihren Sonderaktionen.
Fünf Schritte, wie man das anstellt:
1. Produktpass anlegen
Die Informationen für die DPP einzelner Produkte, Artikel oder Chargen lassen sich am besten über ein spezielles Publishing-System für digitale Produktpässe erstellen. Mithilfe des Publishing-Systems können alle Arten von digitalen Produktpässen mit allen denkbaren Informationen versehen werden.
Entweder bauen sich Unternehmen dafür eigene technische Lösungen oder sie bespielen ihre DPP über „Digital Product Passport as a Service“-Lösungen.
Voraussetzung für den DPP ist, dass Unternehmen zumindest über alle gesetzlich erforderlichen Daten verfügen. So müssen zum Beispiel für die Informationen rund um die Lieferketten valide Daten von allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette eingeholt, strukturiert und verarbeitet werden. Ohne effiziente digitale Prozesse funktioniert das nicht.
Angesichts von Mehrsprachigkeit, Rückverfolgbarkeit, verschiedenen internationalen DPP-Normen oder den Anforderungen an die Lieferkettentransparenz werden wohl nur Großkonzerne eigenen Lösungen bauen. Wichtig: Ein DPP muss die Interoperabilität aller Beteiligten sicherstellen. Der Pass muss sozusagen die Sprache aller sprechen.
2. Produktpass veröffentlichen
Jeder DPP wird bei der EU-Kommission gemeldet. Die EU-Kommission plant ein verlässliches, zentrales Produktpassregister. Die Normen, nach denen die DPP und ihre Versionen und Aktualisierungen digital abgelegt werden sollen, sind derzeit in Arbeit.
3. Produktpass in Produkte integrieren
Die Daten werden in der Produktion aufgespielt. Das ist insbesondere dann anspruchsvoll, wenn die Produktion über die ganze Welt verteilt ist. Die DPP werden in Form winziger NFC-Chips unsichtbar in die Produkte selbst oder in deren Verpackung integriert. Eine Alternative zu den NFC-Chips sind QR- oder auch Strich-Codes. In jedem Fall muss der DPP maschinenlesbar sein. Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass beide Technologien eingesetzt werden: ein QR-Code an der Verpackung und ein fälschungsfester Chip im Produkt.
4. Produktpass pflegen
Mithilfe des Publishing-Systems können Unternehmen die DPP jederzeit und von überall aus selbst aufspielen und aktualisieren, das Design verändern, Rabatt- und Sonderaktionen integrieren oder eine kreislauforientierte Inzahlungnahme anbieten.
5. Interaktion starten
Die Basis der digitalen Kundenbeziehung steht. Ab jetzt kann das Produkt mit den Kund*innen kommunizieren – von Tipps zur Nutzung über Informationen zu Nachhaltigkeitsaktivitäten, nützlichen Zusatzangeboten bis hin zu unterhaltsamen Bewegtbildformaten oder Hinweisen zum lukrativen Weiterverkauf des Produkts. Der DPP wird damit zu einem echten „Lebensdokument“ über den kompletten Lifecycle des Produkts hinweg. Er kann Geschichten mit endlosen und individuell zugeschnittenen Inhalten erzählen und jederzeit aktualisiert werden.
Welches Produkt braucht welchen DPP?
Das ist je nach Produkt individuell. Produziert ein Unternehmen zum Beispiel einmalig 100.000 gleichartige Kunststoffsandalen, die alle einer identischen Lieferkette folgen, genügt ein Produktpass für alle Einzelstücke. Fertigt das Unternehmen aber zum Beispiel im Einzelauftrag und in Handarbeit Schuhe mit jeweils individuellen Lieferketten der Komponenten, dann braucht jedes Schuhpaar einen eigenen DPP. Bei langlebigen Produkten, die reparierbar sind – zum Beispiel, wenn es um eine neue Sohle für gute, handgearbeitete Schuhe geht – und die eine Lebensgeschichte entwickeln, wird das Management der Informationen sehr anspruchsvoll.
Wer kümmert sich im Unternehmen um den DPP?
Da gibt es zwei Perspektiven: Unternehmen, die den DPP als reine Pflicht betrachten, werden vermutlich ein Team aus IT, Einkauf und Rechtsabteilung bilden. Wer den DPP als direkte Kundenschnittstelle begreift, wird Profis aus Marketing, Kommunikation und Vertrieb ins Team holen und kreativ in den Dialog mit seinen Kund*innen gehen. In beiden Fällen sollten unbedingt auch Sustainability- und CSR-Verantwortliche mit an Bord geholt werden. Und die Konsument:innen? Für die wird’s einfach: Diese brauchen nur ihr Smartphone vor das Produkt zu halten, und alle Produktdetails erscheinen binnen einer Sekunde auf dem Display. Sie müssen sich weder registrieren noch einloggen noch eine App herunterladen noch irgendeine Hardware haben. Die Informationen lassen sich von überall auf der Welt auslesen.
Über den Autor: Thomas L. Rödding ist in zahlreichen Gremien zum Digitalen Produktpass bei Normungsorganisationen und bei der EU tätig. Der Digitalexperte und Unternehmer ist außerdem Gründer und CEO des Tech- & Sustainability-Unternehmens Narravero, das „DPP-as-a-Service“ anbietet.