Gastbeitrag:
Was Bots von virtuellen Influencern lernen können
Lieber virtuell, aber konsistent: Darum vertrauen Menschen virtuellen Influencern und folgen ihnen. Davon können auch Bots und Sprachassistenten profitieren.
Wenn Menschen mit Bots interagieren, sind Missverständnisse an der Tagesordnung. Ist es nicht an der Zeit, dieses Kapitel zu schließen? Die ersten Schritte im Umgang mit Machine Learning-basierten Schnittstellen waren vor allem von Frust geprägt. Etwa bei verzweifelten, aber leider erfolglosen Anrufen in Service-Centern, bei denen der Bot einfach nicht versteht, dass man "Fragen zur Rechnung" hat. Wer hat nicht das ein oder andere Mal ins Telefon geflucht?
Frustrierende Auseinandersetzungen mit der Technik sind schlecht für unsere Gesundheit: Die Geduld zu verlieren, sich über ein Interface aufzuregen – vor allem über eines, das sich menschlich gibt – kann in Wut, Bitterkeit und Enttäuschung umschlagen.
Heute sind viele Systeme schlauer: So spielt ein Amazon Echo Jazz, nachdem sich der Musikliebhaber dieses Genre gewünscht hat – egal, ob er sein Anliegen mit den Worten "Alexa, spiele Jazz" oder "Alexa, ich möchte gerne Jazz hören" zum Ausdruck bringt. Aber das höchste Level, das entwicklungstechnisch bei Bots und Sprachassistenten möglich ist, ist definitiv noch nicht erreicht. Was ist es, das fehlt?
Wir müssen die Empathie-Lücke zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz schließen, und es liegt in unserer Verantwortung, den nächsten logischen Schritt in der Entwicklung einzuleiten: Bots von einem Befehlsempfänger und Diener hin zu einem Begleiter zu entwickeln. Für Entwickler ist die wichtigste Herausforderung, Technologie menschlicher zu machen. Erst so erhalten Chatbots und Voice Assistants die Chance, mehr zu werden als reine "Diener": Sie werden zu Wegbegleitern, die den Menschen verstehen – nicht nur seine Intonation und Syntax, sondern auch seine Stimmung, seinen Charakter sowie seinen Lifestyle: Denn Jazz ist nicht gleich Jazz, um erneut das Amazon-Echo-Beispiel aufzugreifen. Vielleicht ist heute eher ein Tag für experimentellen Jazz? Um auf solche Feinheiten in der Stimmung des Benutzers eingehen zu können, benötigt Künstliche Intelligenz eine "ordentliche Prise Mensch": das daraus resultierende Einfühlungsvermögen, das sie in uns auslöst, ist der Schlüssel zur Entwicklung von Technologien, die Nutzer reibungslos und vorbehaltlos in ihren Alltag integrieren wollen.
Die Maschine spricht uns an
War es in der Vergangenheit hauptsächlich der Mensch, der sich mit seinen Anliegen an eine Künstliche Intelligenz gewendet hat, so bewegen wir uns aktuell in einer Phase, in der die Interaktion zwischen Mensch und Maschine immer mehr von Gegenseitigkeit geprägt ist. Virtuelle Figuren kommen mit ihren Anliegen auf uns zu – Humanizing Technology in entgegengesetzter Richtung: Ein uns ansprechender Bot muss menschlich genug gestaltet sein, um einen Zugang zu seinem Publikum zu finden.
Ein Beweis dafür sind "virtuelle Influencer", die sich auf Social-Media-Plattformen wie Instagram tummeln: Das erste virtuelle Supermodell Shudu Gram (177.000 Follower) und die Influencerin Lil'Miquela (1,5 Millionen Follower) mitsamt ihrem – selbstredend ebenfalls virtuellen – Freund Blawko (135.000 Follower) sind 3D-gerenderte virtuelle Modelle, aber besuchen wie "traditionelle" Influencer Hotspots, laden Selfies und Slice-of-Life Stories in Echtzeit hoch. Und das ist nur ein Aspekt ihres perfekten Instagram-Lebens. Weitaus interessanter ist, dass sie Prada tragen und für KFC werben.
Mit anderen Worten: Sie sind Social-Media-Nutzer mit dem Ziel, Influencer-Marketing zu betreiben.
Welches Potenzial hinter dieser Entwicklung steckt, wird deutlich, wenn man den Markt betrachtet, in dem sich die virtuellen Influencer bewegen: Influencer Marketing, das 2016 noch eine 1,7-Milliarden-Dollar-Industrie war, ist 2019 auf einen Markt mit einem Volumen von 6,5 Milliarden Dollar angewachsen. Einen Markt, den die virtuellen Influencer als optimierte Personifizierungen von Marken betreten. Mit einem großen Vorteil auf ihrer Seite: Das Wesen der Virtual Influencer basiert auf einer breiten Datengrundlage.
Datenquellen wie Google, Yelp, Facebook-Rezensionen, Verbraucher- und Trendforschung formen die virtuellen Influencer und sorgen dafür, dass sie besser informiert sind als ihre menschlichen Kollegen. Außerdem unterläuft ihnen ein Fehler nicht, für den Influencer häufig kritisiert werden: inkohärente Botschaften, etwa durch unrealistische, Pay-for-Play-Platzierungen, die leider der traurige, neue Branchenstandard zu sein scheinen.
Lieber virtuell, aber konsistent
Das Misstrauen gegenüber dieser Art Marketing Messaging schafft Raum für eine seltsame neue Norm: die der offenen Inauthentizität. Vieles spricht für einen Markenbotschafter, der eine ungebrochene Kohärenz in seiner Aussage mit einer hohen Passgenauigkeit für seine Zielgruppe bietet. Und Kohärenz wird honoriert: Einer Umfrage von Mindshare zufolge finden 54 Prozent aller britischen Konsumenten virtuelle Entitäten ansprechend – unter Tech-affinen sind es sogar 69 Prozent.
Virtuelle, datengetriebene Influencer als Teil einer digitalen Marken-Infrastruktur könnten in naher Zukunft die ergänzende Schnittstelle zwischen Marke und Kunde werden. Von heute auf morgen geht das allerdings nicht. Und es funktioniert nur, wenn die Branche sich dieser Aufgabe annimmt. Bis die Influencer zum fest ins Ökosystem der Marke integrierten Bindeglied zwischen Brand und User werden können, müssen wir für mehr Akzeptanz virtueller Meinungsträger in den sozialen Medien sorgen.
Es liegt nun an uns, die Trends und Social-Tech-Entwicklungen mitzubestimmen und Daten intelligent zu verknüpfen, um eine ehrlichere und einfühlsamere Beziehung zwischen Menschen und Maschinen zu erzielen. Da offen unauthentische Persönlichkeiten – wie virtuelle Influencer oder Bots – immer häufiger auftreten, können sie eine neue Form der Ehrlichkeit – oder Kohärenz – entwickeln. Indem wir als Nutzer die Influencer oder Bots mit auf Daten basierenden Erkenntnissen versorgen, erhalten wir kohärenten Botschaften. Zudem müssen wir die Kreativität nutzen, um die Technologie zu humanisieren und die Maschinen mit dem Einfühlungsvermögen auszustatten, das sie benötigen, um relevanter zu werden. Unsere gemeinsame Zukunft wird zunehmend von Künstlicher Intelligenz geprägt sein. Dies ist ein neues Zeitalter für Creative Tech und Social Media, das Maschinen und Menschen näher als je zusammenbringt.
Die Autoren: Nathaniel Grigolla ist Director of Content bei Elbkind Reply am Standort Berlin und ist mit seiner Elbkind Reply Content Innovation Unit stets auf der Suche nach Innovationen im Bereich Storytelling und Kommunikation.Tobias Spörer ist Gründungsmitglied und Teil der Geschäftsführung von Elbkind Reply. Die Kreativ-Agentur entwirft und pflegt digitale Ökosysteme für Marken und Kunden.