Interview mit Nicolas Lecloux:
"Bei Samenstau schütteln": Die ersten Plakate von True Fruits
Die erste Out-of-Home-Kampagne von True Fruits für die neuen "Samensäfte" provoziert mit viel Wortwitz. W&V Online hat mit Marketingchef Nicolas Lecloux über die frechen Motive und weitere Marketingpläne gesprochen.
Der Smoothie-Hersteller True Fruits ist bekannt für eigenwillige und mutige Kommunikation. Bislang setzte die Marke dabei voll auf Social Media, die neuen Saftsorten mit Chia-Samen bewirbt True Fruits nun aber erstmals mit einer inhouse produzierten Out-of-Home-Kampagne. Die Motive provozieren mit reichlich Wortwitz und sorgten im Vorfeld durchaus für Widerstand. So hatte die Deutsche Bahn offenbar so ihre Probleme mit Headlines wie "Oralverzehr" oder "Bei Samenstau schütteln" und lehnte einige der vier Motive ab. Der Spruch "Besamt & befruchtet" wurde dann aber doch erlaubt.
Die Motive sind ab dem 29. August zehn Tage lang in Hamburg, Berlin, Dresden, Nürnberg, München, Frankfurt, Köln, Bonn, Düsseldorf, Dortmund, Hannover und Bremen zu sehen. Insgesamt belegt True Fruits über Außenwerber Ströer 3.000 Großflächen-Plakate, 900 Mega-Lights sowie zwei Riesenposter in München und erreicht rund 50 Mio. Kontakte.
W&V Online hat mit Nicolas Lecloux, Geschäftsführer Marketing und Mit-Gründer von True Fruits, über die freche Kampagne und weitere Marketingpläne gesprochen.
Narrenfreiheit ist das Stichwort für Ihre Marketing-Abteilung. Mit dieser Freiheit haben Sie gerade im Social-Media-Bereich viele Fans gewonnen. Jetzt werben Sie auch im Out-of-home-Bereich so frech wie der Schnabel gewachsen ist. Warum braucht's bei dem Bomben-Netzerfolg doch den Weg in die klassischen Medien? Sind weitere klassische Maßnahmen vorgesehen?
Jeglicher Inhalt wird von uns selbst konzipiert und so sind uns zu den "Samensäften" (so nennen wir sie hier liebevoll) viele doppeldeutige Sprüche eingefallen. Wir haben uns gefragt, ob diese Art der Kommunikation erlaubt ist. Haben kurz überlegt und festgestellt, dass es uns egal ist. Wir fanden die Sprüche dann so lustig, dass wir dachten, dafür lohnt es sich endlich mal Geld für eine Plakatkampagne in die Hand zu nehmen. Für uns ist das aber zunächst ein einmaliger Versuch – wir haben also keine weiteren klassischen Maßnahmen vorgesehen.
Ihre #Blindverkostung inklusive der gewagten Sexismus-Entschuldigung per Video im vergangenen Jahr hat hohe Wellen geschlagen? Hoffen Sie nun insgeheim auf ein ähnliches Feedback? Die Bahn wollte einige Ihrer Chia-Samen-Motive schon mal nicht plakatieren. Haben Sie Angst vor weiteren Sanktionen, u.a. auch vom Werberat? Sind Sie für neue Sexismus-Vorwürfe schon bestens präpariert?
Für Außenstehende mag es so aussehen, als würden wir provozierendes oder schräges Marketing machen. Aber letztendlich kommunizieren wir nur so, wie wir es auch privat tun – eben locker und lustig. Wir nehmen unser Produkt und die Qualität unserer Smoothies und Säfte sehr ernst, aber uns selbst nicht so sehr. Und klar, wenn man "frei Schnauze" kommuniziert, kann es auch mal sein, dass man aneckt. Wir stehen aber dahinter und können nicht anders. Für eine Marke ist es wichtig, dass sie Profil hat. Wir werden lieber von einigen nicht gemocht dafür aber von anderen "gefeiert". Auch das Shitstörmchen einiger Moralapostel im letzten Jahr hat nichts daran geändert. Wir lassen uns unseren Humor nicht verbieten. Wir machen das, worauf wir Lust haben. Wem das nicht passt, braucht unsere Produkte auch nicht zu kaufen. Und genauso ist es hier: Wir spielen bewusst mit der Doppeldeutigkeit und finden sie lustig.
Klar, der ein oder andere mag unsere Motive anstößig finden, aber Sexismus-Vorwürfe erwarten wir keine. Denn beim Sexismus wird jeweils ein Geschlecht diskriminiert – und das tun wir hier nicht. Uns ist bewusst, dass wir uns möglicherweise in einem Grenzbereich befinden. Aber die Grenzen einzelner sind eben nicht unsere. Wir kommunizieren frei. Über mögliche Konsequenzen sind wir uns bewusst, haben aber keine Angst vor ihnen. Vielmehr reizt uns die Neugier, Neues auszuprobieren.
Ehrliche Früchte, ehrliche Frage: Hat die Kampagne damals den Absatz wirklich gesteigert? Verraten Sie uns ehrlich, um wie viel Prozent?
Die Limited Edition "Blindverkostung" war nach drei Wochen ausverkauft - geplant war ein Verkaufszeitraum von sechs Wochen. Tatsächlich ist der Absatz dieser Sorte kurzfristig angestiegen (zwischen Februar und April um ca. 200 Prozent). Langfristig hat sich am Umsatz aber nicht verändert. Deswegen haben wir den Smoothie White jetzt dauerhaft in eine schwarze Flasche gesteckt und siehe da: Der Smoothie White hat sich zu einem unserer stärksten Sorten entwickelt.
#ohnemett und #einhornkotze: Der Ton von True Fruits ist "direkt und humoristisch" und sehr Social-Media-affin. Immerhin hat dieser ungewöhnliche Ton Ihnen eine halbe Million Facebook-Fans beschert. Darf man im Netz wirklich alles sagen, was einem so in den Sinn kommt? Gibt's für True Fruits trotzdem noch selbstauferlegte Grenzen? Wenn ja, wo verlaufen die?
Wir agieren auf unserem Facebook-Profil so, wie wir es mit Freunden auch tun würden – es heißt ja immerhin auch Facebook-Freunde ;-). Wir sind freundlich, direkt und machen auch mal einen Spaß. Wir sind aber auch ehrlich, das heißt: Wenn wir einen Fehler gemacht haben (wenn z.B. irgendetwas an unserem Produkt nicht stimmt) geben wir das ehrlich zu und kümmern uns sofort darum. Wenn wir aber im Netz beleidigt oder beschimpft werden (weil jemanden vielleicht unser Humor nicht gefällt), dann reagieren wir entsprechend darauf und werden dieses Verhalten nicht tolerieren. Wir gehen sogar soweit, dass wir den Usern sagen, dass sie unsere Seite nicht mehr besuchen bzw. unsere Produkte nicht kaufen müssen. Es ist doch im "echten Leben" auch so: Wenn ein Freund einen anstößigen Witz macht (den man selber nicht lustig findet), dann würde man ihn auch in einem normalen Ton kritisieren und nicht gleich aufs übelste beschimpfen und nie wieder ein Wort mit ihm sprechen.
Das Problem ist die Maßlosigkeit, mit der die User im Web Kritik äußern. Hinzu kommt, dass die Leute im Netz denken, auch hier regiere der Leitsatz: "Der Kunde ist König". Im Netz herrscht aber Anonymität und die Nutzer sind nicht zwangsläufig auch Kunden. Im Gegenteil: Diejenigen, die sich lauthals beschweren sind in den meisten Fällen auch keine Kunden. Wir können also sagen, dass wir unsere Community ein stückweit erziehen. So lange Du auf unserer Seite bist und ein Kommentar unter unser Profil setzt, hast Du Dich fair und freundschaftlich zu verhalten.
Inwieweit haben Ihre Social-Media-Fans auch Einfluss auf die Flaschentexte? Bekommen Sie durch die Kommunikation mit Ihren Fans Anregungen? Wäre ein individualisierte Kampagne wie sie Coca-Cola gefahren hat (mit Namensaufdruck statt Logo) zum Beispiel auch für Sie ein Thema?
Klar gibt es unter dem ein oder anderen Post auch mal einen witzigen Spruch von einem User und sicherlich haben wir uns davon auch schon mal inspirieren lassen. Aber die Texte entstehen in unseren "kranken Gehirnen".
Wir bekommen viele Anfragen von Kunden und Firmen, die unsere Flaschen gerne individualisieren lassen würden. Ganz davon abgesehen, dass die Produktionskosten nicht tragbar wären, wollen wir das auch nicht. Aus gutem Grund: Wir lieben unsere Flaschen mit dem schlichten Keramikdruck. Und wir möchten die Designer und Redakteure der Flasche bleiben. Wir halten nichts davon, alles zu individualisieren und auf den Kunden zuzuschneiden. Wir sind schließlich die Experten und beschäftigen uns rund um die Uhr damit – also behalten wir uns auch vor, dass wir es am besten können.
Ihre Kampagnen werden inhouse gestaltet. Lassen Sie sich von Externen dennoch beraten? Wo gibt es in Ihren Augen noch Optimierungsbedarf?
Am Anfang haben wir uns keine Agentur leisten können. Wir mussten alles selber machen und haben im Laufe der Zeit viel gelernt. Eine Agentur nimmt viel Arbeit ab. Aber man muss sich als Unternehmen darüber klarwerden, für welche Werte die Marke einstehen soll. Für uns ist Marketing ein Spiegelbild der Menschen, die hinter dem Produkt stehen. In unserem Fall also Marco, Inga und ich. Und da wir diese Ansicht haben, ist es auch klar, dass man diese Aufgabe nicht an irgendeine Agentur delegieren kann – das wäre dann wie eine Maske, die man sich überzieht und nicht mehr so persönlich und authentisch wie zurzeit. Wir lassen uns also bei der Kampagnenplanung nicht von Externen beraten, sondern denken frei und "scheißen auf Lehrbuch-Marketing". Deswegen fällt es uns auch vielleicht leichter, geltende Regeln zu durchbrechen (…weil wir sie vielleicht gar nicht kennen) und etwas völlig Neues zu schaffen. Wie im Falle unseres Shitstorms: Experten hätten wahrscheinlich geraten, dass wir uns entschuldigen und unseren Text zurückziehen. Aber gerade weil wir einen anderen Weg gegangen sind, werden wir heute als Best-Pratice-Bespiel in Sachen Shitstorm auf Social-Media-Konferenzen zitiert. Aber klar machen wir uns auch immer wieder Gedanken, wie wir noch besser werden können. Einen konkreten Optimierungsbedarf gibt es aber nicht.