Cannes Lions, ADC & Co.:
Sind Awards veraltet oder noch zu retten?
Viele Agenturen nehmen mit Begeisterung teil, andere wiederum halten sie für überflüssig. Deshalb fragen wir: Wie denkt ihr über Awards, welche Wettbewerbe sind für euch als Agentur am wichtigsten?
In seiner jetzigen Form ist das System veraltet
Design und Kommunikation haben vielerlei Aufgaben: senden, leiten, positionieren, trennen, vereinen ... Ich glaube fest daran, dass Kommunikation und Design eine größere gesellschaftliche Aufgabe erfüllen müssen und mehr als solche genutzt werden sollten. Unter dem Aspekt sollten auch Awards diesen Mehrwert stärker in den Vordergrund stellen.
Die Kreativ-Branche muss intensiv darüber nachdenken, die Kategorien innerhalb der Wettbewerbe zu überarbeiten, in seiner jetzigen Form ist das System veraltet – ganz abgesehen von horrenden Kosten, die nicht für jede Agentur abzubilden sind. Wir sehen Bedarf an erweiterten Förderpreisen, die explizit auf den gesellschaftlichen Nutzen abzielen und den Wert unserer Arbeit in den Vordergrund stellen. Ich bin sicher, dass dies den positiven Einfluss unserer Arbeit verstärken kann. Und auch zukünftige Generationen für unsere Branche begeistert.
Denise Kurkowski, Geschäftsführerin, Loup
Die meisten Awards laufen unter dem Motto "Pay to Win"
Für mich sind Awards lediglich ein Relikt aus alten Werberzeiten. Und das schreibe ich, obwohl ich einige von ihnen in meinem Schrank habe. Zwar gibt es Unterschiede, aber am Ende laufen die meisten Awards unter dem Motto: "Pay to Win", oder in besseren Fällen noch "Pay to Play", wie man das in der Gaming-Branche nennen würde. Leider schließt diese Praktik Teilnehmer mit schmalerem Budget aus. Außerdem ist von echtem Wettbewerb nicht viel zu spüren. Allzu oft sitzen dieselben Parteien in und vor der Jury.
Dennoch fühlt es sich großartig an, einen Award zu erhalten. Und vielleicht kann man damit einen Punkt in externen Agenturvorstellungen landen und im Kampf um den Nachwuchs beweisen, dass die Agentur „ausgezeichnete“ Kreation versteht. Wir sehen allerdings, dass der Fokus vieler Kreativschaffenden inzwischen auf ganz anderen Themen liegt: Work-Life-Balance, Selbstwirksamkeit, Unabhängigkeit und ein Umfeld, in dem man sich wohlfühlt.
Raoul Ernesto Baumgärtner, Executive Creative Director, Panama
Wir entwickeln keine Arbeiten eigens zu dem Zweck, an Awards teilzunehmen
Zunächst mal: Kreativwettbewerbe sind oft eine großartige Inspiration und geben wichtige Impulse. Bei Sassenbach lieben wir alles, was Kreativität fordert und fördert. Und das sind nicht nur Wettbewerbe, sondern vor allem auch die Aufgaben, die unsere Kunden uns täglich stellen. Die Ergebnisse unserer Arbeit? Sind oft hochkreativ, im Sinn der gestellten Aufgabe.
Wenn wir besonders stolz auf sie sind, senden wir sie auch zu Wettbewerben ein. Kreativpreise gewinnen wir gern und freuen uns über sie. Genauso wie unsere Kunden. Was wir allerdings nie tun: Wir entwickeln keine Arbeiten eigens zu dem Zweck, an Awards teilzunehmen. Die Aufwände, die dafür notwendig wären, sind für eine Agentur unserer Größe einfach nicht darstellbar. Und führen aus unserer Sicht auch den Sinn und Zweck einer Werbeagentur ad absurdum.
Awardgewinne sind für uns ein schönes Sahnehäubchen … der große, leckere Kuchen aber bleibt immer der Erfolg unserer Auftraggeber.
Hans Neubert, Creative Director und Partner, Sassenbach Advertising
Awards – jein, danke, na ja bitte
Was haben wir darüber schon diskutiert, über Fluch und Segen, als Agentur bei den (unendlich vielen!) Awards präsent zu sein. Jahrelang haben wir uns zu sehr über die nicht immer transparenten Modalitäten und das teilweise recht lukrativ erscheinende Geschäftsmodell Awards geärgert und nicht teilgenommen. Und manches ärgert uns nach wie vor.
Dennoch haben wir vor einigen Jahren beschlossen, gezielt einzureichen. Warum? Wir verstehen den Wunsch unserer (potenziellen) Auftraggeber, einen objektiven Nachweis zu herausragender und vor allem konstanter Kreativleistung zu erhalten. Denn viel ist bei der Agenturauswahl ohnehin dem guten Bauchgefühl überlassen, das Angebot unübersichtlich.
Und auch unser eigenes Kreativteam freut und motiviert sich über „offizielles“ Lob. Insgesamt spricht außer der zum Teil sehr hoher Kosten also einiges für die jährliche kreative Standortbestimmung.
Irmgard Hesse, Geschäftsführende Gesellschafterin, Zeichen & Wunder
Awards dienen vor allem der Inspiration
Awards sind eine wunderbare Gelegenheit, um sich inspirieren zu lassen. Meistens gibt es hochkreative, exzellente Kreationen zu sehen. Das liegt tatsächlich auch daran, dass viele Agenturen ganze Award-Teams aufstellen und ein hochkarätiges Budget in die Teilnahme investieren, nur um Preise zu gewinnen. Die Ergebnisse sind oft beeindruckend und für unsere Branche bereichernd. Ob sie tatsächlich für die Realität gemacht sind oder den Kunden erfolgreicher machen, ist dabei manchmal fraglich. Wir haben uns seit der Gründung gegen eine Teilnahme an Awards ausgesprochen. Es sei denn, ein Kunde erwünscht dies explizit - was hin und wieder auch vorkommt. Dann hat es für uns einen anderen Wert, weil es die Bedürfnisse des Kunden erfüllt und für seinen Erfolg steht.
Verena Mayer, Co-Gründerin und Managing Director, Von Helden und Gestalten
Neue Chance für Kreativ-Awards
Ich glaube, die Award-Festivals stehen vor der größten Veränderung ihres Bestehens. Denn in Zeiten von KI ist die Frage wohl eher: Welche Kategorien verlieren an Relevanz? Beziehungsweise: Wie bewerten wir kreative Arbeit in Zukunft. Wer hat den Design-Award mehr verdient? Der Designer oder der Midjourney Prompt Engineer? Am Ende sollte stets das Ergebnis zählen.
Meiner Meinung nach besteht eine große Chance für die Award-Wirtschaft, sich neu und zukunftsgerichtet aufzustellen – mit Auszeichnungen für kreativen KI Einsatz und einzigartige, menschliche Kreativität. Bis dahin betrachten wir das Geschehen gespannt von der Seitenlinie.
Moritz Haenschen, Geschäftsführer, Bold & Epic
Awards und Festivals sollten nicht die einzige Kreativwährung sein
Dennoch sind sie ein guter Indikator für Effizienz, Relevanz und Innovation und spiegeln Kreativteams, wie wettbewerbsfähig ihre kreative Arbeit ist. Im Ergebnis sollte eine Teilnahme jedoch immer eine Win-win-Situation für alle Beteiligten sein. Und nicht alle Awards sind gleich. Es ist großartig zu sehen, wie sich zum Beispiel das Cannes Lions Festival von einer Preisverleihung zu einem Ort entwickelt hat, an dem die Kreativszene auf die Technologieszene trifft und mit Kunden und Marken in Kontakt kommt - und das alles in einer intensiven Woche.
Andere Beispiele, wie der iF Design Award, zeigen, dass sie ein absoluter Umsatztreiber für die ausgezeichneten Produkte sind - vielleicht etwas, das wir in der Kommunikationsbranche stärker vorantreiben sollten, um unsere Arbeiten in der breiten Öffentlichkeit bekannter zu machen.
Ich muss außerdem zugeben, dass ich als Juror gerne die Gelegenheit nutze, mich mit Kollegen aus der ganzen Welt auszutauschen und neue Talente oder potenzielle Partner zu treffen.
Mike John Otto, Partner und Executive Creative Director, Artificial Rome
Niemand gestaltet, um einen Preis zu gewinnen
Awards bestätigen, dass man etwas Besonderes geschaffen hat, dass man über das Erwartete hinausgegangen ist und dass das Projekt wichtig ist. Aber niemand gestaltet, um einen Preis zu gewinnen. Ob man Awards nun mag oder nicht – kreative Arbeit ist immer mit ihrem Schöpfer verbunden, und es ist ein gutes Gefühl, von Gleichgesinnten anerkannt zu werden.
Für die einzelnen Designer, für Agenturen, für Kunden und auch für unsere breitere Kultur sind Awards eine Würdigung unserer kollektiven Kreativität - sie fordern die Branche auf, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen und heben den Wert von Design für eine breitere Öffentlichkeit auf ein anderes Level.
Hinter vielen Auszeichnungen stehen auch Organisationen, die mehr tun als nur Preise zu vergeben. Der TDC (Type Directors Club) zum Beispiel vergibt Stipendien, organisiert Veranstaltungen und Ausstellungen.
Phil Garnham, Executive Creative Director, Monotype
Award-Festivals haben sich zu gewinnorientierten Großevents entwickelt
Awards können als Katalysator für kreative Spitzenleistungen dienen. Aber es ist wichtig, die Dynamik, die sie derzeit in der Branche auslösen, kritisch zu bewerten. Festivals wie zum Beispiel in Cannes haben sich zu gewinnorientierten Großevents entwickelt, die Agenturen dazu ermutigen, in möglichst vielen Kategorien anzutreten, um ihre Gewinnchancen zu erhöhen. Dieses Pay-to-Play-System generiert jedes Jahr Millionen an Einsendegebühren, wobei viele Agenturen auf Awards zugeschnittene Projekte einreichen, nur um Preise zu gewinnen.
Davor verschließen die Festivals in der Regel die Augen, da sie sich in einem Interessenkonflikt befinden. Anstatt das Preissystem aufrechtzuerhalten, sollten die Ressourcen der Agenturen besser dafür eingesetzt werden, das Herzstück ihrer Kreativität zu fördern - die Menschen. Ziel sollte es sein, in ihre Entwicklung und ihr Wohlergehen zu investieren, um kreative Spitzenleistungen zu fördern. Das immense Kapital, das für Preisgelder ausgegeben wird, könnte zum Teil auch für wohltätige Zwecke gespendet werden, was einen echten Unterschied in der Welt ausmacht.
Guillaume D. Champeau, Chief Creative Officer, Tres bien