Die Low-Involvement-Ausrede

Und dafür haben die Verantwortlichen auch immer gerne eine Entschuldigung parat. Ob von Kunden, Marktforschern oder Agenturkollegen, wir haben es alle schon einmal gehört: Gewisse Produkte seien eben „Low Involvement“. Die Menschen würden sich nicht für die Kategorie interessieren. Konsequenz: mittelmäßige Werbung und PR, die Mediakanäle verschmutzt wie Diesel die Luft zum Atmen.

Das ist eine faule Ausrede, die die eigene Einfallslosigkeit rechtfertigt. Warum? Weil es gibt keine Low Involvement-Produkte oder Kategorien gibt, sondern nur Low Involvement-Kunden, -Berater, -Strategen und -Kreative. Egal ob Seife, Prozessor oder ÖPNV – als Werber können wir aus allem „High Involvement“ machen. Dove zeigt es uns seit Jahren. Ebenso Intel und die BVG aus Berlin. Und auch Cannes wird es uns dieses Jahr wieder zeigen. Auf den ersten Blick gibt es eventuell kaum eine langweiligere Kategorie als industrielle Präzisionswaagen. Aber das preisgekrönte „Gnome Experiment“ von Kern – entwickelt von James Nester, ECD Weber Shandwick Deutschland, das einen kleinen Gartenzwerg und eine Waage unter Wissenschaftlern auf der ganzen Welt verteilte, um zu beweisen, dass Schwerkraft leicht variiert, wohin man auch geht und somit und zum Ted-Talk avancierte, hat auch das als Gerücht abgetan.

Was ist mit den Touchpoints?

Hartnäckig gilt auch die Behauptung, dass nur gewisse Touchpoints wie TV, Print, OOH, Digital und Social Videos „High Involvement“ seien. Ariel hat uns in Indien eines Besseren belehrt, indem es Kleidungsetiketten mit einem schlagkräftigen Hinweis versehen hat: „Kann auch von Männern gewaschen werden“. Die Touch-Card von Mastercard lässt grüßen, ein Kartensystem, das Blinden hilft, ihre unterschiedlichen Karten zu erkennen.

Ebenso Heinekens Bluetooth-Flaschenöffner, der den Laptop zum Schlafen bringt, sobald man damit ein Bier aufmacht. Sowie GAYTM von der ANZ Bank in Australien, die Sydneys Geldautomaten in regenbogenfarbene „GAYTMS“ verwandelte. Oder Weber Shandwicks Drehkreuz-Windturbinen in der Pariser Metro für den Elektrizitätskonzern Iberdrola. Letzterer ersetzte das Drehkreuz, das viele Pendler jeden Tag auf ihren Weg in die U-Bahn durchqueren, durch die weltweit ersten unterirdischen Windturbinen, die Tausende von Watt pro Tag erzeugen. Die Idee sogar für einen Cannes-Löwen nominiert.

Drehkreuz im Windrad-Look: Ein Touchpoint, den viele nicht auf dem Schirm hatten.

Drehkreuz im Windrad-Look: Ein Touchpoint, den viele nicht auf dem Schirm hatten.

Weg mit dem Wörtchen „für“

Der beste Weg, sich für die eigene Einfallslosigkeit zu rechtfertigen, ist die Nutzung des Wörtchens “für“. Die Kampagne ist vielleicht mittelmäßig, sei aber gute Arbeit gewesen „für“ ihre Kategorie, „für“ den Auftraggeber, „für“ den Channel. „Für“ ist der Feind der Exzellenz! Denn unsere Zielgruppen leben nicht in einer Kategorie. Sie sagen nicht, das war aber gute Arbeit „für“ Henkel oder Taft. Sie sagen auch nicht, das war tolle Arbeit „für“ das Budget. Sie sehen das Ergebnis – und das muss sie am Ende bewegen.


Über den Autor: Nigel Rahimpour hat in den vergangenen 20 Jahren das Thema Strategie auf großen Marken bei Top-Agenturen in New York geleitet (Saatchi, Grey, FCB, Strawberryfrog, Lowe). Er ist ehemaliger Journalist und war Kriegsreporter bei Focus und Stern. Seit Juni 2021 arbeitet Nigel als Head of Strategy & Analytics für Weber Shandwick Deutschland.

 


Autor: W&V Gastautor:in

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