Cannes Lions:
Wenig Party, strenge Jurys: Nur sieben Löwen für Deutschland
Noch ist nicht alles wie früher, doch die Begeisterung über die Rückkehr des Festivals an die Croisette ist groß. Zum Auftakt präsentieren sich die Jurys überaus strikt. Woran es deutschen Arbeiten fehlt.
Drei, zwei, eins - meins. Das lange Warten hat ein Ende. Nach zwei Jahren Pandemiepause hat sich die Werbebranche die Croisette zurückerobert. Zwar fällt das International Festival of Creativity und all das, was sich hier rund um die Cannes Lions sonst so versammelt, hier und da noch etwas bescheidener aus als in den Vorjahren, es gibt zum Beispiel weniger Partys, aber auch so ist die Stadt wieder voller Leben. Die Promenade vor dem Austragungsort des Festivals ist fest in der Hand der Tech-Unternehmen, die Restaurants und Bars drumherum sind voll, im Palais ziehen sich die Warteschlangen für die Sessions bis in die oberen Stockwerke.
Strenge Jurys
Sieben Löwen für deutsche Kreation - mit diesem Ergebnis eröffnen die Deutschen das Festival. In den Kategeorien Pharma, Health & Wellness, Print & Publishing, Outdoor und Radio & Audio wurden heute die ersten Löwen vergeben. Havas, Jung von Matt, +Knauss, Ogilvy und Thjnk sind die glücklichen Gewinner (siehe Medaillenspiegel). Sie überzeugen mit Arbeiten für die Deutsche Parkinson Vereinigung, Hyundai, Curtice Brothers Ketchup, Frauen aufs Podium und Ursula Karven/Frauen 100.
Die Ausbeute ist mau, zugegeben, aber die Vorgaben aus dem Festival waren dieses Jahr auch besonders streng. Beispiel Radio & Audio: Die Jury, in der auch die Kreativchefin der deutschen DDB Group, Diana Sukopp, saß, hat von 1000 Beiträgen gerade einmal 22 Arbeiten ausgezeichnet (Diana Sukopp bloggt für W&V aus Cannes). "Ein Löwe muss etwas Wert sein", sagt Sukopp. Die Veranstalter:innen achten seit jeher darauf, dass die Währung Cannes Lions hart bleibt. Davon lebt letztlich die Marke, die so viele hier auch ohne Festivalpass nach Frankreich lockt.
Havas an der Spitze
Für hiesige Agenturen ist das sicher nur ein schwacher Trost. Sukopp sagt: "Die Deutschen haben einen tollen Job gemacht" Im internationalen Vergleich fehle es aber oft an Craft und Impact. Von daher könne +Knauss auf die drei Bronzelions in ihrer Kategorie Radio & Audio durchaus stolz sein.
Das Jury-Prozedere in diesem Jahr, in dem erstmals remote eine Vorjury über die Arbeiten ging, hat die Vergabe zusätzlich erschwert. Weil dort alle Juror:innen mehrere Tage lang, ohne miteinander zu diskutieren, zunächst für sich alleine abstimmen mussten, um die Masse an Beiträgen zu bewältigen, sind zum Teil auch gute Arbeiten nicht bis zur Präsenz-Jury durchgedrungen. Da konnte zwar jedes Mitglied nochmal Arbeiten auf die Longlist heben, aber das große Ganze hat das natürlich nicht mehr verändert. Nicht alle Juror:innen war über dieses Verfahren glücklich. "Viele Arbeiten, die wir lieben, fehlen", sagt ein Jurymitglied hinter vorgehaltener Hand.
Schwacher Jahrgang
Allgemein scheint 2022 kein besonders starker Jahrgang zu sein. Nach zwei Jahren Pandemie, so wirkt es, in denen Kreativität für viele Marken eine Überlebensfrage war, scheinen Kunden und Agenturen jetzt wieder zum Alltagsgeschäft zurückgekehrt zu sein. Die ausgezeichneten Arbeiten immerhin heben sich wohltuend davon ab - erst recht die Grands Prix, die die Jurys dafür ausgelobt haben, dass sie aus der Marke heraus Business-, politische oder soziale Probleme lösen und das Leben der Menschen verbessern. Hier die Übersicht.
Grand Prix in Pharma:
Grand Prix in Health & Wellness:
Grand Prix for Good Health:
Grand Prix in Radio & Audio:
Grand Prix in Print & Publishing:
Grand Prix in Outdoor:
Gab es Trends? Eric Schöffler, CCO Germany von Havas Europe und Mitglied der Outdoor-Jury, sieht keine. Diversity, Inklusion, Nachhaltigkeit - alles Themen, die Mainstream und deshalb auch in der Kommunikation eine Rolle spielen müssen, "auch weil Marken dafür durchaus Verantwortung tragen". Und auch das Festival will hier einen Punkt machen: Die Jurys sind diverser zusammengesetzt denn je und nachhaltig sollen die Cannes Lions 2022 auch werden - ob letzteres gelingt, darf der schieren Größe des Festivals wegen angezweifelt werden.
Produkt schlägt Purpose
Auffällig ist allerdings die Rückbesinnung auf Produktwerbung, die, wenn auch nicht bei den Grands Prix, so doch in der Breite zu beobachten ist. "Purpose, Purpose,
Purpose, es war jetzt einfach zu viel", sagt Jens Petter Waernes, Geschäftsführer Kreation von Scholz & Friends. Er saß in der Print-Jury. In den vergangenen Jahren seien Produkte und Dienstleistungen etwas in den Hintergrund gerückt. "Ich bin kein Fan davon", meint der Kreative. Marken sollten verkaufen. Natalie Lam, Chief Creative Officer der Publicis Groupe Asia Pacific, Middle East & Africa, Präsidentin der Print & Publishing-Jury, sagt: "Wir sehen inzwischen eine gute Balance zwischen purpose- und produktgetriebenen Arbeiten."
Eine andere Frage ist der Umgang mit NGOs. Da hatten sich ja die New York Festivals entschieden, Arbeiten für Nichtregierungsorganisationen im Hauptwettbewerb nicht mehr zuzulassen. Kein anderes Festival ist diesem Schritt gefolgt. Gabriel Mattar, Chief Creative Officer von Innocean Worldwide Europe, findet das zumindest bemerkenswert. Mattar war Teil der Health&Wellness-Jury. Er fragt: "Ist Werbung die beste Wahl, wenn es darum geht, die Welt zu retten? Und würden Agenturen auch dann für NGOs arbeiten, wenn sie ihre Kampagnen nicht bei einem Festival einreichen könnten?"
Die Debatte ist eröffnet. Die nächsten vier Tage werden zeigen, wohin die Reise geht. Die ersten Cannes Lions wurden am Montagabend im Palais des Festivals vergeben.