Wer sich für Design Thinking rüstet, wie muss der seine Mitarbeiter schulen und seine Orga umkrempeln?

Zuerst geht es darum, das Methodenset wirklich zu vermitteln. Das ist eine Frage von Empathie und Methodenwissen. Die entsprechenden Skills werden schon in ganz vielen Unternehmen vermittelt. Der eigentliche Knackpunkt ist das Management. Agile Methoden verlangen nach einer extrem hohen Taktfrequenz von Entscheidungen. Die Governance-Struktur vieler Organisationen ist darauf nicht ausgelegt. Der Management-Stil muss sich hier grundlegend ändern: Entweder, man trifft selbst mehr Entscheidungen oder man stattet seine Mitarbeiter mit mehr Spielraum aus.

Ein Beispiel aus Ihrer Praxis?

In der praktischen Arbeit mit agilen Methoden, vor allem Scrum,  haben sich bei uns zwei zentrale Learnings ergeben. Erstens: Agilität ist Teamsport – alle müssen die vorgegebene Taktung mitschwimmen. Die Methode verlangt ein hohes Maß an Disziplin und Projektsteuerung. Die hohe Flexibilität von Agilität darf nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden. Man muss sich sehr streng an Abstimmungsroutinen halten. Das funktioniert vor allem dann, wenn man ein Team hat, das sich voll und ganz einem Projekt verschrieben hat. Bei vielen Nebenprojekten der unterschiedlichen Stakeholder wird es unheimlich schwierig.

Zweitens: Die Aufgabe ist das Ziel. Im IT-Bereich dienen agile Methoden dazu, innerhalb einer bestimmten Zeit ein bestimmtes Feature zu erstellen. Wie man dort hinkommt, ist erst einmal zweitrangig. Diese Vorgehensweise gestaltet sich bei strategischen Prozessen schwierig. Zum einen gibt es andere Reihenfolgeeffekte bei strategischer Arbeit. Zum anderen kann man den exakten Zielpunkt zu Beginn eines Projekts häufig noch nicht definieren.

Was heißt agile für die Kundenbeziehung und die Marktforschung?

Im Dienstleistungsbereich steigert Agilität ungemein die Ehrlichkeit und Offenheit in der Kundenbeziehung. Der Hauptunterschied zu klassischen Projekten: Durch die ständige Iteration und Neujustierung wird man ergebnisoffener. Man einigt sich auf eine Projektlaufzeit und ein Budget. Dann schaut man, wie weit man im Prozess kommt. Es findet zwangsläufig ein regelmäßigerer Austausch zwischen Kunden und Dienstleistern statt. Erfahrungsgemäß hilft es allen Parteien sehr, wenn man häufiger über Zwischenstände spricht und den Kunden inhaltlich abholt.

Auf die Marktforschung hat Agilität einen massiv positiven Effekt. Marktforschung war immer auch Steigbügelhalter von strategischer Rhetorik und Entscheidungsvorlagen. Man versuchte, sozusagen posthum, seine Entscheidungen zu rechtfertigen. Durch Agile wird Mafo als integraler Bestandteil schon sehr früh in den Prozess eingebunden. Auf jeder Iterationsstufe helfen Mini-Forschungen zu validieren, ob man sich auf dem richtigen Weg befindet.

Wie verändern Software-Lösungen die Art und Weise, wie Kundenfeedback eingeholt wird?

Der entscheidende Unterschied heißt: Zeit. Marktforschung kann es sich schlicht nicht mehr leisten, vier Wochen für die Auswertung von Fokusgruppen zu benötigen. In User Communities (qualitativ) gibt es jetzt die Möglichkeit, Instant-Feedback einzuholen und die Nutzer über einen längeren Zeitpunkt unkompliziert immer wieder um Mini-Evaluationen zu bitten. Marktforschung wird auch im quantitativen Bereich um ein Vielfaches schneller. Immer mehr Startups bieten quantitative Studienergebnisse über Nacht an. 

Verändert sich damit auch der Entstehungsprozess neuer Produkte und Dienstleistungen?

Produkte und Dienstleistungen entstehen nicht mehr in einem linearen F&E-Prozess, in dem erst das quasi marktreife Produkt für Nutzertests freigegeben wird. Schnelle Feedbacks im frühen Stadium der Produktentwicklung helfen dabei, die richtigen Dinge richtig zu machen und frühzeitig zu erkennen, wenn man am Bedarf der Nutzer vorbei innoviert. Durch Agilität wird Marktforschung viel stärker zum Anwalt der Zielgruppe.

Jan Pechmann, Jahrgang 1974, studierte Medienwissenschaften, Kommunikationsforschung und Sozialpsychologie in Hannover und gründete dort im Alter von 23 die Strategieagentur Diffferent. Er leitet die Agentur mit ca. 90 Mitarbeitern an den Standorten Berlin und München zusammen mit seinen Geschäftspartnern Alexander Kiock und Dirk Jehmlich. Mit seinen Kunden wie Audi und Zalando entwickelt Diffferent neue Produkte, Services und Geschäftsmodelle, hilft Organisationen, sich agil und zukunftsfähig aufzustellen und macht Teams und Mitarbeiter fit für die digitale Gegenwart.


Annette Mattgey, Redakteurin
Autor: Annette Mattgey

Seit 2000 im Verlag, ist Annette Mattgey (fast) nichts fremd aus der Marketing- und Online-Ecke. Als Head of Current Content sorgt sie für aktuelle Geschichten, Kommentare und Kampagnen auf wuv.de. Außerdem verantwortet sie das Themengebiet People & Skills.