EU-Verordnung:
Viele Agentur-Geschäftsmodelle werden von ePrivacy überrollt
Targeting, Tracking und Messung in Echtzeit verschwinden womöglich aus dem Leistungsportfolio von Agenturen.
Der gegenwärtige Entwurf der ePrivacy-Verordnung hat das Zeug, viele Business-Modelle von Digitalagenturen zu überrollen. Kommt es im digitalen Datenverkehr zur weitreichenden Zustimmungsmechanik ohne Ausnahmen, "dann werden quasi alle datenbasierten Geschäftsmodelle nicht mehr so umsetzbar sein wie bisher", warnt Marcus Veigel, stellvertretender Vorsitzender des BVDW-Fachkreises Full-Service-Digitalagenturen in der aktuellen Titelgeschichte des Kontakter (zum Heft geht es hier). Es zeichne sich ab, dass praktisch alle datenbasierten Geschäftsmodelle betroffen sind, warnt der Geschäftsführer von Cynapsis Interactive.
Targeting, Tracking und Messung in Echtzeit verschwinden dann aus dem Leistungsportfolio von Agenturen. Zumindest in der Form, in der solche Leistungen heute angeboten werden (mehr zum Stand und den Auswirkungen der ePrivacy-Verordnung). Diese Erkenntnis ist in Agenturen angekommen. Allerdings erst seit einigen Wochen, wie Ulrich Hegge von Appnexus beobachtet hat. Der Vice President für die Politik und für den europäischen Markt habe einen solchen plötzlichen Aktionismus noch nicht erlebt. Dabei dominiert in den meisten Fällen die Angst vor der Ungewissheit. "Viel zu wenige krempeln schlicht die Ärmel hoch und handeln", sagt Hegge. Und das wäre eine Überprüfung aller Prozesse.
Kompliziert wird es, da nahezu alle digitalen Datenmodelle auf vielen Schultern ruhen. Insofern liegt die Hoffnung nicht selten auf Dritten, sprich all jenen technischen Dienstleistern, angefangen von Vermarktern über Marktplätze bis hin zu den Agenturdienstleistern, die programmatische Werbung ermöglichen. Etwas, das nun zurückschlägt. "Wer agiert mit den Gesetzen konform, wem kann ich vertrauen? Das werden zentrale Fragestellungen", sagt Hegge.
Dramatische Reduzierung der Player
Appnexus arbeitet an gesetzeskonformen Prozessen, das Gleiche gilt für Google, Facebook und die großen Werbedienstleister für die Nachfrage - und die Angebotsseite. Dass am Ende wie bislang Hunderte von Firmen mittracken, messen und Daten sammeln, ist jedoch unwahrscheinlich. Die Zahl der Partner wird sich unweigerlich reduzieren. Parallel steigt der Aufwand.
"Wir müssen davon ausgehen, dass Dokumentationen und Audits die Komplexität und damit auch die Kosten für Projekte steigen lassen können", sagt Veigel. Julian Simons, stellvertretender Vorsitzender der BVDW-Fokusgruppe Programmatic Advertising, verspricht schon jetzt, dass intern erhebliche Ressourcen für die rechtskonforme Aufbereitung der notwendigen Unterlagen und Auskunfts- und Informationspflichten aufzubringen sind.
Die Kunden thematisieren das Thema längst, zumal die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bereits ab Ende Mai 2018 verbindlich gilt. Sie legt die Basis für die E-Privacy-Verordnung. Dass Kunden auf der Einhaltung der Regeln bestehen, liegt nicht zuletzt an den Strafen. Sie können 20 Millionen Euro oder vier Prozent des Jahresumsatzes betragen. Bisher lag der Höchstsatz in Deutschland bei maximal 300 000 Euro.
Das mag auch die Panik erklären, die jetzt herrscht. Im Zweifelsfall helfen hier die staatlichen Datenschützer. Sie prüfen Prozesse auch vorab und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. "Bei der Interpretation gehen die Datenschutzbehörden allerdings traditionell eher konservativ vor", warnt Rechtsanwalt Carsten Ulbricht.
Panik ist nicht gerechtfertigt
Ob dies in allen Fällen gerechtfertigt ist, lässt sich noch nicht abschätzen. Mit ersten Verfahren zur DSGVO ist erst ab Sommer zu rechnen. Landen diese vor Gericht, dauert es mindestens zwei Jahre, bis höchstinstanzliche Urteile vorliegen. Rechtssicherheit dürfte es also auf absehbare Zeit nicht geben.
Das gilt gleichermaßen für die E-Privacy-Verordnung, für die zudem eine Übergangsfrist gelten wird. Ob ein oder zwei Jahre – das ist noch nicht entschieden. "Panik ist also nicht angebracht", sagt Ulbricht, der in Sachen Datenschutz berät. Die Datenverarbeitung in der Werbung sei auch künftig möglich. Nur die eingehende Analyse der Datenverarbeitungsprozesse sollte nicht auf die lange Bank geschoben werden.
Mehr lesen Sie im aktuellen Kontakter, Ausgabe 25/2018. Daneben informiert Sie das aktuelle Dossier umfassend.