Blicken wir nun zurück auf dieses bisweilen skurrile Jahr, stellen wir befremdlich fest, dass wir uns noch mehr als je zuvor mit neuen Technologien beschäftigt haben. Dass wir uns sogar ausschließlich mit AdTech befasst haben: Mit KI, Machine Learning, IoT, AR und Algorithmen. Mit Smart Homes, Sprachassistenten und Streaming. Mit der DSVGO und Programmatic. Ach ja, und natürlich mit der Blockchain.

Apropos Machine Learning: Wer in der Adventszeit "Ich wünsche dir einen schönen zweiten…" ins Smartphone eingibt, bekommt automatisch „Weltkrieg“ angezeigt. Kein Witz. Kommentar spar ich mir…  

Dennoch haben wir 2018 ausnahmsweise einiges hinzugelernt:

Facebook besteht fast nur aus Skandalen. 44 Prozent der 18-29Jährigen US-Amerikaner haben die FB-App bereits von ihren Smartphones gelöscht. Nur hier in Europa kümmert niemanden, was das SM-Monster treibt. Außerdem gibt es keinen einzigen KPI aus Menlo Park, der sich nicht als falsch erwies. Nicht einmal die Reichweiten sind glaubwürdig.

Google hat "Do no evil" aus seinem Verhaltenskodex entfernt. Die sind wenigstens ehrlich.

Apps verfolgen uns Tag und Nacht auf Schritt und Tritt und verkaufen unsere intimsten Daten an jeden, der zahlt.

Die Ad Blocker-Rate liegt keinesfalls bei 20 Prozent, wie man uns hat weißmachen wollen. Sondern eher bei weit über 40 Prozent. Digital wirbt man quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Bei programmatischer Auslieferung der Werbung bleiben nicht 60 Prozent der Kundengelder auf der Strecke, sondern 80-85 Prozent.

Der Influencer-Marketing-Trend ist schneller vorbei, als er über uns hereinbrach.

In UK setzen Airlines Algorithmen ein, um gemeinsam Reisenden absichtlich getrennte Sitzplätze zu geben, damit sie Gebühren fürs Wieder-Zusammensetzen kassieren können. Wie menschenverachtend werden Marketing und Vertrieb noch?

Und zu guter Letzt ermittelt das FBI  in den USA weiter gegen Mediaagenturen wegen "non-transparent practices".

Digital fliegt uns um die Ohren

Soll ich fortfahren? Lieber nicht. Es macht keinen Spaß. 2018 war das Jahr der Media- und AdTech-Skandale, der Irrungen und Wirrungen, der Empörungen und Enttäuschungen. Unterm Strich haben wir hoffentlich ein wenig dazugelernt. Nämlich, dass uns weite Teile des digitalen Hypes gerade um die Ohren fliegen. Oder, positiv ausgedrückt, dass sich nach fast 25 Jahren digitaler Kommunikation endlich Spreu von Weizen trennt. Aber auch, dass ein blindes "Weiter so!" wie bisher so nicht weitergehen kann.

Auch in der letzten Bank wird man inzwischen wahrgenommen haben, dass unsere Consumer der analogen (Medien-)Welt keinesfalls den Rücken kehrten und Erhaltenswertes durchaus erhalten werden. Zumal Kantar in seiner Digital- und Mediatrend-Prognose für 2019 fest und steif behauptet, dass der gute, alte Fernseher ein Comeback feiert. Der Consumer, ein wahrlich seltsames Wesen.

Der Mensch? Im Mittelpunkt? Im was?

Da sind sie ja wieder: Diese Menschen, mit denen wir uns beschäftigen wollten. Die wir in den Mittelpunkt unseres ganzen Werbe-Handelns stellen wollten.

Die Dmexco gab sich 2018 redlich Mühe. Mit ihrem Motto C.A.R.E. ("R" stand für Responsibility) hat sich das Team um Dominik Matyka der Kritik gestellt und mehr zu "menscheln" versucht, statt nur die neuesten Hypes, Buzzes, Gadgets und Tools zu glorifizieren. Die Vorbereitungszeit dafür war kurz, der Ansatz aber erkennbar.

2019 wird es auf der Dmexco (hat mir Dominik versprochen) noch mehr um den Consumer, gewiss um Privacy und sicher auch um "Solid"  gehen, an dem der Vater des Webs, Tim Berners-Lee, derzeit am MIT arbeitet. Solid stellt die Interessen der User über alles (!) und gewährt ihnen (neu!) die Hoheit über ihre persönlichen Daten. Mit der E-Privacy-Verordnung, Entwicklungen wie Solid und der (hoffentlich) baldigen Abkehr von Datensaugern wie Facebook wird das ominöse "Big Data" für viele Kritiker ohnehin seinen Schrecken verlieren, manch anderen jedoch die Geschäftsgrundlage entziehen. Die Dmexco 2019 wird also sehr spannend.

Auch die Organisation Werbungtreibende (OWM) wird weiterdenken. Stand ihre Tagung in diesem Jahr noch unter dem Motto "Marketing powered by Data & Technology", reicht es 2019 nicht mehr aus, nur am Rande zu erwähnen, dass der Kunde König ist.

Während die OWM-Vorsitzende Tina Beuchler in ihrer Eröffnungsrede noch warnende Worte sprach: "Allerdings gerät im Zuge des digitalen Hypes leicht der Mensch aus dem Fokus." - war danach mehr von Tech Trends, Zuora, Hubspot und Adobe zu hören. Das Thema Ethik schien eine Alibi-Rolle einzunehmen, war jedoch immerhin präsent. Philipp Markmann von L’Oréal gelang es in seiner Rede, betitelt mit "Consumer Centricity", vom Traum "die #1 Beauty Tech Company zu sein" zu erzählen - und präsentierte voller Stolz seine neuesten Dashboards. Der Geist echter Customer Centricity war im Raum nicht wirklich zu spüren.

Techno-Mutations-Monster

Wahre Consumer Centricity sieht anders aus. Dazu müsste man allerdings die Realität betrachten. Und nicht die (Alb-) Träume der Media-Technokraten. Die Realität ist: weit über 50-Jährige Konsumenten in Supermärkten mit Einkaufswagen voller FMCGs, die gleichzeitig mit ihrem Rollator kämpfen. Aber Werber gehen wohl nicht so oft einkaufen. Überhaupt ungerne unter echte Menschen. Im gut bezahlten Silo lebt es sich halt leichter. Und währenddessen machen die bisweilen bizarren, wirklichkeitsverzerrenden "Personas" eh mehr Spaß.

In Forbes schreibt derweil John Hall über "5 Marketing Trends To Pay Attention To In 2019" und schreibt unablässig über People, Trust, Creativity, Engagement, Customers, Relationships und Authenticity. Kein Wort von Techo-Mutations-Monstern. Oder dass wir die Verbraucher stalken, ihre intimsten Daten klauen und sie zu willenlosen Kauf-Robotern machen sollen. Klingt nach dem richtigen Weg.

Aber halt! Es gibt sehr wohl eine Alternative: Wir automatisieren das Marketing doch (kein Problem), die Werbung (schade um die Kreation) und Media (tschüss Kreuzchenplaner, Rechenschieber und Geldvernichter). Media ist zuallererst natürlich besonders gefährdet. Media verschwindet künftig im Strudel von Programmatic, das künftig von der Blockchain überwacht wird. Eine (Media-) Strategie hatten 80 Prozent der Werbekunden zuvor ohnehin nicht - die merken also keinen Unterschied. Maschinen und Algorithmen regieren fortan über alles.

Wissen Sie, wie sich der Consumer vor diesem Albtraum schützen wird? Erst sprengt er die Adblocker-Rate auf über 80 Prozent. Dann wird er sich eigene Bots zulegen und damit eine Verteidigung gegen die verhasste, automatisierte Werbung installieren. Am Ende reden künftig Werbe-Maschinen mit Consumer-Bots. Das wird ziemlich lustig. Erzeugt aber sehr ansehnliche KPIs. Also alles wie immer…

Ist das die Werbewelt, die wir uns sehnlichst herbeiwünschen?

Träume sind keine Schäume

Ich wünsche mir ein 2019, in dem ich nicht wieder über "Trends aus der Marketing-Hölle" berichten muss. Sehen wir doch ein, dass wir eine höchst virtuelle Buzz-Monstrosität vor uns hertreiben. Im festen Glauben, dass die Technologie alles richten wird, was zuvor einfältige Marketer, Werber und angebliche Mediaexperten angerichtet haben.

Doch ein Traumtänzer bin ich nicht. 2019 wird das wohl nicht klappen. Dazu sind die Technokraten unter den Werbern noch viel zu verbohrt. Und in Überzahl. Und selbstverliebt zudem. Sie sind raue Steine, die im Bach liegen, den effizienten Fluss des Wassers aufhalten und ewig brauchen, bis sie ausgewaschen wurden - und erst nach dieser Transformation zu Handschmeichlern werden. Bis sie also zu Menschen werden mit echten Emotionen, die in ihren Zielgruppen wirkliche Menschen mit reellen Emotionen erkennen.

Aber 2020… dann machen wir das mit den Menschen, oder? Gerne mit Bildern. Vor allem aber mit Emotionen. Ich wünsche Ihnen besinnliche, menschliche und ganz besonders emotionale Weihnachten.


Thomas Koch  Foto: Clap Bruchhaus&Ingenweyen
Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.