TV-Kritik "Gottschalk Live": Ego-Trip mit Charme
"Mama, der redet mir zu viel": W&V-Online-Redakteurin Petra Schwegler hat sich die Premiere von "Gottschalk Live" angesehen - gemeinsam mit einem Zuschauer von morgen - ihrem neunjährigen Sohn. Eine familiäre Gottschalk-Kritik.
Eines gleich vorweg: "Gottschalk Live" ist wirklich eine neue Farbe im Vorabendprogramm der ARD. Und der neue Talk mit Thomas Gottschalk hat Potenzial. Aber – und nun kommen die Einschränkungen – der redefreudige Entertainer muss die Werbeunterbrechungen in den Griff bekommen. Gottschalk muss damit umgehen lernen, dass er nun im Werberahmenprogramm eines öffentlich-rechtlichen Senders auftritt, das mit Werbung finanziert wird und daher alle paar Minuten seinen unermüdlichen Redefluss für kurze Filme unterbricht.
Zum Auftakt am Montag haben die Spots den ARD-Rückkehrer und seinen ersten Gast Michael "Bully" Herbig augenscheinlich aus dem Konzept gebracht – und gerade mal eine Zuschauerfrage aus dem Facebook-Topf hat es vor lauter Sprechen, Werben, Vorstellen in die erste Sendung geschafft. Die Zuschauer, via Twitter und Facebook ins Format eingebunden, haben ihren Unmut über "so viel Werbung" im Social Web umgehend kundgetan. Fürs Erste tut dies der Quote keinen Abbruch: Mit 4,34 Millionen Gesamtzuschauern und einem Marktanteil von 14,6 Prozent bei den Zuschauern ab drei Jahren kann das Debut des langjährigen "Wetten, dass...?"-Moderators bei der ARD als gelungen bezeichnet werden.
Zugute halten muss man Gottschalk, dass er schon im Vorfeld um Nachsicht beim Publikum gebeten hat. Dass er das neue Format erst einmal lernen müsse. Die Nachsicht sei ihm gewährt – denn was er zwischen den Werbeunterbrechern geboten hat, hat wirklich Spaß gemacht. Thomas Gottschalk findet dort zu einer Form zurück, die die "Generation Golf" in Bayern noch aus seiner Zeit als Moderator bei der Münchner ARD-Popwelle Bayern 3 kennt. Keine Spur mehr von der etwas gelangweilten und hingeworfenen Redeweise, die Gottschalk in seinen letzten Jahren – bis zum schrecklichen Unfall bei "Wetten, dass....?" – an den Tag gelegt hat. Die Voraussetzungen für einen Gottschalk in Bestform sind zumindest geschaffen: Er fühlt sich sichtlich wohl dabei, wenn die Zuschauer in sein neues Berliner Wohnzimmer kommen. Gottschalk und das anwesende und sehr junge Redaktionsteam wirken bereits vertraut, das stark präsente Thema Social Media nimmt er gewohnt selbstironisch auf die Schippe ("wir führen die älteren Zuschauer an das Thema heran"). ARD-Programmdirektor Volker Herres umschreibt Gottschalks Premiere so: "locker, spontan und äußerst temporeich".
Auch seinen alten Weggefährten aus Radiozeiten, Günther Jauch, vergisst Gottschalk nicht. Der ebenfalls zur ARD zurückgekehrte Talker muss sich gefallen lassen, dass Thomas Gottschalk über die blau-weiße ARD-Krawatte herzieht – die Jauch trägt, aber Gottschalk verweigert. Der "Buhrow"-Schlips (im Ersten tragen Nachrichtensprecher und Moderator durchaus die Krawatte im unsäglichen blau-weißen Rautendesign, wie Einspieler in "Gottschalk Live" belegen) kommt Gottschalk nach eigener Aussage nicht an den Kragen. Sein "Zugeständnis" an das Erste: eine Weste mit passender Hose in gedecktem Camel. Keine Spur von wilden Mode-Eskapaden, die Thomas Gottschalk im ZDF über mehrere Jahrzehnte hinweg zur Schau getragen hat. Den Schlips, den die ARD Gottschalk zur Verfügung gestellt hat, kann ein Zuschauer gewinnen – laut Thomas Gottschalk ist der Andrang via Facebook während der Sendung schon sehr hoch gewesen. Der Gewinner wird am Dienstag verkündet.
Alles in allem ist schon ganz schön viel Gottschalk bei "Gottschalk Live". Der neunjährige Sidekick der Autorin fasst es so zusammen: "Der redet mir zu viel." Thomas Gottschalk legt in der Tat einen Ego-Trip hin – aber das macht er zugegeben mit reichlich Witz und Charme. Wie er mit dem Boulevard abrechnet und seine neue Sendung nutzt, um die Story der "Freizeitrevue" zu dementieren, in der sich ein angeblich verarmter Cousin von Gottschalk zu Wort meldet ("Nein, lieber Jan, es gab einen Onkel, der hieß Oswald und nicht Franz!"). Oder wie er sehr liebenswürdig das Thema des Wochenstarts aufgreift und geschickt umschreibt, wie die von ihm entdeckte Heidi Klum zuhause die Hosen an hat und damit ihren Gatten Seal in die Flucht geschlagen haben dürfte. Wie Gottschalk sein Team einbaut ("Johannes, du bist meine Gedächtnis!") und erklärt, dass er lieber keine englischsprachigen Gäste wie Nicolas Cage mehr empfangen will. So tritt Bully zur "Gottschalk Live"-Premiere an und macht es Gottschalk leicht, denn die beiden können sich augenscheinlich gut leiden. Das ist ein Pfund, mit dem der Talkmaster wuchern kann: sein prominenter Freundeskreis. Zum Zuge kommt an Tag zwei mal eben so "Kaiser" Franz Beckenbauer – das muss man Gottschalk erst mal nachmachen.
Die ARD hat aber auch daran gedacht, dass Gottschalk überziehen MUSS. Das darf er jetzt bei Facebook und im Live-Chat.