Werbeboykott für Facebook und Google droht:
Fundamentalkritik an digitaler Werbung flammt wieder auf
Jetzt droht der Konzern Unilever den Plattformen mit Werbeentzug, die nicht genug für den Schutz von Kindern und gegen die Spaltung der Gesellschaft tun.
Das ist eine ernste Sache für digitale Plattformen wie Facebook und Google, ebenso Twitter, Instagram, Pinterest: Unilevers Marketingchef Keith Weed kündigte an, der Konzern werde künftig nicht mehr auf Plattformen werben, die "die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben oder beim Kinderschutz versagen". Weed erklärte das bei seiner Rede auf dem IAB Annual Leadership Meeting in Kalifornien.
Die massive Kritik geht also weiter. Vor einem Jahr hatte Marc Pritchard, Markenchef von Procter & Gamble, ebenfalls auf dem IAB begründet, warum seine Firma weniger auf Digitalplattformen werben werde. Pritchard kritisierte Intransparenz, den weit verbreiteten Betrug und die Weigerung mancher Marktteilnehmer zur Kooperation in Sachen Messbarkeit (hierbei nannte Google und Facebook nicht beim Namen, sprach aber deutlich auch in deren Richtung). In der Folge strich P&G sogar rund 100 Millionen an digitalen Werbegeldern.
Parallel wurden in Deutschland die Bruttoausgaben seit 2015 für das Medium TV nahezu verdoppelt. Laut dem Martkforscher Nielsen hatte P&G 2017 in Deutschland insgesamt für gut 1 Mrd. Euro geworben, Unilever auf Platz 13 immerhin noch für mehr als 212 Mio. Euro. Weltweit gibt allein P&G als weltgrößter Spender netto rund 10 Mrd. Dollar pro Jahr für Marketing aus.
Die beiden Konsumgüterhersteller - Unilever steht zum Beispiel hinter den Marken Dove, Axe, Knorr, Langnese, Rama und Pfanni - haben damit enormen Einfluss auf Werbeträger. Auf dem digitalen Werbemarkt wiederum dominieren Google (Alphabet) und Facebook - laut einer Erhebung der Mediagruppe Zenith landeten 2016 rund 20 Prozent der weltweiten Werbeausgaben (von rund 550 Mrd. Dollar) bei den beiden Digitalkonzernen, mobil und digital sind es rund 70 Prozent. Klassische Medienhäuser können von solchen Umsätzen nur noch träumen.
Doch nun steigt der Druck erneut: Für Weed und Unilever geht es nicht hauptsächlich um Transparenz, sondern um gesellschaftliche Verantwortung und Brand-Safety, also ein Werbeumfeld, das der Marke nicht schadet.
Sanfter Druck
Allerdings: Unilever will nun Budgets erst streichen, wenn auf Plattformen unangemessene Aktivitäten, die der Marke schaden, festgestellt würden. Nicht im Vorhinein. Lieber will Keith Weed konstruktiv vorgehen und gemeinsam mit den Digitalfirmen deren Seiten verbessern. "Ich stelle hier kein öffentliches Ultimatum"; sagte Weed.
Was er könnte: Natürlich ist das Gewicht der großen Werbungtreibenden enorm. Die New York Times zitiert dazu den Analysten Brian Wieser von Pivotal Research: "Wenn Marketer nichts sagen würden, könnte nur das Risiko staatlicher Regulierung die Plattformen zum Handeln bringen."
Bislang hatte Marketingmann Weed den Standpunkt vertreten, es sei nicht nötig, Plattformen öffentlich zu brandmarken. Das hat sich offenbar geändert:
"Für Unilever ist es wichtig, dass die Kunden unseren Marken vertrauen. Wir können dieses Vertrauen nicht aufs Spiel setzen - das umfasst auch die Wahl der Kanäle und Plattformen, die wir einsetzen. 2018 ist das Jahr, in dem Social Media unser Vertrauen zurückgewinnen muss."
Konkrete Plattformen, die mit Werbeentzug rechnen müssen, nannte der Marketingchef nicht. Abgesehen von Pinterest waren aber alle im vergangenen Jahr unter Beschuss und mussten sich Themen wie Fake News, Wahlkampfbeeinflussung, Jugend- und Datenschutz und Diskriminierungsvorwürfen stellen. Auch diese Diskussion ist also nicht neu.
Bereits im März vergangenen Jahres hatten zahlreiche Kunden Youtube-Budgets eingefroren, nachdem die "Times" Markenwerbung vor Videos terroristischer Organisationen nachgewiesen hatte. Zu den großen US-Firmen gehörten Johnson & Johnson und der Telekom-Konzern AT&T. A&T hat erst gestern laut New York Times bestätigt, man werde erst zurückkehren, wenn Youtube eine Null-Toleranz-Strategie verfolge, sagte Markenchefin Fiona Carter.
Unilever hatte sich dem Boykott damals nicht angeschlossen, vertritt aber heute die Auffassung, die Technik-Konzerne hätten zu wenig getan, um gegen die Verbreitung illegaler, unethischer und extremistischer Inhalte auf ihren Plattformen vorzugehen.
Unilever selbst landete aber auch schon im Fettnapf: Im Oktober 2017 postete der Konzern für Dove Motive, die einen Shitstorm wegen Rassismus auslösten. Die Bilderfolge suggerierte, eine farbige Frau werde durch Anwendung von Dove weiß. Unilever zog die Motive zurück und entschuldigte sich - es sei um individuelle Schönheit gegangen. Vielfalt jenseits gelernter Ideale war beispielsweise in den viel gelobten und prämierten Kampagnen unter dem Motto "Real Beauty" (Agentur: Ogilvy) auch stets die Aussage gewesen. (sh/lp)