Thomas Koch:
Das Märchen vom Untergang der Mediaagenturen
Was? Die Mediaagenturen zum Untergang verdammt? Kann nicht sein, findet das ewige Entant terrible der Branche. Ein Media-Märchen von Thomas Koch.
Es war einmal… Die Mediaagenturen haben es im Augenblick nicht leicht. Alle trampeln auf ihnen herum - und wer es nicht tut, grätscht gnadenlos in ihren Geschäftsgarten hinein. Man möchte nicht mit ihnen tauschen: Die Renditen sinken, die Shareholder der Big Networks sind nervös. Ihre Führungskräfte suchen schon das Weite.
Die Liste der Fehltritte und Vorwürfe ist lang:
- Die meisten Mediaagenturen sind weder transparent, noch neutral.
- Sie haben sich zu reinen An- und Verkäufern entwickelt und dabei das Beraten verlernt.
- Sie können zwar Programmatic, aber dafür nicht mehr Strategie.
- Die Mediaagenturen denken nur an den eigenen Gewinn und null an die Ziele und Forderungen ihrer Kunden.
- Sie investieren viel zu wenig - und wenn, dann falsch.
- Sie sind für die digitale Transformation nicht im Entferntesten vorbereitet oder gar kompetent.
- Ihren Kunden fällt derweil auf, dass die Media-Arbeit der Agenturen die negative Entwicklung ihrer Marken nicht aufzuhalten vermag.
Von allen Seiten kommen die Angriffe auf ihr Geschäftsmodell: Von Beratern wie Accenture und Deloitte, aus der IT- und AdTech-Ecke, die sowieso alles besser können. Von Google und Facebook, die lieber Direktgeschäfte mit den Kunden machen. Und zu allem Überfluss kommt noch die Blockchain-Technologie daher, die das schöne Geschäft mit den Kundengeldern transparent zu machen droht. Ja, die Angriffe kommen sogar von den eigenen Kunden, die mit SAP & Co immer häufiger In-house-Media-Lösungen installieren.
Die Mediaagenturen sind unausweichlich zum Untergang verdammt.
Alles Bullshit!
Natürlich haben die Mediaagenturen verstanden. Es gibt ja praktisch nur noch sechs davon. Und die sechs CEOs der Agentur-Holdings sind doch nicht blöd. Sie geben doch nicht ihre abenteuerlich hohen Renditen, das Wohlwollen ihrer Shareholder und ihre 9stelligen Gehälter auf, nur weil sie von ein paar branchenfremden Möchtegern-Beratern und IT-Freaks angegriffen werden.
Sie haben Antworten. Sie haben verstanden, dass sie statt (wie bisher) auf die sieben Todsünden zu fokussieren - Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit - zu ihren sieben ehemals größten Stärken zurückfinden müssen: Professionalität, Kompetenz, Beratung, Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Neutralität. Sie haben daher genau sieben Antworten formuliert. Und die haben Folgen:
Die Sieben-Punkte-Pressur-Media-Explosions-Technik
1.
Die Mediaagenturen benennen sich um in DSC-Agencies: DSC steht für: „Dedicated to Serve our Customers“. Dienstleistung pur. Sie wissen wieder, wie Dienen geht. Sie orientieren sich client-centric, ausschließlich an den Interessen und Zielen ihrer Kunden. Jeder Betrug am Kunden wird fortan mit einwöchigem Server-Ausfall bestraft.
(Die Folge: Eine in großer Ferne beheimatete Agentur steigt freiwillig aus dem Media-Geschäft aus und wendet sich dem Filmgeschäft zu.)
2.
Die Agenturen schmeißen ihre unterbezahlten, untererfahrenen Mediaplaner raus und stellen massenweise bestens ausgebildete, geniale Mediastrategen ein: Generalisten, die das Media-Handwerk und die sich monatlich verändernde Medienlandschaft besser verstehen als jeder andere. Sie entwickeln plötzlich echte Strategien und neuerdings sogar individualisierte Media-Auftritte, die die Umsätze ihrer Marken-Kunden wieder in die Höhe schnellen lassen.
(Die Folge: Accenture wendet sich profitableren Erlösquellen zu.)
3.
Die Agenturen geben den Mediaeinkauf komplett auf. Der Einkauf läuft nunmehr über einen von der World Federation of Advertisers global gesteuerten, Großrechner namens „Deep Thought“, der dafür sorgt, dass jeder Verbraucher nur die Werbung sieht, die er richtig doll mag.
(Die Folge: Was von IBM in Wiesbaden übrigbleibt, übernimmt ein gewisser A. Ruzicka.)
4.
Die Agenturen werden zu Vorreitern der Blockchain-Technologie und bieten eine Transparenz über Prozesse und Geldflüsse, die ihren Auftraggebern Freudentränen in die Augen schießen lassen. Kein Kunde kommt jemals mehr auf die Idee, Media in-house zu installieren.
(Die Folge: SAP fliegt kurzerhand aus dem DAX.)
5.
Mit Erfolgshonoraren verdienen die Mediaagenturen so viel Geld, dass sie einerseits ihre Shareholder beglücken, andererseits nun deutlich mehr investieren können, um auf immer und ewig die Nase vorn zu haben. Nicht aber in IT, sondern in einen neuen, von Professor Byron Sharp gegründeten Wissenschaftszweig SAAS: Science of Applied Advertising Success.
(Die Folge: Deloitte zieht sich aus dem Media-Geschäft wieder zurück.)
6.
Jetzt kommt’s ganz Dicke: Omnicom kauft Alphabet. Publicis erwirbt die Mehrheit an Facebook und benennt es um in „Le livre des visages“. WPP, inzwischen von S4 Capital übernommen und geläutert, investiert in Printmedien, bewahrt damit die „Vierte Gewalt“ und rettet so alle Gesellschaften und Demokratien der freien, westlichen Welt.
(Die Folge: Mindshare wird für den Friedensnobelpreis 2020 nominiert.)
7.
Die Agenturen legen ein neues Geschäftsmodell vor, das nicht nur nachhaltig und zukunftsfähig ist, sondern sich wieder an den Zielen ihrer Kunden orientiert. Dies ist im Dienstleistungssektor dermaßen beispiellos, dass die Werbekunden eine Stiftung gründen für in die Jahre gekommene Media Manager, Mediaeinkäufer und Planer.
(Die Folge: Die OWM löst sich auf, da es keine Interessen mehr gibt, die zu vertreten wären.)
Es war so einfach. Dank der Sieben-Punkte-Pressur-Media-Explosions-Technik ist der Fortbestand der Mediaagenturen gesichert.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…