Eurovision Song Contest:
"Falsch eingeschätzt": NDR verzichtet auf Naidoo beim ESC
Wegen der anhaltenden Kritik im Internet hat der NDR Xavier Naidoos Nominierung für den Eurovision Song Contest zurückgezogen. Die ARD kritisiert streng den NDR.
Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) hat Xavier Naidoos Nominierung für den Eurovision Song Contest (ESC) zurückgezogen - nun soll rasch ein neuer Kandidat gefunden werden. "So schnell wie möglich werden wir entscheiden, wie der deutsche Beitrag für den ESC in Stockholm gefunden wird", erklärte ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber. Das Prozedere dafür blieb also erst mal offen. ARD-Programmdirektor Volker Herres sagte der "Welt am Sonntag": "Die Nominierungs-Entscheidung liegt beim NDR, der den ESC allein verantwortet und in das ARD-Gemeinschaftsprogramm einbringt."
Der NDR nun ein neues Konzept für die Vorauswahl zum Eurovision Song Contest (ESC). "An der Frage, wie der deutsche Beitrag für den ESC in Stockholm gefunden wird, wird jetzt gearbeitet", sagte NDR-Sprecher Martin Gartzke, wo noch bis zu diesem Dienstag auch die Intendanten der Landesrundfunkanstalten tagen. Ob sich für den NDR Konsequenzen aus der Absage an Naidoo ergeben, ließ Sprecher Gartzke offen. "Über mögliche Verpflichtungen des NDR gegenüber Xavier Naidoo können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Angaben machen, da das Projekt nicht zustande kam und wir daher zunächst mit dem Management reden müssen." Auch die Sprecherin des Künstlers, Merle Lotz, machte zu vertraglichen Details keine Angaben und verwies auf die Äußerungen Naidoos auf seiner Homepage und bei Facebook.
Der NDR hatte am Donnerstag mitgeteilt, dass Xavier Naidoo im kommenden Jahr für Deutschland singen soll, ohne sich in einem Vorentscheid gegen andere Kandidaten durchsetzen zu müssen. Rasch regte sich vor allem in sozialen Netzwerken heftiger Widerstand, mehrere Petitionen wurden gegen die ARD-Pläne gestartet. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) bezeichnete die Nominierung als "äußerst kritisch". Auch von einigen Politikern kamen ablehnende Reaktionen. Am Samstag zog der Sender die Nominierung schließlich zurück. "Es war klar, dass er polarisiert, aber die Wucht der Reaktionen hat uns überrascht", erklärte Schreiber. "Wir haben das falsch eingeschätzt."
Naidoo hatte in den vergangenen Jahren immer wieder Diskussionen ausgelöst - etwa, als er am Tag der Deutschen Einheit 2014 vor rechtspopulistischen "Reichsbürgern" sprach, die Deutschland nicht als souveränen Staat anerkennen. 2012 rief der Text des Liedes "Wo sind sie jetzt" von Naidoo und Kool Savas Ärger hervor - er wurde als homophob kritisiert. "Ob ihn das als begnadeten Künstler, der er zweifelsohne auch ist, für eine Teilnahme am ESC disqualifiziert, ist eine Frage, die man kontrovers diskutieren kann und muss", sagte Programmdirektor Herres über Naidoo. "Ich hätte es begrüßt, wenn diese Diskussion ARD-intern hätte geführt werden können, bevor mit der Nominierung Fakten geschaffen wurden", kritisierte Herres in der "Welt am Sonntag".
Das Publikum habe deutlich gezeigt, dass es den ESC-Repräsentanten selbst wählen wolle, sagte Komponist und Produzent Ralph Siegel dem Nachrichtenportal "Focus Online". Der NDR solle nun einen Vorentscheid mit Publikumsabstimmung und geeigneten Künstlern organisieren. Er selbst zum Beispiel würde gern wieder einmal für Deutschland ins ESC-Rennen gehen, erklärte Siegel. Er ist Komponist von "Ein bißchen Frieden", mit dem die Sängerin Nicole 1982 den ersten Sieg Deutschlands beim Grand Prix errungen hatte (die deutschen Teilnehmer seit 2006 weiter unten). Xavier Naidoo könne einem leidtun, der Sänger werde sich aber "mit seinen guten Songs und Sendungen" wieder von den "paar Imageverletzungen" erholen, ist Siegel überzeugt. Den Ruf des Eurovision Song Contest sieht er nicht in Gefahr.
Naidoo selbst gab sich nach der Absage kämpferisch. "Meine Leidenschaft für die Musik und mein Einsatz für Liebe, Freiheit, Toleranz und Miteinander wird hierdurch nicht gebremst", beteuerte er in einer schriftlichen Stellungnahme. Der Entschluss, die Nominierung zurückzuziehen, sei einseitig vom NDR gefasst worden, betonte er. Er machte gleichzeitig klar, dass der Entschluss, nicht für Deutschland beim Grand Prix zu singen, einseitig gefasst worden sei. "Wenn sich nun kurz nach unserer vertraglichen Einigung mit dem NDR und dem Abschluss aller Vorbereitungen die Planungen der ARD durch einseitige Entscheidung geändert haben, dann ist das OK für mich."
Unterstützung bekam der Sänger in den vergangenen Tagen von vielen Künstlerkollegen, etwa von Pur-Sänger Hartmut Engler und seiner Band, von Komiker Michael Mittermeier und Schauspieler Til Schweiger sowie dem Konzertveranstalter Marek Lieberberg (Rock am Ring).
Naidoo hat seine Alben in Deutschland millionenfach verkauft. Mit "Dieser Weg" lieferte er 2006 den Hit zum Fußball-Sommermärchen. Den Echo bekam er sechsmal, zuletzt in diesem Jahr. Das nächste Finale des ESC, der als weltgrößte Live-Musikshow gilt, findet im Mai 2016 in Stockholm statt, nachdem der Schwede Måns Zelmerlöw dieses Jahr mit seinem Song "Heroes" in Wien gewonnen hatte. Der NDR, der in der ARD für den Grand Prix verantwortlich ist, wollte Naidoo ursprünglich dort für Deutschland singen lassen, ohne dass sich der Mannheimer in einem Vorentscheid gegen andere Kandidaten hätte durchsetzen müssen. Bereits 2015 gab es einen ESC-Skandal, als sich der von den Zuschauern gewählte Andreas Kümmert entschloss, nicht in Wien beim ESC anzutreten.
Deutschland hat seit Gründung des Eurovision Song Contests (ESC) 1956 bis auf eine Ausnahme jedes Jahr daran
teilgenommen. Nur zweimal gelang der Sieg - 1982 und 2010. Wer Deutschland zuletzt beim ESC vertrat:
2015: Ann Sophie mit "Black Smoke" - Platz 27
2014: Elaiza mit "Is It Right" - Platz 18
2013: Cascada mit "Glorious" - Platz 21
2012: Roman Lob mit "Standing Still" - Platz 8
2011: Lena mit "Taken By A Stranger" - Platz 10
2010: Lena mit "Satellite" - Platz 1
2009: Alex Swings Oscar Sings mit "Miss Kiss Kiss Bang" - Platz 20
2008: No Angels mit "Disappear" - Platz 23
2007: Roger Cicero mit "Frauen regier'n die Welt" - Platz 19
2006: Texas Lightning mit "No No Never" - Platz 14