Kolumne Markenlage:
"Die Impfkampagne ist eine kommunikative Kapitulation"
Was macht eigentlich Olaf Scholz, haben wir uns gefragt. Endlich wissen wir es: Er nickt Impfkampagnen ab. Scholz packt das an. Doch noch besser hätte er die Finger davon gelassen, sagt W&V-Kolumnist Mike Kleiß.
Wir haben lange nichts von Olaf Scholz gehört. Seine Wahlkampagne war lauter, als es der Kanzler in Wahrheit selbst ist. Nach der gewonnen Wahl wurde es still um den Bundeskanzler. „Scholz packt das an“ war eine seiner Kernbotschaften, die ihn ins Amt heben sollte. Es sind Monate vergangen und wir wissen nicht so recht, was Olaf Scholz bisher so angepackt hat.
Vielleicht hat er einfach – auch aus „Respekt für Dich“, ebenfalls ein Wahlslogan aus 2021 – zunächst gut überlegt, was er zuerst in den Griff bekommen muss. Corona und die Impfproblematik hat er – gut ausgewählt – zur Chefsache erklärt. „Kompetenz für Deutschland“ hat Scholz im Wahlkampf versprochen, nun setzen er und sein Gesundheitsminister die zweite Impfkampagne mit recht wenig Kommunikationskompetenz an die Wand. Bitter!
Denn die 60 Millionen Steuergelder hätte man sehr gut dort einsetzen können, wo sie dringender gebraucht werden: in der Pflege etwa. Vor ziemlich genau einem Jahr rief der "Stern" eine Bundestags-Pflege-Petition ins Leben. Über 350 000 Menschen unterzeichneten sie, führende Organisationen und Verbände aus dem Gesundheitswesen, zahlreiche Alten- und Krankenpflegekräfte, Patient:innen, Ärzt:innen und zahlreiche Prominente. Sie ist eine der erfolgreichsten Petitionen in der Geschichte des Bundestags. Stern-Chefredakteur Florian Gless dazu: „Das war ernüchternd, aber lehrreich.“
"Farbgebung und Anmutung haben echte Parallelen zu den Sanifair Bons."
60 Millionen Steuergelder fließen nun also in die zweite Kampagne von Scholz&Friends und Cosmonaut&Kings, die auch schon die Motive für die erste Kampagne „Ärmel hoch“ entworfen hatten. Frei nach dem Motto: Was beim ersten Mal nicht so recht funktioniert hat, klappt bestimmt beim zweiten Mal. Man muss nur genug Steuergelder einsetzen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Kolleg:innen sind außergewöhnliche Profis, die eine lange Liste fantastischer Arbeiten vorweisen können. Herausgekommen ist hier jedoch eine Kampagne, die handwerkliche Fragen aufwirft. Die Idee für die Motive von „Impfen hilft“ könnten auf einer Autobahnraststätte irgendwo in Deutschland entstanden sein. Farbgebung und Anmutung haben echte Parallelen zu den Sanifair Bons, die stumpf aus dem dem Automaten gespuckt werden. Jeder kennt das.
Bei der Vorstellung der Kampagne hagelte es Hohn und Spott. Gerade in den sozialen Netzwerken wurden wieder viele mutig. Das darf natürlich kein Gratmesser sein. Man kann sich sicher geschmacklich über die neue Impfkampagne streiten, die kreative Leistung ist in jedem Fall weit unter dem Niveau, das man von den geschätzten Kolleg:innen sonst in der Regel bekommt. Beinahe liegt der Verdacht nahe, dass es eventuell kreativere und bessere Vorschläge gegeben hat. Dass nur die Verantwortlichen auf Seite der Bundesregierung gezielt die langweiligste Version auswählten. Aber selbst bis hierhin: Geschenkt.
"Keine Impfkampagne, egal wie clever und kreativ sie auch sein mag, wird funktionieren."
Fassungslos macht eine Sache: Scholz und Lauterbach haben bis heute nicht verstanden, dass einfach keine Impfkampagne, egal von welcher Agentur umgesetzt, egal wie clever und kreativ sie auch sein mag, funktionieren kann und wird, denn: Die Entscheidung gegen das Impfen ist für viele Deutsche ein politisches Statement, eine Frage der Haltung, und längst keine Gesundheitsfrage mehr. Auch keine Frage der sozialen Verantwortung. Längst hätten Millionen Deutsche den Weg zum Impfen suchen können, eine mittelmäßige Werbekampagne kann kaum ein politisches Statement verändern.
Ein zweiter wichtiger Punkt, den Scholz und Lauterbach natürlich wissen, aber komplett wegignorieren: Ein großer Teil der Menschen in unserem Land hat das Vertrauen in die Politik längst verloren. Wer dann noch Propaganda machen muss, um das Volk auf seine Seite zu bekommen, gerät –gerade in Deutschland mit der Geschichte unseres Landes – schnell unter Generalverdacht.
"Mit Günther Jauch und Uschi Glas deutete sich die kommunikative Kapitulation bereits an."
Das Gesundheitsministerium um dessen Chef Karl Lauterbach setzt der Hilflosigkeit in Sachen Kommunikation und Einschätzung die Krone auf. „Impfen hilft“ sei „zielgruppen- und nutzenorientiert“, argumentierte man. Augenscheinlich hat man aus der ersten Impfkampagne nichts gelernt, als man bei „Ärmel hoch“ auf Promis aus vergangen Tagen setzte.
Mit Günther Jauch, Uschi Glas und David Hasselhoff deutete sich die kommunikative Kapitulation bereits an. Welche Zielgruppe wollte man hier noch erreichen? Und welche mit Kampagne Nummer zwei? Grob die Zielgruppe der Ungeimpften, was nicht sehr genau ist. Wenn also schon in dieser „Zielgruppe“ fischen, warum hat man sich – nur ein Beispiel – dann nicht einen ehemaligen Impfgegner genommen, der sich nun doch für den Nadelstich entschieden hat. Warum erzählt man seine Geschichte nicht? Warum müssen es Oldschool Kampagnen-Plakate sein, warum ist es kein zeitgemäßes Format wie eine Netflix oder Amazon Prime Doku?
Das Bundesministerium für Gesundheit hat in 2021 seinen Werbe-Etat immens in die Höhe geschraubt. Laut Angabe des Analysehauses Ad Vision Digital wurden für knapp 128 Millionen Euro Anzeigen gebucht. Damit liegt das Ministerium in der Liste der Werbetreibenden knapp hinter VW. Das allerdings macht Sinn. Sowohl VW als auch das Gesundheitsministerium müssen hart um Vertrauen kämpfen, also um den Kern einer erfolgreichen Marke.