Blattkritik:
"Bilanz": So entstaubt Springer Wirtschaftsthemen
Frech und klug: So liegt Springers neuer Wirtschaftstitel "Bilanz" am Freitag erstmals den "Welt"-Ausgaben bei. W&V-Redakteurin Petra Schwegler hat das Boldt/Balzer-Werk schon einmal gelesen.
Das Magazin "Bilanz", das als neuer Wirtschaftstitel von Axel Springer am Freitagmorgen erstmals den "Welt"-Ausgaben beiliegt, soll " investigativen und unterhaltsamen Journalismus" bieten, "maßgeschneidert für den deutschen Markt" und "zugleich Lesevergnügen und eine differenzierte Betrachtung der Wirtschaft" liefern. Die erste Bilanz von W&V Online zu "Bilanz" lautet: Stimmt! Das Blatt unter Ex-"Manager Magazin"-Mann Klaus Boldt bringt eine Farbe in den seriösen Journalismus zurück, die seit dem bedauerlichen Untergang der "Financial Times Deutschland" im Dezember 2012 dann doch irgendwie gefehlt hat. Gerne denken wir an die wunderbaren Bild-Collagen zurück ...
Zu "Bilanz": Ein Schmunzeln entkommt bei Headlines wie "Sternzeichen Terrier" (böses Stück über einen Erbstreit im Kreis der Funke Mediengruppe, die mit Springer durch den jetzt vollzogenen Verkauf vieler Printtitel eng verbunden ist) oder "Der rudernde Flieger" (eine erstes Porträt des neuen Lufthansa-Chefs Carsten Spohr), "Habt Ihr Spaß?" (Carsten Kratz, der etwas andere Berater an der Spitze der Boston Consulting Group) und "Der große Spinner" ("Bilanz" beschreibt liebevoll das erfolgreiche Wirken des Ex-Bayer-Vorstands Werner Spinner beim Traditionsverein 1. FC Köln). Wo Worte und Bildsprache nicht so ganz offensichtlich für ein Augenzwinkern sorgen, liefert das versierte und über Jahre bei "MM" eingespielte Wirtschafts-Duo aus Chefredakteur Boldt und Herausgeber Arno Balzer für Insider so manche Posse. Auf das Stück über den ProSiebenSat.1-CEO Thomas Ebeling mit der Überschrift "Ich trainiere Thaiboxen, das hilft mir im Job", hat die Medienbranche eigentlich schon lange gewartet. Unter der Rubrik "Bilanz-Gewinner" geschickt und prominent als Heftausstieg geführt, wird Ebeling wohl auch die Formulierung "Wie ein Zigaretten-, Brause- und Pillenmann beim Fernsehen landete" akzeptieren können.
Die Themenmischung liefert Stoff für Innovations-Suchende ("Bilanz" stellt Harvards MIT als "Kapitale der Kreativen" vor) ebenso wie für Befürworter von mehr Frauen in Führungspositionen ("Schweden-Punch" über die neue Karstadt-Saniererin Eva-Lotta Sjöstedt) oder für Analysten, die mehr "Fettiges" über börsennotierte Konzerne erfahren möchten ("Rückkehr des Lehrmeisters" bei BASF, wo der einstige Chef nun Chefaufseher wird). Es gelingt den "Bilanz"-Autoren, dem Leser eine große Nähe und das Gefühl zu vermitteln, hier werden Insider zitiert und die Informationen mit viel Hintergrundwissen eingeordnet. Beispielhaft sei hier ein Satz aus dem mehr als vier Seiten umfassenden BASF-Artikel angeführt, der die neue Gemengelage rund um Konzernlenker Kurt Bock aufdröselt: "Bockforscher wollen im Vorstandsflügel der Ludwigshafener Weltwirtschaftsmacht eine gewisse Unruhe und Gereiztheit erfühlt haben, sogar zu Aufwallungen von Furcht und Bangigkeit soll es gekommen sein." Da sind mehr als vier Seiten schnell gelesen, die auf dem Titel frech mit "Doppelbock" angeteasert werden.
Lifestyle für die Zielgruppe der Entscheider kommt in dem Beitrag "Wie man ein Sammler wird" rund ums Kunstkaufen oder in einem Porträt über den Edelschuhhersteller Santoni ("Was kostet bis zu 20.000 Euro und hat untenrum die Farbe reifer Apfelsinen?") nicht zu kurz. Für eine Beilage ist "Bilanz" sehr wertig aufgemacht, mit der Titelstory über den "Machtkampf bei Aldi Süd" greift das neue Springer-Magazin ein aktuelles und brisantes Thema auf. Dass eine Wirtschaftsgröße wie Wolfgang Reitzle beim Neuling gleich zum Interview antritt, verdankt "Bilanz" wohl seinen Vätern Boldt und Balzer. Letzterer hat das Gespräch mit dem Topmanager geführt, sein Name ist der Branche seit Jahren ein Begriff - und offensichtlich jetzt ein Türöffner.
Ein bisschen Kritik muss aber auch sein: Das Layout hinkt dem Anspruch, "klaren Prinzipien" folgen zu wollen, an manchen Stellen noch etwas hinterher. Gerade die Titel-Story zu Aldi braucht im Innenteil den zweiten Blick. Grau hinterlegter Text ersetzt Bilder. Das verwirrt sehr und wirkt eher wie eine Anzeige. Von denen gibt es übrigens reichlich: Rund ein Viertel der 92 Seiten zieren Werbeauftritte von Bankhäusern, Nobelmarken oder auch Designfirmen. Ob sie alle voll bezahlt sind? Unklar. Wenn ja, dann könnte Springer zum "Bilanz"-Auftakt vielleicht sogar von einem wirtschaftlichen Erfolg sprechen in einem Segment, das andere aufgrund unklarer Perspektiven aufgegeben haben.
Zurück zum Layout: Andere Strecken, wie etwa das Reitzle-Interview, wirken aufgeräumt und durch das farbliche Hinterlegen wichtiger Textstellen trotz ihrer Länge lesenswert. Nüchtern, sachlich - aber nicht langweilig. Schriftart (mit Serifen) und Größe (na, ja ...) kommen der Zielgruppe unterdessen nicht entgegen: Welcher Vorstand mit grau melierten Schläfen kann denn schon auf seine Lesebrille verzichten? Sollte "Bilanz" im Leser- und Werbermarkt gut ankommen, sollte Chefredakteur Klaus Boldt eventuell auch über ein neues Bild von sich nachdenken: Mit dem zauseligen Lockenkopf und dem Nasenfahrrad könnte sein Konterfei in Schwarz-Weiß auch über einem Alternativblatt prangen. Dabei haben Sie Ihren neuen Job und dieses Wirtschaftsheft wirklich gut gemacht!