E-Commerce-Trends:
"Live-Erlebnisse beim Onlinekauf"
Nach Corona zählt im Onlineshopping nur das Erlebnis. Sagt der CEO von Bonsai Research Jens Krüger und belegt seine These mit fünf Trends, was sich Onlineshopper "mit Abstand" künftig wünschen.
Die Ansprüche der User an E-Commerce sind in den vergangenen Wochen ähnlich schnell gestiegen wie die Infektionszahlen in Ischgl. Doch was erwarten die User, wenn Covid 19 – hoffentlich bald – nicht mehr das alles bestimmende Thema sein wird? Dieser Frage geht die QVC-Studie "New Normal: Wie lebt Deutschland in der Post-Corona-Welt?" nach, die das Trendbüro gemeinsam mit Bonsai Research entwickelt und realisiert hat.
Aus den Ergebnissen lassen sich fünf Trends ableiten, die die User-Experience im E-Commerce künftig prägen:
Trend 1: Social Shopping – das "mit Abstand" beste Einkaufserlebnis
Angesichts des Lockdows und der noch geltenden Einschränkungen im Handel vermissen die Kunden vor allem den menschlichen Faktor und das Einkaufserlebnis – und suchen beides jetzt im E-Commerce: Laut QVC-Studie finden 41 Prozent der Frauen und die Hälfte der Männer Social Shopping – also gemeinsame Live-Erlebnisse beim Onlinekauf – attraktiv.
Video-Konferenzsysteme wie Zoom und Teams starten gerade als Sales-Event-Tools durch. Die Videochat-App Houseparty hat das Zeug dazu, es ihnen gleichzutun. In China verbindet Pindoudou Gaming-Elemente und Gruppenkäufe zu einer zeitgemäßen Form der Sammelbestellung. Und das Start-up LiSA Retail Innovation kombiniert Live-Videos – zum Beispiel von einer Modenschau – nahtlos mit Kundeninteraktion in Echtzeit und Onlineshopping (u. a. für Kunden wie Breuninger, L’Oréal oder QVC).
Man muss kein Prophet sein, um solchen E-Commerce-Events eine große Zukunft vorherzusagen. Es genügt erneut ein Blick nach China: Dort setzte Alibaba allein am Singles Day 2019 umgerechnet 2,6 Milliarden Euro mit Lifestream-Shopping um. Ein Erfolg, den die Plattform allerdings nicht nur der konsequenten Nutzung aller gewonnenen Daten für die User Experience verdankt, sondern auch dem weitgehend fehlenden Datenschutz.
Trend 2: Der "persönliche" Assistent
Und wer ersetzt beim Einkauf im Netz die Beratung im stationären Handel? Selten ist es der Mensch, wie beim schwedischen Herrenausstatter Trés Bien oder beim französischen Modelabel ba&sh. Meist berät ein Bot, der mit möglichst viel Daten gefüttert wurde. Verbraucher stören sich daran kaum: „Wenn der Service gut ist, ist mir egal, ob dahinter ein Mensch oder ein Computer steht“, sagen aktuell 59 Prozent der Deutschen, elf Prozent mehr als noch vor zwei Jahren.
Betonung liegt allerdings auf „wenn der Service gut ist“. Eine ständige Herausforderung, in Sachen E-Commerce-Experience, weil die Ansprüche der User mit jeder guten technischen Lösung steigen, die sie erleben. Und sie erleben viele.
Wenn auch nicht ganz so viele, wie Gartner 2018 prognostizierte: Die US-Unternehmensberater gingen damals davon aus, dass wir bereits 2020 mehr Gespräche mit Chatbots führen würden als mit unseren Partnern, was (hoffentlich!) noch nicht der Fall ist.
Trend 3: Kunden zu Komplizen machen
Die Konsumenten, vor allem die jüngeren, wollen heute bei der Produktentwicklung mitreden und mitgestalten. Beim Onlinesupermarkt myEnso dürfen sie das nicht nur, sie sollen es sogar. Von den mehr als 40.000 Kunden kauft der Großteil nicht nur ein, sondern setzt sich, zum Beispiel im Rahmen der myEnso-Community, auch dafür ein, den Shop immer weiter zu verbessern.
Co-Creation, die Einbeziehung der Nutzer in die Gestaltung, sorgt im E-Commerce generell für eine Win-Win-Situation: Die Nutzer sind so beteiligt, wie sie es sich wünschen; das Unternehmen erhält eine Fülle von Impulsen für Innovationen. Und wer wüsste besser als die User selbst, wie ihre User Experience idealerweise aussehen sollte.
Trend 4: Wirklichkeit braucht Inszenierung
„Inszeniert euch!“, möchte man rufen. Vielen Onlineshops fehlt es an Style und Pep. Vor allem im Lebensmittel-E-Commerce ist alles auf Effizienz getrimmt, was den Einkauf nicht gerade zum Vergnügen macht.
Was bei Gütern des täglichen Bedarfs gerade noch angehen mag, dürften die Kunden in anderen Branchen bald abstrafen. In Zeiten, in denen Anbieter von Apple bis Amazon, von Zara bis Zalando mit neuen Augmented- oder Virtual-Reality-Anwendungen neue Online-Shopping-Erfahrungen in Serie schaffen, wird eine aufgeräumt-ästhetische Gestaltung im E-Commerce zur Pflicht. Zur Kür gehört, optische E-Commerce-Erlebnisse zu schaffen und sie mit AR und VR zu kombinieren.
Trend 5: Gemeinsam eine bessere Welt schaffen
Das Bewusstsein der Verbraucher und der Wunsch nach ethischem Konsum wachsen. Zwei Drittel der Deutschen sagen, dass sie künftig eher bei Anbietern einkaufen wollen, die für Solidarität, soziales Engagement und Nachhaltigkeit stehen. Mit dem nachhaltigen, klimaneutralen Onlineshopping ist es aber ein bisschen, wie mit dem Rauchen aufhören: Wenn es leicht wäre und Spaß machen würde, würde es jeder tun.
Zwar gibt es Onlineshops längst nicht nur für nachhaltig produzierte Lebensmittel und Mode, sondern auch für Möbel und Bürobedarf. Klimaneutralen Versand kann man bei vielen Anbietern wählen.
Im Zeitalter der Data Economy könnten E-Commerce den Konsumenten nachhaltigen Konsum aber viel, viel leichter machen: Direkt im Onlineshop nicht nur den Preis, sondern auch den CO2-Austoß der Produkte vergleichen, später die Emission für den gesamten Warenkorb berechnen und mit einem Klick kompensieren – idealerweise mit einem Aufforstungsprojekt, das man selbst wählen kann. Das wäre eine echte Bereicherung der User Experience, ein neues E-Commerce-Erlebnis und ein gutes Gefühl.
Jens Krüger ist seit 2019 CEO von Bonsai Research. Der Consumer-Experte war zuvor über zehn Jahre Geschäftsführer bei Kantar/TNS Infratest. Der studierte Soziologe und Sozialpsychologe engagiert sich mehreren Beiräten (u. a. im Nestlé Zukunftsforum und dem VKE-Kosmetikmarkenverband), ist Speaker und Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen gesellschaftlicher Wandel, Consumer-Trends, Ernährung und Handel der Zukunft.