Wenn Google sagt "Seit über zehn Jahren kannst Du jederzeit finden, was Dich bewegt. Ein geplantes Gesetz soll das jetzt ändern. Willst Du das?", dann setzt Google, ohne dass sie das auf der Kampagnenseite klar kommunizieren, seine Reaktion implizit mit dem Gesetz als solchem gleich. Das LSR führt nämlich nicht direkt dazu, dass weniger zu finden ist. Das passiert erst durch Googles Reaktion, die Inhalte zu deindexieren. Also anstatt für Verlagsinhalte zu zahlen, sie einfach auszulisten. Das ist die wahrscheinlichste Reaktion Googles, wie wir alle wissen. Die ließe sich auch legitim kommunizieren. Sie tun es aber nicht. In ihrer Argumentation wird aus dem LSR ein Löschgesetz.

"Üble Propaganda" nannten die Verbände BDZV und VDZ die Kampagne prompt. Und so schlecht, wie Google und Kolle Rebbe sie aufgesetzt haben, liefert sie für derartige Anwürfe auch wunderbar Munition. Leider.

Sie vergröbern das Bild, nehmen alle Plattformen mit Inhalten, gar die ganze Wirtschaft, als vom LSR getroffen mit auf. Was ähnlich verzerrt ist wie die Darstellung der Verlage beim ersten Referentenentwurf. Es hat etwas Tragikomisches, wenn die Verlage und Google sich darin einig sind, dass das LSR keine Lex Google ist. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Im letzten Entwurf aus dem Juli jedenfalls (Interessierte können ihn gerne googlen, ansonsten findet man ihn hier ), heißt es:

"Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen, soweit sie nicht durch die Anbieter von Suchmaschinen erfolgt."

"Erforderlich ist ein Schutz nur vor systematischen Zugriffen auf die verlegerische Leistung durch die Anbieter von Suchmaschinen. Denn das Geschäftsmodell der Anbieter von Suchmaschinen ist in besonderer Weise darauf ausgerichtet, für die eigene Wertschöpfung auf die verlegerische Leistung zuzugreifen. Dies gilt nicht für andere Nutzer, wie z.B. Unternehmen der sonstigen gewerblichen Wirtschaft, Rechtsanwaltskanzleien, Blogger oder private bzw. ehrenamtliche Nutzer."

Dass selbst für Suchmaschinen nicht geklärt ist, wie der Konflikt zwischen erlaubten Snippets, erlaubter Verlinkung, erlaubtem Zitierrecht und der halbgaren Konstruktion LSR zu lösen ist, wäre eigentlich ein Thema. Aber gut.

Stattdessen werfen Google und Kolle Rebbe Brocken hin wie "Bereits vier Millionen deutsche Arbeitsplätze hängen am Internet." Das ist fein, hat aber mit dem LSR nichts zu tun. Die restliche Digitalwirtschaft trifft das LSR schließlich nicht direkt. Die E-Commerce-Umsätze etwa würden kein Stück leiden, wenn ich bei Google nicht mehr die gleiche dpa-Meldung von einem halben Dutzend Online-Medien finde.

Das stellt reine Angstmache dar, insbesondere, wenn Google "Webmaster, Blogger und jeden, der im Internet publiziert" als potenziell Betroffene hinstellt. Freilich aktiviert das die Internet-Nutzerschaft vermutlich besser. Es ist nur nicht von Fakten gedeckt. Und die Chance, den Halbwahrheiten der Gegenseite eine saubere Argumentation entgegen zu setzen, sich so aufzustellen, dass die Kampagne nicht angreifbar ist – sie ist verpasst. Dabei ist das Ansinnen des LSR skurril genug, um mit sauberer Argumentation angegangen werden zu können.

Auch beim lieben Geld wird es nicht besser: So wie das Verlagsargument "Google verdient so viel Geld, davon wollen wir was abhaben" inhaltlich sinnfrei ist, ist es Googles Punkt "Viele deutsche Presseverlage sind im Digitalgeschäft bereits sehr erfolgreich" in ähnlicher Weise. Das trägt beides nichts zur inhaltlichen Diskussion bei.

Vollends skurril wirkt das erregte "Dieser Eingriff ist systemfremd und weltweit ohne Beispiel." Denn Google ist das gleiche mit den belgischen Verlagen passiert. Und Frankreich setzt sich mit dem Thema gerade intensiv auseinander. So viel zu "ohne Beispiel". In Belgien übrigens hat Google die Verlage dann nicht mehr gelistet, die sahen sich eine Weile ihren Traffic-Absturz an und einigten sich dann, dass das doch keine so gute Idee war.

Selbst die Kampagnenbegründung kommt logisch verheddert daher: Schließlich sagt Google in der Kampagne, dass weite Teile der deutschen Gesellschaft das LSR ablehnen. Als Grund für die Kampagne wird aber gleichzeitig angegeben, dass die meisten Bürger noch nie davon gehört haben. Man könnte jetzt philosophisch werden und die deutsche Befindlichkeit anführen, dass wir ablehnen, was wir nicht kennen. Man könnte aber auch einfach den Kopf schütteln.

Natürlich, so funktionieren Kampagnen, so funktioniert Lobbyismus. Es ist nur ärgerlich, dass wir immer noch keine inhaltliche Debatte führen, sondern Halbwahrheiten auf Halbwahrheiten abgefeuert werden. Denn es gäbe genügend legitime Ansätze gegen ein LSR, gegen einen Entwurf, der tatsächlich Rechtsunsicherheiten schafft, gegen ein Ansinnen, dass im wesentlichen durch "Du hast viel Geld, ich will was abhaben" motiviert ist.

So geht die verzerrte Debatte der Lobbyisten weiter. Und beide Seiten haben die Chance verpasst. Ganz bewusst beide Seiten, denn mehr als ein trockenes Lachen bleibt nicht, wenn man Tweets liest wie diesen von Christoph Keese (Axel Springers Außenminister, der derartiges aber natürlich rein als Privatperson äußert, was auch sonst).

"#Google startet Kampagne gegen #LSR auf eigenen Plattformen. Verlage hingegen instrumentalisieren ihre Medien nicht in eigener Sache."

Weil die Berichterstattung über das LSR in Medien ja auch nie mal Halbwahrheiten produziert hat. Eher die in Print, die meist dafür war. Im Gegensatz zu den Online-Ablegern, deren Vertretern reihenweise die Haare zu Berge standen, weil ihnen die logische Folge eines LSR klar vor Augen schien.

Die Nutzer, Leser, Bürger finden sich derweil zwischen zwei Riesen, die sich beide nicht mit Ruhm bekleckern. Weder Verlage noch Google haben geglänzt. Dabei schreiben sich die einen unabhängige Berichterstattung auf die Fahnen, die anderen den freien Zugang zu Information im Netz. Halbmast für sachliche Debatten.

Und wer nach korrekter, sachlicher Information sucht, der findet sie weder hier noch dort zuverlässig.

Wollen wir das?


Autor: Ralph-Bernhard Pfister

Ralph Pfister ist Koordinator am Desk der W&V. Wenn er nicht gerade koordiniert, schreibt er hauptsächlich über digitales Marketing, digitale Themen und Branchen wie Telekommunikation und Unterhaltungselektronik. Sein Kaffeekonsum lässt sich nur in industriellen Mengen fassen. Für seine Bücher- und Comicbestände gilt das noch nicht ganz – aber er arbeitet dran.