Kommentar:
Digitalpolitik: Europa verspielt Wohlstand und Demokratie
Leistungsschutzrecht, Uploadfilter und DSGVO sollen den Europäern und ihrer Wirtschaft dienen. Doch sie bewirken das Gegenteil, kritisiert Claas Voigt, Geschäftsführer Emetriq, im Gastbeitrag.
Es ist eine bizarre Situation: Fast täglich fordert irgendwo in der Europäischen Union ein Minister oder gar ein Regierungschef eine stärkere Regulierung, Besteuerung oder Kontrolle von Amazon, Google oder Facebook. Tatsächlich passiert nicht nur nichts, sondern die meisten neuen Gesetze und Regelungen der EU sorgen für genau den gegenteiligen Effekt:
Die Position der US-Konzerne wird weiter gestärkt. Bedenkt man, dass die DSGVO und E-Privacy angetreten sind, um dem Wildwuchs im Umgang mit Nutzerdaten, auch von Google, Facebook und Co. einen Riegel vorzuschieben, dann mutet diese Entwicklung fast wie eine Farce an.
Damit gibt sich die Digitalpolitik in Europa derzeit größte Mühe, den Wohlstand und die Demokratie zu verspielen.
Um diese These zu verstehen, reicht ein Blick auf den Ist-Zustand. Wir sehen die DSGVO oder auch das Urheberrecht mit seinen Upload-Filtern und dem Leistungsschutzrecht (LSR). Dabei sprechen sich tatsächlich noch immer Angehörige der Regierungskoalition gegen die Filter aus. Selbst Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will sie auch nach der Abstimmung immer noch nicht. Doch was passiert? Die Regelung kommt trotzdem.
Ebenfalls Teil des Urheberrecht-Paketes ist die Einführung eines europäischen Leistungsschutzrechtes, gegen das sich die Digitalwirtschaft seit Jahren engagiert einsetzt. Dieses sieht beispielsweise vor, dass Suchanbieter wie Google Gebühren an die Verlage zahlen sollen, weil sie in den Treffervorschauen unter anderem kleine Text-Auszüge aus journalistischen Portalen zeigen.
Die Urheberrechtsreform lähmt den User-generated Content und schwächt die Demokratie
Was bedeuten nun diese beiden Entschlüsse? Nichts Gutes. Wie streng oder lasch auch immer die Upload-Filter arbeiten, sie sorgen für eine signifikante Abnahme des User-generated Content. Es ist zu erwarten, dass die Menschen künftig ihre Kreativität zügeln.
Ich befürchte, dass die Menschen selbst weniger aktiv werden, weniger eigenen Content produzieren und sich so seltener mit eigenen Gedanken, Ideen und Kommentaren in aktuelle Debatten einmischen. Dies könnte zu einem Meinungsrückzug ins Private führen. Darunter leiden gesamtgesellschaftliche Debatten, die bislang immer auch auf den großen Web-Plattformen geführt wurden.
Das Leistungsschutzrecht könnte eine Verkümmerung des gesellschaftlichen Diskurses weiter beschleunigen. Denn über kurz oder lang könnte das LSR zu einem Rückgang des Traffics auf den großen Nachrichtenportalen führen. Mit ihrem derzeitigen Handeln sorgen die Medienhäuser im Verbund mit der Politik dafür, dass Google die Motivation verliert, so viele Leser wie bisher auf ihre Online-Portale zu lotsen.
Zudem besteht die Gefahr, dass die persönliche Meinungsvielfalt jedes einzelnen reduziert. Sobald Google den Menschen so gut wie keine Nachrichten mehr ausspielt, dürften die Leser nur noch auf die ihnen bekannten und von ihnen geschätzten Quellen zurückgreifen. Kurz: Sie verlassen immer seltener ihre Filterblase.
Die DSGVO stärkt die großen Tech-Companies
Ein weiteres Beispiel, wie neue EU-Regelungen unseren Wohlstand und die Demokratie schwächen, ist die DSGVO. Denn auch die neue Datenschutzgrundverordnung schwächt in letzter Konsequenz vor allem die europäische Web-Wirtschaft. Gleichzeitig verstärkt sie die Zentralisierung von immer mehr Daten und Informationen auf den Servern der großen US-Tech-Unternehmen.
Warum? Die DSGVO drängt die Nutzer in Log-ins. Davon profitieren allerdings nicht die kleineren europäischen Player, sondern die Web-Giganten, die schon heute riesige Log-in-Imperien beherrschen. Sie wissen immer mehr über ihre Nutzer, weil diese immer mehr Zeit in der jeweiligen Log-in-Welt verbringen. Deshalb können sie dort immer effektiver mit Werbung angesprochen werden. Während also Google, Amazon, Facebook & Co profitieren, verliert die europäische Web-Wirtschaft.
Durch immer mehr Log-ins wird der Nutzer noch gläserner
Tatsächlich sind die Folgen schon heute erschreckend: Denn die neuen Datenschutz-Entwicklungen sorgen bereits dafür, dass die Publisher Log-In-Mauern um ihre Angebote hochziehen, um die Zustimmung des Nutzers zur Datennutzung sicherzustellen. Allerdings führt eben genau diese Zustimmung zu Datennutzung dazu, dass immer mehr personenbezogene Daten erhoben werden.
Bisher wurde die Daten über Geräte-IDs, also Cookies, verarbeitet und waren damit deutlich anonymer. Eigentlich sollte die DSGVO den Nutzer schützen. Die Folge ist jedoch, dass er noch gläserner wird.
Auch bei der DSGVO gilt also: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Sowohl die Datenschutzgrundverordnung wie auch die Urheberrechtsreform schwächen unsere Digitalökonomie und die Meinungsvielfalt.
Im besten europäischen Sinne sollte es nicht darum gehen, neue Mauern aufzubauen, sondern vielmehr darum, Grenzen abzubauen. Es geht um Zusammenarbeit, um klare gemeinsame Positionen und auch Chancengleichheit. Die EU-Politik braucht einen gemeinsamen Schulterschluss mit der kontinentalen Web-Wirtschaft. Gerade bei der kontrollierten Verarbeitung von Nutzerdaten geht es um Kollaboration statt Konfrontation.
Nächstes Jahr steht die DSGVO auf dem Prüfstand
Beide Gesetzespakete wurden gerade erst beschlossen. Es gab eine parlamentarische Mehrheit dafür. Allerdings steht bereits im nächsten Jahr die erste Evaluation der DSGVO an. Dann ist der richtige Zeitpunkt, die Debatte auf ein Neues zu entfachen.
Das heißt aber nicht, dass wir die Hände bis dahin in den Schoss legen sollten. Es ist dringend geboten, dass sich die europäische Politik mehr Digital-Know-how erarbeitet. Es kann im Interesse von niemandem sein, dass die EU – ob aus Unwissenheit oder welchen Gründen auch immer – weiter unseren digitalen Wohlstand verspielt.
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