Digitalwerbung:
Das verzerrte Bild vom Online-Werbemarkt
Je mehr Geld in Programmatic, Social Media und Search fließt, desto weniger bilden die Zahlen der Marktforscher die Realität im Onlinemarkt ab.
Uwe Storch ist verärgert. Der Mediachef von Ferrero musste viele Fragen beantworten, seit die Werbemarktforscher von Nielsen die Werbemarktzahlen vom ersten Halbjahr 2017 veröffentlicht haben. Dort lässt sich herauslesen, dass Ferrero, Procter & Gamble und andere Werbungtreibende ihre Ausgaben für Onlinewerbung dramatisch gekürzt haben – P&G um 67 Prozent, Ferrero um 62 Prozent. W&V hatte die Nielsen-Zahlen aufgegriffen und damit den - tatsächlich vorhandenen - Trend unterfüttert, dass Werbekunden die Wirksamkeit ihrer Online-Ausgaben genauer unter die Lupe nehmen und die Budgets gegebenenfalls neu aussteuern.
Gerade kürzlich hat P&G in den USA wieder mit der Mitteilung Aufmerksamkeit erregt, im ersten Quartal 100 Millionen Euro Onlinebudget eingespart zu haben - ohne spürbare Auswirkungen. Doch obwohl Marc Pritchard, globaler Marketingchef von P&G im Kampf gegen Klickbetruck die Onlinebranche vor sich hertreibt und das ein oder andere Budget kürzt, stellt der Konsumgüterkonzern die Onlineausgaben keineswegs in großem Stil infrage: "P&G bleibt einer der größten Werbekunden für Onlinewerbung in den USA und international." Das teilte das Unternehmen Anfang August gleichzeitig zu den Sparmaßnahmen mit.
Statisitik und Realität klaffen auseinander
Bei Ferrero trifft das von den Marktforschern abgebildete Minus bei den Onlineausgaben allerdings gar nicht zu: Die Spendings wachsen mit dem Markt – allerdings programmatisch eingekauft und nicht nur in den Kanälen, die von Nielsen abgebildet werden. Die Mediaabteilung von P&G Deutschland lässt auf Anfrage ausrichten, es gebe zwar einen Rückgang bei den Onlineausgaben, der sei allerdings bei weitem nicht so groß wie die Nielsen-Zahlen es nahelegen.
Die Widersprüche zeigen, dass es genau genommen keine Zahlen gibt, die den extrem im Umbruch befindlichen Online-Markt verlässlich abbilden. Die Erfassungsmethodik der Marktforscher ist zumindest im Moment nicht geeignet, um die ganze Realität abzubilden. Nielsen steht hier stellvertretend für andere Werbemarktforscher wie Ebiquity, die Onlinezahlen nicht veröffentlichen und an einer Methodik arbeiten, die der Realität im Onlinewerbemarkt etwas näher kommt.
Die Frage, ob und wie Nielsen an einer neuen Methodik für seine Onlinestatistik arbeitet, kann Nielsens Chefkommunikator DACH, Gero Döring, derzeit wegen Urlaubsvakanzen von Fachkollegen noch nicht beantworten.
Die bisherigen Methoden der Marktforscher sind sehr stark von der klassischen Medienwelt geprägt: Die Forscher zählen Anzeigen, Radio- und TV-Spots, erhalten Meldungen einiger Anbieter und errechnen die Werbeausgaben anhand der Bruttopreislisten der Medien und der Angaben der Vermarkter.
Zahlen verlieren weiter an Aussagekraft
Im Zeitalter der GAFAs (Google, Amazon, Facebook, Apple), die im Onlinewerbemarkt eine bedeutende Rolle spielen, funktioniert diese Art der Marktbetrachtung nicht mehr. Experten schätzen, dass in Deutschland mehr als zwei Drittel aller Onlineausgaben bei den internationalen Plattformen Google, Facebook & Co landen. Dieses beträchtliche Volumen wird von den Statistiken der Marktforscher aber noch nicht erfasst – schlicht deswegen, weil die Plattformen weder ihre Umsätze noch ihre Kunden melden.
In der Statistik fehlt also ein ziemlich großes Stück vom Onlinewerbemarkt, der – trotz gelegentlicher Budgetüberprüfungen einzelner Werbungtreibender und bestimmter Kanäle - unterm Strich weiter wächst. Die Grafik der Beratungsfirma Companion bringt die Marktlage ziemlich gut auf den Punkt.
Ändert sich nichts, werden die Online-Zahlen der Marktforscher in Zukunft wohl noch weniger aussagen. Auch, weil sie auch den wachsenden Anteil programmatisch ausgelieferter Werbung im Onlinewerbemarkt nicht vollständig erfassen, sondern nur denjenigen, den die Vermarkter freiwillig ausweisen möchten. Die jedoch scheuen sich, die volle Transparenz über den tatsächlichen Anteil programmatisch gehandelten Inventars zu geben.
Das hat einen Grund: Programmatic-Inventar gilt für einige - zwar zu Unrecht, aber immer noch - als billige Restplatzvermarktung und passt nicht in das eigene Image eines Premium-Vermarkters.
Nachtrag von Nielsen:
Die größte Herausforderung für die Online-Werbestatistik stellen die programmatisch gebuchten Kampagnen dar. Die Werbestatistik basiert auf monatlichen Meldungen der führenden Online-Vermarkter zu verkauften Online-Kampagnen. Von Vermarktern werden nur direkt gebuchte Kampagnen mit Angaben von Werbungtreibenden gemeldet. Programmatisch verkaufte Kampagnen werden als Intermediäre ausgewiesen oder unter dem Namen des jeweiligen Anbieters des programmatischen Services gemeldet. Damit sind die programmatisch erzielten Umsätze im Online-Gesamtumsatz abgebildet, aber nicht auf der Werbekundenebene.
Die Problematik der Abbildung von programmatisch gebuchten Kampagnen in der Werbestatistik und den damit verbundenen Herausforderungen bei der Interpretation der Zahlen ist sowohl uns als auch dem Online Vermarkterkreis (OVK) bewusst. Wir befinden uns diesbezüglich seit Längerem in einem intensiven Austausch. Die Thematik ist komplex und technisch kompliziert. Wir hoffen aber, dass wir bereits im kommenden Jahr gemeinsam mit den Vermarktern einen Weg finden werden, um programmatisch verkaufte Kampagnen transparenter in der Online-Werbestatistik abzubilden.
Als Nielsen arbeiten wir auch intensiv daran, den gesamten digitalen Werbemarkt noch besser abzubilden: voraussichtlich bereits am Ende dieses Jahres werden in der Werbestatistik weitere Bereiche des digitalen Werbemarktes abgebildet.