Leif Pellikan über Martin Sorrell:
Sir Martins letzte Schlacht
WPP-CEO Sir Martin Sorrell ist zurückgetreten. Die Vorwürfe, Gelder missbraucht zu haben, erklären seinen Rauswurf nicht. Erst die tiefe, strukturelle Krise hat den WPP-Vater angreifbar gemacht.
WPP hat seinen langjährigen CEO Sir Martin Sorrell verloren. Der Gründer des Werbekonzerns saß seit 1985 fest im Sattel. Ungeachtet der Vorwürfe gegen ihn, die im Detail nicht bekannt sind, ist der Zeitpunkt der Ablösung nachvollziehbar. Der weltgrößte Kommunikations- und Werbekonzern steckt inmitten seiner ersten massiven strukturellen Krise - wie auch die Konkurrenten. Zudem ist Sorrell mit 73 Jahren nicht mehr der Jüngste. Die Nachfolgeregelung ist bereits seit zwei, drei Jahren ein Thema.
Doch dank Sorrell galt WPP jahrelang als immense Erfolgsstory. Allein der Umsatz stieg von seit dem Jahr 2000 von 3,0 Mrd. Pfund auf zuletzt 15,3 Mrd. Pfund. Die Umsatzrendite (Profit before Interest an Tax zu Nettoumsatz) stieg auf beachtliche 17,3 Prozent. Nur im Jahr 2016 lag sie mit 17,4 Prozent noch höher. Kein Wunder dass Sorrell 2016 dank seiner Boni 48,1 Mio Pfund verdiente. Im Jahr zuvor waren es 70,4 Mio. Pfund - damit galt er als einer der bestbezahlten Manager Europas. Das liegt auch daran, dass er als Gründer zwar ein vergleichsweise großer Anteilseigner ist, aber nur einen sehr kleinen Teil der Aktien hält.
Die Krise hat sich angekündigt. Schon vor eineinhalb Jahren reagierte Sorrell angesichts der Herausforderungen schmallippig. W&V und Kontakter hatten dem WPP-Chef seinerzeit die Frage gestellt, ob er nicht mehr Synergien heben wolle angesichts der vielen Hundert Agenturen, die er über die Jahre aufgekauft hatte. Seine knappe Antwort war sinngemäß: Unfug, dank integrierter Konzepte mehrerer Agenturen hätten WPP-Agenturen schon in den 80-Jahren Pitches gewonnen. Heute erklärt sich seine Reaktion – er saß bereits an den Plänen für den großen Umbau, wie die aktuelle Analyse im Kontakter (Ausgabe 6/2018) zeigt.
WPP hat Strukturen radikal vereinfacht, horizontal agierende Manager installiert, die über verschiedene Disziplinen hinweg organisieren, und Verantwortliche bestimmt, die mehr als 50 Großkunden über Agenturgrenzen hinweg betreuen. Bei Ogilvy wurden mehrere Einheiten wie Ogilvy One, Ogilvy PR und die Werbeagentur Ogilvy & Mather zu Ogilvy zusammengefasst, aus MEC und Maxus wurde global Wavemaker. Und einher ging die Streichung von Zwischenebenen, Wavemaker hat beispielsweise keinen EMEA-Chef mehr.
"Not a good year" lautete Sorrells Zusammenfassung für 2017
Trotzdem bilanzierte Sorrell für 2017 kein gutes Jahr. Nach einer jahrelangen Erfolgsgeschichte steht ein Nullwachstum in der Bilanz. Aktionäre waren anderes gewohnt. Aber es dauert schlicht, bis sich ein Wandel auszahlen kann. Anderen Holdings erging es 2017 nicht viel besser (siehe Grafik am Ende).
Laut Sorrell spielen mehrere Faktoren zusammen: Die fortschreitende Digitalisierung, die neue Konkurrenz durch Berater, die am Digitalgeschäft knabbern, und nicht zuletzt der Druck seitens der Unternehmen, mehr Effizienz zu liefern. Dazu kommt deren Bestrebung, Marketing-Verantwortung und Technik ins eigene Haus zu holen.
Neben all dem macht sich die Dominanz von Google, Facebook und Co bemerkbar, die Kunden gerne direkt ansprechen. Konkret seien die beiden Genannten bereits die größten Profiteure von WPP-Werbespendings. An die beiden Unternehmen flossen 2017 etwa sieben Milliarden Dollar oder zehn Prozent der gesamten WPP-Spendings. Vor fünf Jahren stand Google auf Rang sieben der Liste. Sorrells Agenturen setzen wie andere Networks auf Kooperationen mit den Digitalriesen. Kunden sollen dort schlicht nicht an Agenturen vorbei investieren.
Was Sorrell schmerzt, er aber nicht erwähnt: Für Marketing auf Facebook und Google müssen Agenturen Honorare von Kunden verlangen. Agenturboni und -Rückvergütungen auf Mediavolumina, wie in anderen Medien üblich, zahlen die Konzerne nicht. Dies ist einer der Gründe, warum die traditionell hohen Margen im Mediabusiness weiter einbrechen.
Es kommt also eine Menge zusammen. Der massive Umbruch der Marketingbranche führt zwangsläufig zu drastischen Veränderungen des Geschäftsmodells von Agenturen. "Ein Ergebnis davon ist das zwingende Investieren in neue Services und Technologien, um entsprechend neue Revenue-Quellen zu entwickeln. Das hat natürlich Einfluss auf bisherige Umsatz- und Margen-Erfahrungen", so Thomas Funk, Europa-Chef und CEO der Havas Group Germany.
Berater-Konkurrenz
Hinzu kommt die Konkurrenz durch Berater und IT-Konzerne. Noch hat Sorrell hierauf eine einfache Antwort: In der Analystenpräsentation setzt WPP schlicht das Digitalagenturranking von Adage, das drei Beratungen anführen, den Konzernzahlen gegenüber. In Summe hängen WPP und Publicis die Berater so deutlich ab. Laut Sorrell würden WPP-Agenturen mehr als die Hälfte der Pitches, in denen auch Berater antreten, gewinnen.
An der Tatsache, dass die Berater am digitalen Business knabbern, ändert dies natürlich nichts. Die Gefahr bleibt. Schon deren Ansatz sei ein anderer, sagt Christian Tiedemann, CEO der Digitalgruppe Pia. "Unternehmensberater stehen in dem Ruf, Kosten zu senken. Agenturen hingegen geben das Geld der Kunden aus." Dem können die Agenturen nur mit einem verstärkten Beratungsansatz entgegenwirken – sowohl auf prozessualen Ebenen sowie auf der technischen. "Nur dass Berater ihre Stärken in der Prozessoptimierung haben, ist bekannt", sagt der Manager, der vor seiner Zeit bei Pia bei WPP Strippen zog.
Eine weitere Folge der Digitalisierung sei eine Verkleinerung der Etatvolumina, da anteilig immer stärker in Technologie- und Plattformprojekte investiert werde, sagt Havas-Manager Funk. "Und dort sitzt ein neues und momentan noch sehr breit gestreutes Feld an neuen Marktteilnehmern."
Holdings müssen also mit einheitlichen Technikplattformen nachziehen. WPP will über die Group M einen sogenannten Tech-Stack liefern, Publicis nennt Sapient als Tech-Lieferanten für die Gruppe. Organisatorisch sind individuellere Konzepte nötig. Global Client Leaders sollen in den Networks agenturübergreifend für Kunden arbeiten. Publicis und Havas packen sogar nationale Agenturen unter ein organisatorisches Dach.
Das schwächelnde Werbegeschäft
In anderen Fällen erhalten Kunden individuelle Agenturkonzepte. Für P&G gründete die WPP-Agentur Mediacom zusammen mit Pilot die Agentur Twentyfive. Publicis-Media brachte parallel für den L’Orèal-Konzern iBeauty an den Start. Immer wieder wurde Sorrell gefragt, ob er die Tendenz zum Inhousing von Marketingaktivitäten als bedenklich einschätze. Er wiegelte jedes Mal ab. WPP helfe sogar, Infrastrukturen bei Kunden aufzubauen. Daneben habe seine Kreativ-Produktionsagentur Hogarth den Umsatz in den letzten vier Jahren verdreifacht. Das bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass bei Kreativagenturen die traditionell margenträchtige Adaption und Umsetzung von Kreation wegbricht.
Daneben wird das Kreativgeschäft kleinteiliger und weniger profitabel. Sorrell macht daraus kein Geheimnis: "Der Druck laste im Moment auf der traditionellen Kreation." Das zeigen auch seine Zahlen: Der Werbebereich von WPP verlor zuletzt 2,9 Prozent der Umsätze. Anderen Holdings erging es nur minimal besser. Daran werden schlankere Strukturen wenig ändern. Denn das Internet verschwindet nicht mehr. Und damit auch nicht die Folgen. Nur mit diesen muss sich nun sein Nachfolger, sein langjähriger Vertrauter, Mark Read sowie Andrew Scott herumschlagen. Read war zuletzt Chief Executive Officer des Dialogbereichs um die Marke Wunderman und von WPP Digital, Scott verantwortete als WPP Corporate Development Director und Chief Operating Officer für Europa den Wandel.
Umsätze der Holdings im Jahr 2017 in Dollar
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Mehr als 30 Jahre lang regierte Martin Sorrell WPP mit strenger Hand und zeigte sich gegenüber Kritik immun. Die Aktionäre ließen ihn mit Blick auf die guten Zahlen gewähren. Dabei hat Sorrell übersehen, dass die Entwicklung in der Werbebranche gegen ihn arbeitet. Ein Kommentar von Daniela Strasser.