Interview mit Denkwerk-Chef:
Marco Zingler: "Die Consultingbranche ist ein bisschen spät dran"
BVDW-Vizepräsident Marco Zingler sieht in Unternehmensberatungen keine neue Konkurrenz für Agenturen. Der Denkwerk-Chef im W&V-Interview.
Von Angstschweiß keine Spur: Agenturchef Marco Zingler sieht das Vordringen klassischer Unternehmensberatungen auf digitales Terrain gelassen. Der 47-Jährige ist Geschäftsführer der 1998 gegründeten Digitalagentur Denkwerk aus Köln und Vizepräsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW). Mehr zum Thema "Machtkampf der Consulter" lesen Sie in der aktuellen W&V (EVT: 6. Juni). Die dreiteilige Serie können Sie auch hier bestellen.
Herr Zingler, Schwergewichte der Consultingbranche besetzen mit Macht das Feld der digitalen Transformation. Bereitet Ihnen das Kopfzerbrechen oder schon Herzflattern?
Unternehmensberatungen zeigen ein großes Bedürfnis, sich Qualifikationen anzueignen, die ihnen lange Zeit gleichgültig waren. Aber das beunruhigt mich kein bisschen. Die digitale Transformation ist ein umfassender Wandlungsprozess, der innerbetriebliche Strukturen und die IT-Architektur ebenso betrifft wie die direkten Schnittstellen zum Nutzer, wo Usability, Design und Frontendtechnologien im Blickpunkt stehen. Die Consultingbranche hat diese Entwicklung verschlafen. Jetzt versucht sie zu Recht, Versäumtes nachzuholen.
Sie wollen andeuten: Unternehmensberatungen schwächeln?
Das nicht gerade, sie sind vielleicht ein bisschen spät dran. Das Internet ist ja schon eine Weile online. Bislang waren Consultants im Rahmen ihrer Beratungsmandate überwiegend im Backend und im IT-Outsourcing unterwegs. Das Nutzererlebnis, das Frontend zum Kunden, blieb unberücksichtigt. Doch die verschiedenen Schauplätze der digitalen Transformation lassen sich nicht isoliert betrachten; alles greift ineinander. Weite Teile der deutschen Wirtschaft haben das inzwischen begriffen. Der Mittelstand mit seinen Hidden Champions geht in großem Stil Transformationsprojekte an. Ohne digitales Know-how sind Consultants heute nicht mehr in der Lage, diese großen Projekte und Budgets zu betreuen. Kleine und mittlere Beratungen, die den Anschluss verlieren, katapultieren sich selbst aus dem Markt. Umgekehrt durchlaufen derzeit auch Digitalagenturen eine Transformation: Sie bauen Strategiekompetenzen auf.
Manche Unternehmensberatung zeigt eine unerwartete Facette: Sie will nett sein. Was steckt dahinter?
Distanziertes Verhalten mag angebracht sein, wenn man Unternehmen zu Stellenabbau rät. In der digitalen Transformation aber geht es darum, Nutzerbedürfnisse zu verstehen, Services zu entwickeln und die Mitarbeiter für diesen Changeprozess ins Boot zu holen. Das fällt leichter auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen und kollegialem Miteinander.
Ring frei zum Machtkampf zwischen Agenturen und Consultingfirmen?
Nein, es gibt noch keinen Verdrängungswettbewerb. Der Kuchen ist groß genug für alle, und der Markt wächst weiterhin gigantisch. Akteure wie Accenture werden mit ihrer hinzugekauften Digitalkompetenz fabelhafte Geschäfte machen, aber in Segmenten, in denen es wenige Überschneidungen mit Agenturen wie Denkwerk gibt.
Die aktuellen Entwicklungen im Markt erinnern an die Neuordnung der Werbeszene im Sog des Digitalen. Wiederholt sich das jetzt im großen Maßstab?
Unternehmensberatungen und Agenturen bieten ein breiteres Leistungsspektrum an als früher. Ich halte es für absolut naheliegend, dass sich die großen Beratungshäuser in einigen Jahren große Kreativagenturen einverleiben – und genauso umgekehrt. Projekte der digitalen Transformation sind weder spezifisches Terrain der Consultants noch der Agenturen. Gefragt sind Problemlöser.