Work-Life-Balance:
Die Deutschen werden immer karrieremüder
Karriere ist nicht mehr das Wichtigste. Innerhalb von zwei Jahren ist der Anteil derer, die aufsteigen wollen, rapide zurückgegangen.
Die Deutschen werden karrieremüde. Sie müssen nicht mehr um jeden Preis aufsteigen und mehr Geld verdienen. Während 2015 noch bei einer Mehrheit der Männer (58 Prozent) der Wunsch nach mehr Karrierechancen bestand, wünscht sich derzeit nur eine Minderheit von 38 Prozent entsprechende Möglichkeiten. Auch bei den Frauen ist der Wunsch nach Karriere spürbar zurückgegangen. Nach 49 Prozent im Jahr 2015 beträgt der Anteil an Frauen, die sich mehr Aufstiegsmöglichkeiten wünschen, derzeit nur 31 Prozent. Das sind Ergebnisse der einer Jobstudie von Ernst & Young, für die 1.400 Arbeitnehmer in Deutschland befragt wurden.
Das mag vielleicht auch daran liegen, dass die Aufsstiegschancen nicht mehr so groß sind. Nur 40 Prozent der Befragten sehen für sich im eigenen Unternehmen Karrierechancen – das sind sieben Prozentpunkte weniger als noch vor zwei Jahren. Vor allem Frauen kommen irgendwann auf der Karriereleiter nicht weiter voran: Nur 37 Prozent von ihnen sehen entsprechende Möglichkeiten, während es bei den Männern immerhin noch 44 Prozent sind. Allerdings ist der Wunsch nach Karriere im eigenen Unternehmen auch deutlich weniger ausgeprägt als noch vor zwei Jahren.
"Die deutschen Arbeitnehmer sind relativ satt und zufrieden. Work-Life-Balance hat bei vielen inzwischen einen höheren Stellenwert eingenommen als eine vielversprechende Karriere", beobachtet Ulrike Hasbargen, Partnerin bei Ernst & Young. "Das stellt Unternehmen natürlich auch vor Probleme, die leistungsbereite Führungskräfte für anspruchsvolle Positionen suchen."
Deutsche sind loyale Arbeitnehmer
Prizipiell aber sind die Deutschen treue Seelen. 82 Prozent geben an, dass sie sich ihrem Arbeitgeber verbunden fühlen – ein Drittel sogar sehr. Vor zwei Jahren war die Loyalität nicht ganz so hoch – da fühlten sich insgesamt 77 Prozent ihrem Arbeitgeber verbunden.
Die Unternehmen können sich vor allem auf ihre ältesten Mitarbeiter verlassen: 38 Prozent der Arbeitnehmer über 60 Jahre fühlen sich mit ihrem Arbeitgeber sogar sehr eng verbunden, während das bei den unter 21-Jährigen nur 17 Prozent von sich sagen. Gleichzeitig machen sich elf Prozent der Jüngeren aktiv auf die Suche nach einem neuen Arbeitgeber, aber nur zwei Prozent der Über-60-Jährigen. In keiner Altersklasse ist die gefühlte Arbeitsplatzsicherheit außerdem so hoch wie bei den ältesten Befragten: 62 Prozent schätzen ihren Arbeitsplatz als sicher ein.
Über alle Altersklassen hinweg hält mehr als jeder zweite Arbeitnehmer (53 Prozent) seinen Arbeitsplatz zudem für sehr sicher – das sind deutlich mehr als vor zwei Jahren (42 Prozent). Derzeit machen sich – wie schon vor zwei Jahren – 13 Prozent der Befragten Sorgen um ihren Arbeitsplatz.
Der größte Sprung bei der gefühlten Arbeitsplatzsicherheit ist allerdings in der Telekommunikations- und IT-Branche zu beobachten: Vor zwei Jahren hielten nur 26 Prozent der hier Beschäftigten ihren Arbeitsplatz für sicher, aktuell schnellt dieser Wert auf 53 Prozent. Die IT- und TK-Branche boomt, was aber auch zu mehr Wechselbereitschaft führt.
Sattheit bedroht die Innovationskraft
Ulrike Hasbargen sieht das als positives Zeichen: "Da die Wirtschaft gerade brummt, werden gute Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt rar. Unternehmen tun deshalb inzwischen deutlich mehr für die, die bereits an Bord sind – sei es durch attraktive Arbeitszeiten, Home-Office oder sonstige Anreize. Daher setzen die Mitarbeiter vor allem auf Sicherheit und weniger auf einen Wechsel."
Aber Zufriedenheit bedeutet auch gefährlichen Stillstand. "Eine dynamische Wirtschaft benötigt einen mobilen Arbeitsmarkt und aufstiegsorientierte Mitarbeiter, aber auch Unternehmen, die den Mitarbeitern genügend Aufstiegsmöglichkeiten bieten. Dazu gehört auch, dass Karriere und Aufstieg gesamtgesellschaftlich höher bewertet und stärker akzeptiert sein sollten."
Mehr Gehalt könnte mehr Anreiz bieten
Vielleicht ist ja doch das Gehalt die Stellschraube, die den nötigen Anreiz bietet. Immerhin 56 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland halten sich für unterbezahlt – nur 43 Prozent denken, dass sie für ihre Leistung genauso viel verdienen sollten, wie sie bekommen. Und nur gerade einmal ein Prozent der Befragten ist der Meinung, mehr zu erhalten als ihnen eigentlich zusteht. Im Durchschnitt liegt die Mehrbezahlung, die die Befragten fordern, bei knapp 9,8 Prozent, wobei Frauen mit 10,4 Prozent ein höheres Plus fordern als Männer (9,2 Prozent). Dennoch hält eine Mehrheit von 71 Prozent das Gehaltsgefüge im eigenen Unternehmen für absolut oder überwiegend fair.