Gastbeitrag:
Warum die 4-Tage-Woche nicht die ultimative Lösung ist
Wenn es darum geht, Beruf und Privates unter einen Hut zu bekommen, brauchen wir kein Korsett, sondern mehr Flexibilität. Ein Impuls von Julia Beyer, Head of Onboarding bei Mashup Communications.
Sigmar Gabriel und Thomas de Maizière sind wohl beinahe die Einzigen, die heute noch denken, Arbeitnehmer:innen brauchen MEHR Arbeit. Im großen Rest der Gesellschaft – vor allem bei den nachfolgenden Generationen an Talenten – herrscht der Konsens: Es braucht neue Modelle, die vor allem eine gesunde und realistische Balance zwischen Geld verdienen und Freizeit genießen ermöglichen.
Die in den 1950ern eingeführte 40-Stunden-Woche fußte auf der Voraussetzung einer klaren Aufgabenteilung. Ein Hauptverdiener versorgte die Familie, während zuhause – zumeist die Ehefrau – den Haushalt schmiss und die Kinder versorgte. Wer immer brav geschuftet hatte, konnte sich in vielen Fällen ein gemütliches Leben und eine passable Rente erarbeiten.
Heute sieht die Welt jedoch ganz anders aus. Durch Inflation und die stark veränderte makroökonomische Lage sind in den allermeisten Fällen zwei Gehälter nötig, um eine Familie zu ernähren. Eine Ehe ist längst nicht mehr für alle ein Lebensziel. Gleichzeitig können sich die Generationen nach den Baby Boomern nur noch in den seltensten Fällen großen Wohlstand erarbeiten.
„Schaffe, schaffe, Häusle baue“, wie es noch unsere Eltern predigten, ist kaum mehr möglich. Zudem hat sich die Stellung von Arbeit in der Gesellschaft gewandelt. Heutzutage haben immer weniger Menschen das Ziel, Karriere zu machen oder besonders viel Reichtum anzuhäufen, sondern wollen die Lebenszeit nicht nur mit Arbeit füllen. Völlig verständlich also, dass besonders junge Arbeitnehmer:innen der Generation Z ein Umdenken fordern. Dabei wird vor allem ein Modell von sämtlichen Dächern geschrien: Die 4-Tage-Woche, die im kommenden Jahr auch in einem deutschen Pilotprojekt evaluiert werden wird.
Aber ist sie wirklich das richtige Mittel?
Drei Tage frei und vier Tage überarbeitet?
Vier Tage arbeiten, drei Tage frei? Klingt im ersten Moment wohl für die meisten Menschen traumhaft. Leider fürchte ich, dass vielen Arbeitnehmer:innen nicht klar ist, dass uns keines der Modelle für eine 4-Tage-Woche die ersehnte Erholung einfach schenken würden. In den meisten Fällen wird ein 100-80-100-Modell angestrebt: In vier Tagen wird bei vollem Gehalt die gleiche Produktivität gefordert, die zuvor in fünf Tagen geleistet wurde. Während sich sicherlich in diversen Berufen so mancher Vorgang effizienter gestalten lässt, entsteht für andere schlicht enormer Druck. Wie soll beispielsweise ein Fabrikant, der bereits im Akkord arbeitet, noch mehr schaffen?
Ein anderer Vorschlag: die Wochenarbeitszeit von 40 Stunden wird beibehalten, Arbeitnehmende verteilen diese Stunden jedoch auf vier Tage. Aber mal ehrlich, wer braucht einen 10-Stunden-Tag? Studien zeigen, dass Erwachsene nur etwa 4-6 Stunden überhaupt konzentriert arbeiten können.
Besonders schlecht umsetzbar ist die 4-Tage-Woche für Arbeitnehmende mit Care-Verpflichtungen. Nur an dem neuen freien Tag die gesamte Care-Arbeit zu leisten, ist schlicht nicht möglich. Egal ob Kinder oder Angehörige, wer außerhalb des Jobs die Verantwortung für andere Menschen trägt, der kann einen 10-Stunden-Tag nur mit einem sehr guten Netzwerk oder umfangreicher Betreuung abbilden. Blöd, dass besonders die (Alten-)Pflege und Kinderbetreuung schon heute komplett am Limit arbeitet. Wie sollen da flächendeckend höhere Fürsorgezeiten ermöglicht werden?
Gerade Kreativität braucht Flexibilität
Anstatt nach einer Einheitslösung zu suchen, sollte die individuelle Situation der Arbeitenden bedacht werden. Gerade für Kreativschaffende können starre Vorschläge wie die 4-Tage-Woche vor allem eines bringen: Blockaden. Ein Kuss der Muse lässt sich nicht erzwingen und 10 Stunden kreativ arbeiten funktioniert erst recht nicht.
Was stattdessen hilft: Flexibilität und Vertrauen, um Job und Freizeit sowie zusätzliche Verpflichtungen, wie Care-Arbeit, nebeneinander zu bewerkstelligen. Bei Mashup Communications beispielsweise arbeiten wir mit flexiblen Arbeitszeiten, d. h. jede:r erledigt anstehende Aufgaben, wann es am besten passt. Arzttermin? Schulaufführung? Planänderung? In diesem Modell kein zusätzlicher Stressfaktor.
Eine maßgeschneiderte Lösung für moderne Arbeitswelten
Die individuelle Gestaltung der Arbeitszeit beruht auf der Erkenntnis, dass jeder Mensch seinen eigenen Rhythmus hat. In gemeinsamen Gesprächen mit unseren Teams haben wir bei Mashup Communications erkannt, dass alle Kolleg:innen unterschiedliche Leistungsphasen haben.
Indem wir ihnen die Flexibilität bieten, die Arbeitszeit individuell anzupassen, fördern wir nicht nur die Produktivität, sondern steigern auch die Zufriedenheit. Warum im Winter nicht zwischendurch Tageslicht an der frischen Luft genießen? Im Sommer könnten wir vielleicht einen Nachmittag im Freibad verbringen, um fit zu bleiben. Wer eine längere Pause braucht, der nimmt sie – sei es, um einen wichtigen privaten Termin wahrzunehmen, sich mit der Oma auf einen Kaffee zu treffen oder den Computer früher herunterzufahren, wenn die Luft raus ist. Und das alles ohne schlechtes Gewissen!
Ganz im Gegenteil: Zufriedene und ausgeglichene Angestellte erzielen am Ende bessere Ergebnisse und bleiben auch länger im Unternehmen. Übrigens: wer seine Arbeit bei flexibler Arbeitszeit auch in vier Tagen schafft, darf gern nur vier Tage arbeiten, aber warum Kolleg:innen dazu zwingen, die einen anderen Rhythmus leben?
Führungskräfte müssen sich mit den tatsächlichen Bedürfnissen ihres Teams auseinandersetzen und Lösungen implementieren, die eine echte Erleichterung schaffen, anstatt ein weiteres starres Korsett über die Belegschaft zu stülpen. Wir sollten Mitarbeitende befähigen, ihre eigene Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu schaffen – abseits von klassischer Teil- oder Vollzeit – damit alle produktiv und zufriedener arbeiten können. Indem wir die Arbeitszeit den individuellen Lebensumständen anpassen, schaffen wir eine Umgebung, in der Kolleg:innen sich unterstützt und geschätzt fühlen. Wir haben alle unterschiedliche Bedürfnisse, und das sollte sich auch in unseren Arbeitszeiten widerspiegeln.
Über die Autorin: Julia Beyer ist Head of Onboarding und Storytelling-Expertin bei Mashup Communications. Mittlerweile bewegt sie sich seit fünfzehn Jahren in der Branche. In der eigens geschaffenen Position als Head of Onboarding begleitet sie Neukund:innen und Mitarbeitende als Sparringspartnerin mit Expertise und Empathie.
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