Retail Media:
Wie sich der Handel gegen Amazon stark macht
Amazon reißt den Handel aus seinem digitalen Dornröschenschlaf: Nach der Monetarisierung ihrer Erstdaten sind nun weitere Maßnahmen gefragt, erklärt Richy Ugwu, CEO RMG, im Interview.
Um im digitalen Zeitalter wettbewerbsfähig zu sein, müssen Händler die „Cookiefizierung“ ihrer Offline-CRM-Daten in Angriff nehmen. Auf der Agenda stehen ebenfalls: die Verknüpfung von Mobile IDs mit Cookies und das Verständnis der Omni-Channel Customer Journey. So erklärt es Richy Ugwu, CEO der Metro-Tochter Retail Media Group (RMG). Auf der W&V Marketing Convention am 27. Juni in München spricht Ugwu zum Thema "Kampf der Big Data-Giganten: Wer kennt den Kunden besser?"
Wie können Händler Amazon Paroli bieten?
Amazon dringt massiv in neue Handels-Verticals und den stationären Handel vor. Erst kürzlich wurde bekannt, dass das Unternehmen die US-amerikanische Bio-Kette Whole Foods übernehmen will - für Amazon ein logischer nächster Schritt, um weiter zu wachsen. Auch mit Amazon Fresh und Amazon Go erweitert der Online-Riese sein Spektrum und bringt den Handel in Bedrängnis. Zudem hat das Unternehmen eine so herausragende Expertise im Bereich Daten und Technologie, dass Händler dabei alleinstehend nur schwer mithalten können. Eine echte Alternative zu Amazon können viele Händler nur darstellen, wenn sie sich zusammenschließen – und genau das ist das Ziel der RMG im Bereich Datenvermarktung. Wir unterstützen beim Aufbau von Know-how in der Datennutzung und -monetarisierung und wollen als Kompetenzzentrum für AdTech und Data die digitale Transformation des Handels mitgestalten. Um Amazon Paroli zu bieten, verknüpfen wir Daten führender Händler aus verschiedenen Verticals: Food, Elektronik oder B2B. Damit können wir Werbekunden und Agenturen einzigartige Insights ermöglichen und das Kaufverhalten von Konsumenten in verschiedenen Lebensbereichen abbilden.
Ist Retail Media die letzte Hoffnung der Händler, Amazon aus dem Feld zu schlagen?
Bei der Monetarisierung von Daten und dem Aufbau von Kompetenzen in den Bereichen Daten und Technologie ist die Zusammenarbeit mit der RMG ein wichtiger Schritt für Händler. Händler müssen darüber hinaus allerdings auch weitere Maßnahmen ergreifen, um im digitalen Zeitalter wettbewerbsfähig zu sein. Dazu gehört unter anderem die „Cookiefizierung“ von Offline-CRM-Daten, die Verknüpfung von Mobile IDs mit Cookies, das Verständnis der Omni-Channel Customer Journey und vieles mehr. In diesen Feldern können wir durch die Erfahrungswerte mit unseren Retailpartnern Unterstützung und Expertise anbieten.
Inwieweit passt so ein datengetriebenes Geschäftsmodell überhaupt ins angestammte Portfolio eines Händlers? Wie lässt sich daraus echter Mehrwert generieren, in der Verknüpfung von Off- und Online?
Ein Händler durchläuft bei der digitalen Transformation im wesentlichen drei Phasen: Am Anfang steht der stationäre Handel, also das klassische Brick-and-Mortar-Geschäft. Eine exzellente Kompetenz im Einkauf ist hier der Schlüssel zum Erfolg. Die zweite Phase wiederum ist von der Digitalisierung geprägt: Potenzielle Kunden werden nun omni-channel über diverse Kanäle und entlang der gesamten Customer Journey abgeholt, digitale Services und Offerings werden relevanter. Wenn ein Händler Zugriff auf alle Online- und Offline-Informationen seiner Kunden hat und deren bevorzugte Kanäle kennt, folgt die dritte Phase in der Evolution des Handels: die Monetarisierung von Kundendaten. Die nicht personalisierten Informationen über Präferenzen und Interessen von Kunden werden zu einer eigenständigen, zusätzlichen Erlösquelle. Händler können ihre Kundendaten dann nicht nur monetarisieren, sondern auch insgesamt an Datenkompetenz gewinnen. An diesem Punkt setzt die RMG an.
Wie genau?
Durch die Verknüpfung von Off- und Online-Daten kann die Customer Journey erstmals ganzheitlich und exakt abgebildet werden – dies ist eine Kernkompetenz der RMG. Verfügen Händler über Offline-Insights über eine bestimmte Zielgruppe, können wir Prognosen über deren Verhalten in der Online-Welt herleiten. Kaufen Kunden zum Beispiel größere elektronische Geräte wie Fernseher oder Laptops ausschließlich am Point of Sale, können wir ihnen durch zielgerichtete Online-Werbung dazu passende Services wie beispielweise Streaming-Abos anbieten. Von diesem Omni-Channel-Ansatz profitieren auch die Verbraucher. Kennt ein Händler seine Zielgruppe genau, kann er seine Angebote und Produkte auf Kundenwünsche anpassen. Trotz der voranschreitenden Digitalisierung darf man den stationären Handel nicht vergessen, da in der deutschen Handelsbranche immer noch über 90 Prozent der Transaktionen am Point of Sale stattfindet.
Wo ist der Handel Amazon naturgemäß ohnehin voraus?
Der Vorteil des Handels gegenüber Amazon ist ganz klar der Point of Sale und damit der direkte Kundenkontakt: Menschen treffen auf Menschen. Das ist für Marken nach wie vor ein wichtiger Faktor, da ihre Produkte dort nicht nur angeschaut, sondern auch angefasst und ausprobiert werden können. Und Kunden wollen Produkte erleben. Der Point of Sale entwickelt sich daher immer deutlicher zu einem „Point of Experience“. Die Möglichkeiten im stationären Handel sind damit auch für Marken immer noch unschlagbar: So wie am POS können sie ihre Produkte im Onlinehandel bisher nicht inszenieren. Das ist auch ein Vorteil, den der stationäre Handel gegenüber reinen Onlinern hat, gerade was Service, Beratung und Kundenbindung betrifft. Das ist nach wie vor einzigartig und kann nicht so einfach im E-Commerce nachgebildet werden. Nicht zuletzt ist das auch einer der Gründe, weshalb Amazon die stationären Stores von Whole Foods übernehmen will.
Mit der Übernahme der US-amerikanischen Bio-Kette Whole Foods steigt Amazon in den stationären Handel ein, auch Amazon Go ist in Planung. Wo bleibt da der Vorteil der Händler?
Die geplante Übernahme von Whole Foods ist, wenn auch aktuell noch ausschließlich für den amerikanischen Markt, eine klare Kampfansage gegenüber dem stationären Handel. Sollte ähnliches auch im deutschsprachigen Markt passieren, würde das die Lage deutlich verschärfen. Auch Amazon Go – ein aktuell in Seattle getestetes Konzept für Amazon-eigene Supermärkte, die ganz ohne Kassierer auskommen sollen – könnte langfristig eine Bedrohung darstellen. Man darf aber nicht vergessen, dass viele Händler in Deutschland bereits seit mehreren Jahrzehnten auf dem Markt und fester Bestandteil des Alltags der Verbraucher sind. Die Kunden sind an Produkte, Atmosphäre und Angebote gewöhnt, das wird sich nicht schlagartig ändern, nur weil plötzlich ein Online-Big-Player auch Stores eröffnet. Sicherlich darf Amazon Go nicht unterschätzt werden, aber es wird weiterhin Vielfalt im stationären Handel geben. Konsumenten wollen diese Vielfalt - Online wie auch Offline.