Gastbeitrag:
Endspurt 2020?! Handelstrends von morgen
Was wäre, wenn die Digitalisierung niemanden mehr interessieren würde? Wenn Technik längst zum Alltag im Handel geworden ist? Wenn wir per Fingerabdruck bezahlen und unseren smarten Assistenten um Rat fragen? Wenn die Unterscheidung in Brick-and-Mortar-Retail, E- und Mobile Commerce der Vergangenheit angehört? Im Gastbeitrag zeigt Theresa Schleicher, Handelsexpertin des Zukunftsinstituts, welches die wichtigsten Retail-Trends der Zukunft sind – auch nach der digitalen Transformation.
Irgendwann wird die digitale Transformation abgeschlossen sein. Doch bis wir in diesem Zukunftsszenario der Vollvernetzung angekommen sind, scheint es aus heutiger Sicht noch ein langer Weg. Die Verschmelzung der Distributionskanäle kann man sich noch vorstellen. 2020 gilt für viele Unternehmen als magische Grenze, um wichtige Ziele auf dem Weg zur digitalen Transformation erreicht zu haben. Aus diesem Grund wird der Retail in diesen Monaten vor allem von Digital- und Tech-Trends getrieben, besonders die Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz prägen die aktuelle Diskussion. Vieles ist machbar, aber nicht unbedingt alles wirklich sinnvoll. Experimentierfelder bieten sich viele, von der Beratung via Chatbots bis hin zum Einsatz von Robotern am PoS – doch zeigt sich erst in Folge, was Konsumenten akzeptieren und nutzen werden.
Die wichtigsten Retail Trends der Zukunft:
- Retail Recruiting: Kunden wie Gäste behandeln, nicht wie Käufer
Der Mensch bleibt wichtig. Denn Kunden möchten vor allem eines, wenn sie durch die Läden flanieren: gute Unterhaltung. Sie erwarten eine exzellente Beratung, im besten Fall auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten. Der Kunde möchte umworben und respektvoll behandelt werden, weniger als Käufer, sondern mehr als Gast. Der Verkäufer hinter der Kasse ist aber ein Auslaufmodell – hingegen werden mehr Digital- Experten in der Retail-Branche benötigt. Der Handel muss sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren, um die Young Talents mit den benötigten Digital-Skills zu begeistern. Nur die jungen Generationen kennen die digitalisierte Welt, sind also von Grund auf Digital Retailer. Die traditionellen Handelsberufe sterben aber nicht aus, allerdings wandeln sich die Anforderungen grundlegend – es ist höchste Zeit, die Ausbildung daran anzupassen.
- Dash Delivery: Schnell, schneller....Convenience ist Trumpf
Durch den anhaltenden Boom des E-Commerce wird die Auslieferung auf der letzten Meile zur Herausforderung. Der Wettstreit zwischen Händlern und Logistikern um die schnellsten und besten Innovationen ist entbrannt. Und im Zuge der künstlichen Intelligenz arbeiten Unternehmen wie Amazon sogar bereits daran, die Lieferung vor der Kundenbuchung vor der Tür zu haben. Der Markt der letzten Meile ist daher noch relativ am Anfang und birgt ein großes Potenzial für Innovationen. In Zukunft werden wir hier einiges sehen, von cleveren Händler- und Logistik-Netzwerken, regionalen Mobilitätsanbietern, das Experimentieren mit Drohnen und Co und die situative Lieferung zum Standort des Kunden. Viele Händler und Unternehmen haben jetzt die Chance, sich erfolgreich gegenüber der Konkurrenz zu positionieren – vorausgesetzt, die Lieferlösungen stimmen. Entscheidend wird hierbei nicht nur die Schnelligkeit sondern, besonders Convenience und Servicequalität sein. Transparenz für den Kunden ist und bleibt oberstes Gebot, denn sein Vertrauen ist der eigentliche Rohstoff dieser Industrie. Gewinnen wird daher der Anbieter, dem der Kunde den Schlüssel für den Kofferraum seines Autos anvertraut.
- RoboRetail: Der Roboter am POS bleibt der Einzelfall
Raus aus dem Lager, rein in den Store: Roboter helfen Kunden beim Tragen ihrer Einkäufe oder bei der Suche nach einem bestimmten Produkt. Sie übernehmen die Inventur und bringen falsch einsortierte Waren wieder an ihren Platz im Regal zurück. Ersetzen sie bald den Verkäufer? Nicht unbedingt. Die Automatisierung von Prozessen macht vor dem Handel zwar nicht Halt, der Roboter am PoS bleibt aber der Einzelfall. Dort wird Robotertechnologie eher zur Kundenbetreuung eingesetzt; hierbei geht es allerdings in erster Linie um unterstützende Service-Funktionen, um den Einkauf für den Konsumenten angenehmer zu gestalten. Zumindest in Europa – im Gegensatz zum asiatischen Raum – sind Menschen misstrauisch gegenüber humanoiden Robotern. Von einem Roboter hinter der Kasse bedient zu werden, wird also hierzulande nicht zur Alltagsrealität werden. Robotik als Technik wird allerdings einen Siegeszug in den Handel antreten und das Verständnis von Händler und Verkäufer verändern. In Zukunft werden nicht mehr ausführende Tätigkeiten wie Kassieren im Mittelpunkt stehen, sondern direkte Kommunikation und die individuelle Ansprache des Kunden.
- Voice Commerce: Weiterer Touchpoint zum Kunden
Digitale Sprachassistenten bilden künftig eine attraktive Alternative zur Bedienung von Apps. Das führt zwar nicht zu einer Voice-First-Revolution, sondern stellt eher eine Evolution der Mensch-Maschine-Kommunikation dar. Das gesprochene Wort erhält auch im Umgang mit der Technologie seinen Stellenwert zurück, den es in der zwischenmenschlichen Interaktion hat. Für Retailer bietet die Sprachsteuerung einen weiteren Touchpoint zum Kunden. In naher Zukunft werden intelligente Sprachassistenten im Customer Service eingesetzt. Alle Händler tun gut daran, ihre Online-Präsenz für die Sprachsuche zu optimieren. Langfristig gilt es zu entscheiden, ob die Bestellung von Produkten und Services auch per Sprachsteuerung ermöglicht werden soll. Für Online-Händler wird Voice Commerce in vielen Fällen eine sinnvolle Zusatzfunktion darstellen.
Den Retail Report 2018 vom Zukunftsinstitut kann man hier bestellen.