W&V Marketing Convention:
Zukunftsszenario: Superkluge Geschöpfe haben kein Interesse an Menschen
Künstliche Intelligenz wird sich nicht mit der dünnen Biosphäre zufrieden geben, sondern sich ins Sonnensystem ausbreiten. Und sich gar nicht länger für den Menschen interessieren. Die gewagte These stammt von einem, der es wissen muss: KI-Forscher Jürgen Schmidhuber.
Die wertvollsten börsennotierten Firmen der Welt verwenden schon heute ganz massiv Künstliche Intelligenz fürs Marketing. Auf der W&V Marketing Convention wird außerdem diskutiert, wie Automatisierung und Robotics die Unternehmen als Ganzes und die Gesellschaft umkrempeln. In seiner Keynote "Industrie 4.0 - Künstliche Intelligenz wird alles verändern" spricht Jürgen Schmidhuber, Scientific Director of the Swiss AI Lab IDSIA, wie sich die Zivilisation verändern wird. Im Interview mit W&V präsentiert er ein paar provokante Thesen vorab.
Künstliche Intelligenz ist schon jetzt das große Buzzword von 2016, vielleicht noch vor Virtual Reality. Google zum Beispiel kaufte neulich die Firma Deepmind für gut eine halbe Milliarde Dollar. Was bedeutet die Entwicklung für Gesellschaft und Arbeitswelt?
Die rapide Entwicklung immer klügerer Künstlicher Intelligenz (KI) wird voraussichtlich fast jeden Aspekt unserer Zivilisation sehr rasch sehr grundlegend verändern. In der nahen Zukunft werden lernende Maschinen die Arbeit vieler Menschen erleichtern, von Erdbeerpflückern, Lastwagenfahrern und Maschinenbauern hin zu Ärzten, deren Diagnosen mit künstlichen neuronalen Netzen beschleunigt und einer viel größeren Patientenschar zugänglich gemacht werden können. Längerfristig wird es kaum eine heute von Menschen erledigte Tätigkeit geben, die nicht von KIs erlernbar ist. Und während es 20 Jahre dauert, eine neue Menschengeneration heranzuziehen, lassen sich einmal trainierte KIs sehr flott kopieren.
Wie werden sich zwischenmenschliche Beziehungen künftig abspielen?
Kommunikation ist ja schon heute sehr gerätegesteuert. Unsere Handys werden immer klüger. Sie können inzwischen zum Beispiel Sprache in Text übersetzen. Die Spracherkennung Google Voice etwa versteht, was der Nutzer will, weil dort ein sogenanntes "Long Short Term Memory" (LSTM) verankert ist. Diese ursprünglich deutsche Erfindung wird heute weltweit eingesetzt. Damit können Sie Ihrem Telefon auch befehlen, alle halbe Stunde eine bestimmte Person anzurufen - so lange eben, bis diese endlich antwortet. Solche Funktionen sind mittlerweile schon in den normalen Alltag übergegangen. Ein schleichender Prozess, den wir meist gar nicht bewusst wahrnehmen.
Klingt hilfreich und gut. Aber zerstören solche Anwendungen nicht immer mehr die persönliche, unmittelbare Beziehung zu Menschen, so wie das Bestellerautor Michael Nast in seinem Buch "Generation Beziehungsunfähig" behauptet?
Aus meiner Sicht nicht. Ich kann das Ding gut auch mal abschalten. Und wenn ich's brauchen kann, dann schalte ich es ein und nutze es. Ganz einfach. Man muss eben für sich selbst einen Rhythmus finden, der für einen selbst ideal ist. Viele Dinge, die früher nicht gingen, gehen heute, und viele Dinge, die früher gingen, gehen heute immer noch - dazu gehört der persönliche Kontakt. Und für all das gibt es eben den jeweils richtigen Zeitpunkt.
In LEAD digital spricht Mediacom-COO Dirk Fromm davon, dass KI als "das größte Abenteuer der Menschheit" auch schiefgehen könnte, wenn die Menschen nicht aufpassen. Was denken Sie?
Viel mehr Angst muss man haben vor der 60 Jahre alten Technologie der Wasserstoffbombenraketen, die die Zivilisation ganz ohne KI in wenigen Stunden auslöschen können. Langfristig werden Menschen allerdings nicht in der Lage sein, ihre künstlichen Geschöpfe zu kontrollieren. Das werden keine bloßen Werkzeuge mehr sein. Sie werden viel klüger sein als wir, und irgendwann auch das Interesse an uns verlieren. Letztlich interessiert man sich immer für die Spezies, die einem ähnlich ist und mit der man Ziele teilt. Menschen interessieren sich vor allem für andere Menschen, die mit ihnen in Wettstreit treten oder kollaborieren können. So interessieren sich Politiker insbesondere für Politiker und Sportler für Sportler und zehnjährige Mädchen für zehnjährige Mädchen. Superkluge KIs werden sich vor allem für andere superkluge KIs interessieren, und weniger für Frösche, Ameisen oder eben Menschen.
Dabei geht es doch auch um eine Machtfrage: Wer ist die führende Spezies?
Mit den KIs entsteht ein neue Art von Leben, viel komplexer als das, was wir schon kennen. KIs werden sich nicht mit der dünnen Biosphäre zufriedengeben, sondern sich ins Sonnensystem ausbreiten und die Milchstraße kolonisieren, denn dort befinden sich eben die meisten Ressourcen und der meiste Lebensraum. Der Weltraum ist menschenfeindlich, aber roboterfreundlich. Mit seiner Eroberung werden Menschen daher wenig zu tun haben. Auf keinen Fall werden sie in der Lage sein, diese Entwicklung zu kontrollieren. Trotzdem: Menschsein wird nach wie vor Spaß machen. Es ist ja auch nicht so, dass wir die Ameisen ausgerottet hätten, nur weil wir klüger sind als sie. Außer vielleicht ein paar wenige, die in unser Haus eindringen.
Wenn Maschinen wirklich so viel klüger werden als Menschen: Kann der Mensch denn mit ihrer Hilfe ebenfalls einen höheren IQ erreichen?
Der IQ eignet sich hier kaum als Messlatte. Doch durch das bisschen KI, das es heute schon gibt, sind wir ja als Menschheit oder als Gruppe offensichtlich eh schon klüger geworden. Viele sind am Wissen der Welt viel näher dran als früher, weil sie es über das WWW leichter abgreifen können. Schon heute hilft uns das WWW bei unzähligen Gelegenheiten im Lebensalltag, je nach individuellem Bedürfnis. Reist man in eine andere Stadt und geht vielleicht gerne in Second-Hand-Läden, weiß das Handy das und empfiehlt den Laden um die Ecke, falls man den entsprechenden Teil seiner Privatsphäre aufgegeben hat.
Das klingt nach einem schönen Marketingszenario. Was ist da noch möglich?
Wohin die Reise in naher Zukunft geht, darüber kann man sich ja bereits heute ein Bild machen. Google und Facebook können Ihren Interessensverlauf genau nachvollziehen. Sie wissen, welche Werbung Sie angeklickt haben, unter welchen Umständen, in welchen Gegenden, und welche Bilder Sie hinterher angeguckt haben. Aus diesen Kontexten heraus wird abgeleitet, welche Werbung Sie am liebsten sehen. Die wertvollsten börsennotierten Firmen der Welt verwenden schon heute ganz massiv KI für ihr Marketing.