W&V Marketing Convention:
Warum Roboter-Intelligenz dem Handel nutzt
Penibles Ausrechnen oder doch lieber den Bauch entscheiden lassen? Die Entscheidung fällt umso schwerer, je intelligenter die Rechensysteme werden. Ein Interview mit dem Automatisierungsexperten Michael Feindt.
Entwarnung! Der Annahme, dass intelligente Wesen die Macht eines Tages an sich reißen, erteilt Michael Feindt eine Absage. Aber: In Sachen Intelligenz stecken uns die Roboter schon längst in die Tasche. Feindt, Physiker und Gesellschafter von Blue Yonder, einem Anbieter von cloudbasierten Predictive Applications für den Handel, macht sich das zunutze, um Prozesse im Handel zu automatisieren. Zum Vorteil der Mitarbeiter. Ausgewählte Beispiele zeigt er auf der W&V Marketing Convention.
Herr Feindt, bei Blue Yonder helfen Sie dem Handel über Künstliche Intelligenz Wettbewerbsvorteile zu sichern. Wie gelingt das?
Im Handel gibt es viele Tätigkeiten, die für künstliche Intelligenz prädestiniert sind. Dazu zählen operative Entscheidungen, die täglich und routinemäßig anfallen. Machine-Learning-Algorithmen können diese auf Basis von historischen Daten und zusätzlichen externen Faktoren automatisiert und optimal treffen. Vor allem Bereiche wie die Logistik, Disposition und Marketing können von sogenannten Predictive Applications profitieren. Sie sind dem Bauchgefühl weit überlegen, da sie jede Einzelentscheidung genau berechnen. Gerade bei der Preisoptimierung spielen diese eine wichtige Rolle, da für jedes Produkt entsprechend der Nachfrage die individuelle Preiselastizität bestimmt und so der optimale Preis festgelegt werden kann.
Welche anderen Marketing-Entscheidungen können getroffen werden?
Bei der Ausspielung von Werbemitteln kann mithilfe von Customer Targeting genau eruiert werden, welche Kunden sich über einen Katalog oder Werbebroschüre zum Kauf bestimmter Produkte beeinflussen lassen. Ein Beispiel ist der Katalogversand: Über die Analyse der Informationen aus der Kundendatenbank werden Prognosen über die Kaufwahrscheinlichkeit eines jeden Kunden abgegeben. Dabei spielen - und das ist sehr wichtig und mathematisch nicht einfach - auch "Was wäre wenn-Szenarien" eine Rolle. So können Werbestrategien basierend auf Historie und aktuellen Variablen immer neu ausgerechnet werden. Das macht unterm Strich bessere Entscheidungen möglich, die es erlauben, Einsparungen zu machen, ohne dabei Zielgruppen zu verlieren. Im Gegenteil, es werden sogar Zugewinne verzeichnet.
Sind Maschinen also die besseren Marketing- und Sales-Manager? Wo liegen die Grenzen?
Maschine Learning- Algorithmen sind wie gesagt nur dann besser als der Mensch, wenn sie häufig wiederkehrende ähnliche Entscheidungen treffen. Solche Routine-Arbeiten gibt es viele. Mathematische Methoden, auf denen Algorithmen basieren, benötigen viele Beobachtungen, um statistische Berechnungen abzuleiten - daraus lernen sie letztlich. Aus tausenden von Produkten, die von Millionen von Kunden gekauft werden, können über eine Vielzahl an Messungen Muster identifiziert und Zusammenhänge hergestellt werden, die ein Mensch gar nicht sehen könnte. Hier geht es um mathematische Gleichungen und Wahrscheinlichkeitsaussagen, die statistisch testbar sind, deren Wert also gemessen und beweisen werden kann. Die meisten Management-Entscheidungen hingegen werden einmalig getroffen, und vorher wie nachher ist nie klar, ob sie letztlich richtig oder falsch sind, weil die Alternative ja nie ausprobiert wurde. Dabei können Mathematik und Maschinen nur bedingt helfen.
Welche Jobs im Handel fallen den fleißigen schlauen Maschinen zum Opfer?
Die meisten dieser Jobs, die Routine beinhalten, sind nervig und zeitaufwändig. Diese Zeit kann man besser mit anderen Tätigkeiten verbringen, die wertvoller sind fürs Unternehmen. Täglich tausende Artikel nachzubestellen, und dabei die bestmögliche Entscheidung zu treffen, das erledigt zum größten Teil die Maschine. Wenn es beispielsweise um spezielle Sonderartikel oder Weihnachten geht, kann der Mitarbeiter jederzeit noch feinjustieren. So bleibt mehr Zeit für den Kunden und andere Tätigkeiten.
Geben wir dabei nicht irgendwie auch einen Teil unseres Gehirns ab, und damit der Fähigkeit selbst mitzudenken? Ich denke dabei an GPS-Systeme, die heute jedermann im Auto nutzt und ohne die heute viele orientierungslos in der Gegend herumstehen?
Sehnen Sie sich denn nach der Zeit zurück, in der es noch keine Waschmaschine gab? Nein, das sicher nicht. Maschinen machen uns den Alltag in vielerlei Hinsicht leichter. Im Geschäftsalltag heißt das: Bevor sie selbst aus dem Bauch heraus entscheiden, ist es besser, eine fundierte Entscheidungsgrundlage als Basis zu haben. Natürlich steckt nicht alles in den modernen Systemen, aber vieles. Welche Artikel in welcher Menge entsprechend der Nachfrage nachbestellt werden sollen, ist ein Fall für KI. Aber welche Artikel überhaupt ins Sortiment kommen, das zu entscheiden bleibt weiterhin die Sache von Menschen.
Bei ihren Beispielen bleibt die Maschine dezent im Hintergrund. Wann tritt sie in den Vordergrund? Es gibt doch heute schon Geschäfte und Hotels, die Roboter einsetzen, um Menschen zu beraten.
In diesem Geschäftsfeld sind wir nicht aktiv. Bei uns geht es darum, moderne mathematische Methoden aufsetzen, die mit Computern verbunden werden, mit dem Ziel bessere Prognosen in der operativen Entscheidungsfindung zu treffen. Da ist viel Statistik impliziert. Ein Beispiel ist auch das japanische Brettspiel Go: Dort hat Googles KI-Software AlphaGo den Go-Profi Lee Sedol besiegt. Auf diesem Gebiet wird noch viel auf uns zukommen. Der Mensch hat bisher gedacht, dass er in vielen Bereichen KI überlegen ist. Insgesamt wird unser Leben über KI meiner Meinung nach verbessert, nicht verschlechtert. Science-Fiction-Szenarien, bei denen Programme ein Bewusstsein entwickeln und gegen den Menschen vorgehen, sind völliger Unfug. Ein Roboter mag zwar menschenähnlich aussehen, ist letztlich aber weiterhin eine Maschine.