W&V Marketing Convention 2016:
Tanja Bogumil: Wie Industrie 4.0 das Marketing verändert
Beim Berliner Startup Kisura hilft Maschinen-Intelligenz den Stylisten dabei, ihre Kunden besser zu beraten. Welche Technologien das junge Online-Styling-Portal dazu heranzieht und wie es damit das traditionalle Einkaufserlebnis digitalisiert, darüber spricht Co-Gründerin Tanja Bogumil auf der W&V Marketing Convention. Im Interview mit W&V gibt sie erste Einblicke.
Mensch oder Maschine - wer hat den Lead im Marketing? Bei der W&V Marketing Convention geht es um darum wie intelligente Systeme die Arbeit erleichtern. Aber ob das der Kunde und der Marketer überhaupt will? Das diskutiert W&V gibt einen Vorgeschmack über Interivews mit ausgewählten Referenten der Konferenz, die am 7. Juni in München stattfindet. Für Tanja Bogumil, Co-Gründerin von Kisura, ist die Interaktion zwischen Mensch und Maschine das "neue Normal".
Frau Bogumil, auf der W&V Marketing Convention sprechen wir am 7. Juni darüber, wie die Industrie 4.0 mit ihren superintelligenten Systemen die Unternehmensorganisation und das Marketing verändern wird. Was glauben Sie?
Dadurch dass der Kunde in den Mittelpunkt rückt, wird auch seine Erwartungshaltung verändert: Individuell zugeschnittene Produkte werden als neue Selbstverständlichkeit gesehen. Gleiches gilt für die Kommunikation, auch hier werden die Strategien noch stärker um die Bedürfnisse des Kunden kreiert. Storytelling und die adäquate Verknüpfung von Content und Commerce werden zum Schlüsselfaktor für Erfolg, über die integrierte Contentstrategie wird dem Kunden ein emotionales Marken- und Einkaufserlebnis geboten. Dies macht die Verknüpfung aller Kommunikationsbereiche nötig - sowei einen Paradigmenwechsel: Inhalte sind auf das Informationsbedürfnis des Kunden auszurichten, nicht auf die primären Kommunikationsziele des Unternehmens. Die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen des Unternehmens wird in neuen Formen organisiert und löst die klassische Kanaldenkweise in Offline und Online-Silos ab, hin zu einem ganzheitlichen Omnichannel Ansatz.
Ist eine Kommunikation Maschine-Mensch überhaupt wünschenswert oder ertragbar für den Menschen?
Fortschritt bedeutet immer Veränderung und der Mensch ist bekanntlich ein Gewohnheitstier. Ich bin davon überzeugt, dass die Interaktion zwischen Mensch und Maschine das „neue Normal“ sein wird. Für den Kunden müssen seine Vorteile durch diese technologischen Weiterentwicklung klar ersichtlich sein, dann wird er sie auch schnell akzeptieren. Daher ist es für Unternehmen obligatorisch, den zugewonnenen Nutzen für den Kunden in den Vordergrund zu stellen. Aus meiner Sicht sind Smartphone Assistenzsysteme wie Siri, Ok, Google und Amazons Alexa gute Anfänge, die zeigen, wie Menschen mit Maschinen im Alltag kommunizieren und welche Hilfestellungen und Services die technischen Innovationen leisten können.
Wie integrieren Sie Maschinen-Intelligenz bei Kisura?
Bei uns hilft Maschinen-Intelligenz dem Menschen, einen besseren Job zu machen. Curated Shopping skaliert über Technologie, nicht über die Größe des Verkaufsteams. Vor diesem Hintergrund haben wir von Anfang an Wert auf eine stabile technologische Basis gelegt. In den vergangenen drei Jahren haben wir mit finanzieller Unterstützung der EU und des Landes Berlin zwei Innovationsprojekte umgesetzt. Unser intelligentes Produktsystem verknüpft Kunden- und Produkt auf neuartige Weise und generiert Produktempfehlungen für unsere Stylisten. Jedes Produkt wird mit der Wahrscheinlichkeit, dass die Kundin es behalten wird, versehen. Unser System ist selbstlernend, das bedeutet, dass es dank stetig einfließendem und automatisch verarbeitetem Feedback über die Zeit immer besser wird. Die Herausforderung besteht darin, Maschinen-Intelligenz so einzusetzen, dass tatsächlicher Mehrwert für den Endnutzer geschaffen wird. Die modische Expertise unserer Stylisten ist für den Erfolg unseres Services unverzichtbar, doch dank systemseitiger Unterstützung können sie sich voll und ganz auf den kreativen Teil ihrer Arbeit konzentrieren. Die finale Entscheidung über die Auswahl und Kombination eines Outfits liegt letztlich immer beim Menschen.
Können Sie als junges Startup leichter auf Robotics zurückgreifen als es etwa ältere Unternehmen vermögen?
Unser Kerngeschäft ist die Digitalisierung des traditionellen Einkaufserlebnisses mit persönlichem Service und individueller Beratung. Startups sind ständig mit Ressourcenmangel konfrontiert – es fehlt meistens an Geld, Zeit und Personal. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und uns von Anfang an auf technologische Innovation fokussiert. Alle Prozesse wurden entsprechend ab Tag Null darauf ausgerichtet. In Startups sind die Strukturen flexibel und dynamisch und lassen sie so wesentlich leichter den benötigten Umständen anpassen, als dies bei etablierten Unternehmen mit altbewährten Gefügen der Fall ist. Damit die Symbiose aus menschlicher Expertise und technologischer Innovation sowie der Integration von künstlicher Intelligenz gelingt, ist das vollständige Engagement aller Mitarbeiter gefragt. Hier ist es inbesondere an der Geschäftsführung, mit gutem Beispiel voranzugehen und das Team zu motivieren und inspirieren. Unser Team besteht aus jungen Digital Natives, langwierige Lern- und Einführungsprozesse fallen da weg.
Welche neuen Jobs entstehen - allgemein und auch in Bezug aufs Marketing - wenn Maschinen übernehmen?
Grundsätzlich entstehen neue Jobs rund um die Herstellung, Programmierung und Wartung von Maschinen. Trotz zunehmender Einbindung von Prinzipien künstlicher Intelligenz und selbstlernender Systeme werden aber auch in Zukunft immer Bereiche bestehen bleiben, die menschliche Fähigkeiten erfordern. Marketing in der digitalen Welt wird zunehmend integriert. Gefragt ist ein balancierter und integrierter Marketingmix statt Denken in Offline- und Online-Silos.
Wie verändert sich das Handwerk des Kreativen?
Die Wertschöpfung verlagert sich ingesamt, da die Aussteuerung automatisiert wird. Kreative müssen mehr Kreativität denn je hervorbringen, denn der Ansatz „one fits all“ wird zukünftig noch weniger funktionieren. Jede Zielgruppe will zukünftig noch individueller angesprochen und überrascht werden. Der neue Omnichannel-Kunde will überall angesprochen werden – er unterscheidet nicht in Kanälen sondern erwartet ein, über die einzelnen Kanäle einheitliches, Markenbild und Zugänge zum Produkt..Neue (digitale) Kanäle mit verschiedenen, sich stetig weiter entwickelnden, Formaten erfordern noch mehr Flexibilität auf Seite der Marketing Verantwortlichen. Es gilt, das Onlineverhalten der Kunden zu verstehen und in passende Werbeformate umzusetzen. Neben der Kreation wird daher auch die Analyse eine zentrale Rolle spielen. Anders als klassische Marketingkanäle, lässt sich die Performanz von digitalen Kanälen sehr genau messen. So ermöglicht konstant messbares Kundenfeedback, etwa durch die Interaktion mit dem Kundenservice, die sofortige Anpassung von Werbemitteln, was die bisherigen Zyklen in der Kampagnenproduktion signifikant verkürzt.