W&V Marketing Convention:
Michael Nast: Warum uns Social Media beziehungsunfähig macht
Selbst wenn es um ihre Liebesbeziehungen geht, handeln Menschen als Ich-bezogene Konsumenten. Michael Nast, Autor des Bestsellers "Generation Beziehungsunfähig" und Keynote-Speaker bei der Marketing Convention, erklärt im W&V-Interview, warum das so ist.
Selfie hier, Selfie da: Die Millennials, so sagt Michael Nast, sei eine Generation von Selbstdarstellern. Mit Plattformen wie Twitter, Instagram, Whatsapp und Snapchat will jeder zur eigenen Marken avancieren. Und so gestalten sich laut Nast auch zwischenmenschliche Beziehungen: "Es ist eine Kommunikation aus der Distanz, eine Unverbindlichkeit, in der wir uns gerade einrichten." Auf der W&V Marketing Convention am 7. Juni 2016 in München spricht der Bestseller-Autor zum Thema "Menschliche Beziehungen in Digital Times: Wie Maschinen unsere Liebesfähigkeit verändern".
Herr Nast, Ihr Buch "Generation Beziehungsunfähig" hat eingeschlagen wie eine Bombe: Sie labeln darin die Snapchat-Generation mit dem Attribut "beziehungsunfähig". Warum ist denn die Digitalisierung daran Schuld?
Es liegt ja nicht ausschließlich an der Digitalisierung, sie ist nur eine Komponente, die das eigentliche Problem unterstützt, und zwar dass wir die Prinzipien unserer Bedarfsweckungsgesellschaft auf das Zwischenmenschliche übertragen. Wir handeln also auch in dem Bereich als Konsumenten, und zwar als extrem Ich-bezogene Konsumenten. Beispielsweise ist ja die Zeit, die wir am Display unseres Handys verbringen oder darüber mit anderen kommunizieren, letztlich Zeit, die wir mit uns selbst verbringen. Es ist eine Kommunikation aus der Distanz, eine Unverbindlichkeit, in der wir uns gerade einrichten. Wir sind gerade dabei, uns an die Technologie anzupassen, ein gesundes Maß zu finden, mit dem wir diese ja sehr wertvollen Werkzeuge nutzen.
Welche Technologien machen Sie dafür insbesondere verantwortlich?
Vor allem Kommunikationstechnologien, die gerade dabei sind, Begegnungen im wahren Leben abzulösen. Mehr als zwei Dritteln der Teenager ist ein WhatsApp-Chat lieber als ein persönliches Gespräch. Wenn es schon soweit ist, läuft da gerade etwas vollkommen schief. Heutzutage werden schon Beziehungen in einem Chat beendet, aus einer Distanz.
Helfen die Technologien uns aber nicht auch dabei, den Traumpartner zu finden, den wir im abgelegenen "Hintertupfing" sonst niemals gefunden hätten?
Natürlich, wie gesagt, es sind wertvolle Werkzeuge, viele können diese Werkzeuge aber noch nicht benutzen. Kürzlich hat mir ein Mann erzählt, dass er wochenlang mit einer Frau gechattet hat, bevor sie sich getroffen haben. Sie hatten in diesen Chats schon so eine Vertrautheit entwickelt, dass er davon ausging, sie würden nach ihrem ersten Treffen zusammen sein. Als sie sich dann trafen, saßen sich zwei Fremde gegenüber, das hat er nicht verstanden.
Es passiert also, dass wir uns virtuell näher kommen als im echten Leben: Werden wir uns bald in ein Betriebssystem verlieben, wie im Film "Her"?
Haben wir das nicht schon? Wir verbringen doch mehr Zeit mit unseren Handys als mit anderen Menschen. Man muss sich auch klar machen, was das in "Her" eigentlich für eine Liebe ist. Es ist die absolute narzisstische Liebe, die er empfindet. Das Betriebssystem ist perfekt auf ihn zugeschnitten. Er ist bestätigt ihn pausenlos. Er blickt mit jedem Gespräch in einen wohlwollenden Spiegel. Es gibt keine Reibung. Letztlich liebt er sich damit nur selbst.
Wie können wir Menschen dagegen steuern, um wieder liebes- bzw. beziehungsfähig zu werden?
Es geht letztlich um Begegnungen, darum, dass richtige Maß zu finden. Technologien sind ein Bestandteil, sie sollten nicht alles einnehmen. Wir wissen das, aber wir müssen es auch verinnerlichen. Man wird sich nicht an den WhatsApp-Chat vor einigen Jahren erinnern, sondern an die Begegnung im wahren Leben.