Gastbeitrag:
Nachhaltigkeit: Warum der Retail jetzt handeln muss
Der Point of Sale als wichtiger Kunden-Touchpoint muss genauso nachhaltig gestaltet sein wie die Produkte, die dort verkauft werden. Was dafür wichtig ist, weiß Torsten Dietz, Managing Director Global Point of Sale Campaigns bei Liganova.
Für die allermeisten Unternehmen ist Nachhaltigkeit und die Berichterstattung darüber das zentrale Thema des nächsten Jahrzehnts: Eine KPMG-Umfrage von 2020 zeigt, dass mehr als 96 Prozent der 250 größten Unternehmen der Welt über ihre Nachhaltigkeitsbemühungen berichten und drei von vier sich strategische Ziele zur Verringerung ihrer Kohlenstoffemissionen gesetzt haben.
Das Bewusstsein ist also großflächig vorhanden, nur der Handel hinkt hinterher: Nur etwa eine von zehn Marken erwähnt Retail Marketing in ihren CSR-Berichten. Woran liegt das? Aufgrund der Wesentlichkeitsanalyse, die die Bereiche Umfeldanalyse, Unternehmensanalyse sowie die Analyse der Stakeholder-Erwartungen umfasst, wird der Fokus auf die aktuell größten Hebel gesetzt: Die meisten Unternehmen konzentrieren sich darauf, den Fußabdruck ihrer Produktionsprozesse und Produkte zu verbessern. Sobald dies jedoch erreicht ist, wird sich die Wahrnehmung auf alle anderen Geschäftsbereiche verlagern, da der relative Anteil durch die bisherigen Optimierungen im Verhältnis ansteigt.
Für den Bereich Retail sagen die Experten der DEKRA eine große Nachhaltigkeitsbewegung in den kommenden fünf Jahren voraus. So werden das Lieferkettengesetz, die EU-Taxonomie im Investitionsbereich, Endkonsumenten-Awareness und weitere verschärfende Reformen Druck auf den Handel ausüben.
Wer also schon jetzt beginnt, nachhaltige Touchpoints zu schaffen, wird zukünftig begünstigt oder sogar belohnt. Mit den folgenden Punkten möchte ich aufzeigen, mit welchen Handlungsansätzen Handelsunternehmen ganz konkret zu nachhaltigeren Lösungen finden:
Ganzheitlich denken
Der aktuelle Fokus bei Nachhaltigkeitsbestrebungen liegt meist stark auf dem eigenen Produkt. Einem wesentlichen Aspekt wird meist noch zu wenig Beachtung geschenkt: Die letzte Meile zum Kunden am Point of Sale. Nachhaltigkeit sollte aber in der gesamten Customer Journey mitberücksichtigt sein und darf nicht beim Produkt aufhören.
Der Point of Sale als wichtiger Kunden-Touchpoint muss dabei genauso nachhaltig gestaltet sein wie die Produkte, die dort verkauft werden. Aus Sicht der Kommunikation und insbesondere auch der Authentizität ist das enorm wichtig: Welcher Kunde möchte schon gerne eine nachhaltige Kollektion kaufen in einem Store, der aus single-use oder nicht recyclebaren Materialien besteht?
Unbearbeitete und wiederverwertbare Materialien sind nicht zwangsläufig teurer, schaffen aber schnelle und signifikante Erfolge: unserer Erfahrung nach durchschnittlich über 60 Prozent CO2-Einsparung. Ein enormer Hebel! Der Kern dafür ist eine Materialdatenbank, denn auch im Kontext Nachhaltigkeit ist Wissen Macht. Materialien alleine reichen jedoch nicht aus, sondern es sind grundsätzlich neue Herangehensweisen über alle Teile des Kreislaufs und den zugehörigen Schritten wie Design, Produktion, Roll-out & End-of-Life notwendig.
Am Ende ist ein ganzheitlich nachhaltiger Prozess notwendig und eine nachhaltig und konsequent umgesetzte Customer Journey am Point of Sale basierend auf den Entscheidungskriterien "reduce, reuse, recycle" muss zum Standard werden. Auch das führt am Ende zu einer positiven Wahrnehmung bei zunehmend kritischen Verbrauchern.
Die eigenen Zahlen kennen
Auch wenn es um Nachhaltigkeitsziele geht, sind Transparenz und Information der Schlüssel zum Erfolg. Dabei ist es wichtig, alle Teile des CO2-Fußabdrucks transparent zu machen und laufend zu optimieren. Wie lassen sich Nachhaltigkeitsleistungen quantifizieren und wie kann man überhaupt nachhaltigere Lösungen identifizieren? Diese beiden Punkte zählen jedoch in Organisationen noch zu den größten Hürden bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitspraktiken, wie eine Umfrage unter Geschäftsführern und leitenden Angestellten zeigt.
Doch nur wer transparent wird, kann auch wirklich fundierte Entscheidungen treffen. Aus Unternehmenssicht bedeutet das: Messen, messen und wieder messen. Transparenz muss in der gesamten Wertschöpfungskette gewährleistet sein. Dazu sollten Retailer diese hinterfragen und optimieren, um so ihren CO2-Fußabdruck verbessern zu können. Auch am Point of Sale muss das Ziel heißen, bei allen Marketing Aktivierungen den CO2 Footprint (Lifecycle Assessment der Aktivierung) zu berechnen, um diesen weitestgehend zu optimieren. Über die Kompensation der Wertschöpfung kann schließlich CO2 ausgeglichen werden. Wichtig bleibt: erst die Optimierung dann die Kompensation. Marken, die diese Reihenfolge missachten, rutschen schnell (kommunikativ) ins Green Washing.
W&V Green Marketing Day
Sie wollen Ihre Marke nachhaltiger aufstellen und dies auch kommunizieren? Erleben Sie Keynote-Speaker Nico Rosberg, Nu-Company-Gründer Christian Fenner und zahlreiche andere Expert:innen beim W&V Green Marketing Day am 27. und 28. Oktober 2021. Melden Sie sich für das hochkarätige Event gleich an Tickets gibt's hier >>
Strategische Partnerschaften eingehen
Fast 80 Prozent der Befragten eines Retail & Consumer Sustainability Survey Reports sind der Meinung, dass für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien externe Zusammenarbeit entscheidend ist. Dabei sind insbesondere strategische Partnerschaften mit Dienstleistern entlang der Wertschöpfungskette (zukünftig -kreislauf) für Marken essenziell, um gemeinsam Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Wer alleine startet, wird schnell an seine Grenzen stoßen, deshalb sollten zum Beispiel auch Wettbewerber kollaborieren. Denn die Retail-Branche braucht Standards und gemeinsame Lösungen.
Um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen, läuft uns allmählich die Zeit davon, wir müssen daher jetzt die Weichen für die Zukunft stellen. Der Einzelhandel muss sich schon seit langer Zeit erneuern. Covid war der Brandbeschleuniger für das Massensterben alter und ausgedienter Konzepte. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um das Thema Nachhaltigkeit im Retail mitzuberücksichtigen.
Zum Autor: Torsten Dietz ist Managing Director bei Liganova. Die Agentur hat sich auf den Bereich Brand- & Retail-Experiences im phygitalen Raum spezialisiert. Dietz verantwortet den Bereich Global POS Campaigns. Mit über zehn Jahren Erfahrung im internationalen Handelsmarketing und einem guten Gespür für die sich verändernde Retail-Landschaft konzentriert er sich auf die Entwicklung von nachhaltigen und digitalen Konzepten für den Point-of-Sale internationaler Marken.