Konsumentenverhalten:
Die alte Normalität kehrt nicht zurück – gut so!
Die Pandemie wird dauerhafte Spuren im Handel hinterlassen. Umso wichtiger für Unternehmen, Nachhaltigkeit und Zweckmässigkeit in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen, sagt unsere Gastautorin.
Covid-19 wird im Einzelhandel bleibende Spuren hinterlassen. Momentan überwiegen noch die kurzfristigen Sorgen angesichts geschlossener Läden und gesunkener Frequenzen in den Innenstädten. Doch auch mittel- und langfristig könnten dem globalen Einzelhandel (ohne E-Commerce) durch das veränderte Konsumentenverhalten nach Schätzungen von Accenture jährlich bis zu 874 Mrd. Dollar Umsatz verlorengehen. Nur ein Teil davon wird in den Bereich E-Commerce abwandern.
Die Erwartung, dass nach dem Ende der Krise die gewohnte Normalität zurückkehrt, dürfte enttäuscht werden. Das Konsumentenverhalten, also wie Menschen leben, arbeiten, ihre Freizeit verbringen und konsumieren, hat sich durch die Pandemie bereits dauerhaft verändert und wird sich auch weiterhin verändern. Das Zuhause bleibt, so zeigen Konsumentenbefragungen, auch künftig der Fokus von Leben, Arbeit und Freizeit, selbst nach dem Ende der Einschränkungen. Das Unbehagen gegenüber öffentlichen Räumen wird anhalten.
Viele Haushalte geben in Zeiten des Lockdowns weniger Geld aus, andere weichen auf günstigere Marken aus oder beschränken sich auf die notwendigsten Einkäufe. In vielen Fällen haben die Verbraucher die Pause vom gewohnten Alltag genutzt, um über ihren eigenen Konsum nachzudenken. Vielen ist klar geworden, worauf sie leichter verzichten können und wie sie bewusster und nachhaltiger konsumieren wollen. Das hat Trends beschleunigt, die sich auch schon vor der aktuellen Krise abgezeichnet haben, durch diese aber noch beschleunigt wurde: Verbraucher kaufen bewusster ein, wobei die Nachfrage nach lokalen, nachhaltigen und hochwertigen Marken steigt. Zudem wird sich der drastische Zuwachs im E-Commerce durch neue Nutzer im Zuge der Digitalisierung voraussichtlich fortsetzen.
Darüber hinaus zeigen sich im Handel die Auswirkungen einer geschrumpften Wirtschaft und der damit verbundenen Einkommensverluste. Die drastisch gestiegene Sparquote wird angesichts hoher Unsicherheit für längere Zeit anhalten, was zu verringertem Konsum führen und damit auch den Handel treffen wird. Wie sich der verstärkte Trend zum Homeoffice auf das Ausgabeverhalten auswirken wird, ist noch nicht abzusehen.
Homeoffice: gekommen, um zu bleiben
Das große Work-from-Home-Experiment des Jahres 2020 hat viele Arbeitnehmer mit dem Homeoffice vertraut gemacht. Im vergangenen Sommer erklärten 86 Prozent der für eine Accenture-Studie befragten Verbraucher, auch weiterhin oder häufiger als zuvor von zu Hause aus arbeiten zu wollen. Der häusliche Arbeitsplatz bleibt nicht nur auf Dauer, er wird auch dafür eingerichtet und aufgewertet. Entsprechend steigt der Platzbedarf. Der Wunsch nach einem zusätzlichen Arbeitszimmer wird stärker.
Wer nicht mehr täglich ins Büro fahren muss, kann weiter ausserhalb wohnen, wo mehr Wohnfläche zu (noch) günstigeren Preisen lockt. Je seltener hingegen der persönliche, feste Schreibtisch im Büro genutzt wird, desto eher gehört er der Vergangenheit an. Büroflächen werden künftig eher für persönliche Treffen, Besprechungen und Workshops oder für die konzentrierte Einzelarbeit genutzt und entsprechend umgestaltet.
Schon in der ersten Phase der Pandemie war zu sehen, dass Handelsunternehmen mit hohem digitalen Reifegrad relativ unbeschadet durch die Krise kommen oder sogar zulegen können. Je weniger Unternehmen auf physische Präsenzen angewiesen sind, desto besser geht es ihnen in der aktuellen Krise und vermutlich auch darüber hinaus. Was immer virtuell besorgt werden kann, wird es auch. Aber nicht alles. Denn der zweite entscheidende Faktor ist das positive Erlebnis des Konsumenten. Wenn der digitale Reifegrad hoch und das Konsumerlebnis herausragend ist, ist ein Unternehmen auf dem besten Weg zu florieren. Wenn der digitale Reifegrad jedoch niedrig ist und/oder das Konsumerlebnis schlecht ist, sollten Sie mit dem Erlebnis beginnen und sich rückwärts zur Technologie vorarbeiten. Denn ein schlechtes Konsumerlebnis zu digitalisieren bringt Unternehmen kein Stück voran.
Ein dauerhafter Rückgang der Konsumausgaben könnte erhebliche Welleneffekte in der globalen Einzelhandelsbranche auslösen, die für einen wirtschaftlichen Wertbeitrag von etwa 6 Billionen US-Dollar verantwortlich ist. Bei einem anhaltenden Nachfragerückgang könnte es zu schädlichen Sekundäreffekten in Bereichen wie der Lagerhaltung, dem Grosshandel und zahlreichen anderen mit dem Einzelhandel verbundenen Branchen kommen. Es gibt jedoch auch einige positive Aspekte – einige frühe Anzeichen spiegeln mögliche Verbesserungen für bestimmte Bereiche des Einzelhandels wider. In Deutschland trugen die privaten Konsumausgaben, neben den Exporten, entscheidend zur wirtschaftlichen Erholung bei, die im Herbst zu sehen war. Dies zeigt, wie wichtig es für Unternehmen ist, sich schnell genug anzupassen, was den digitalen Reifegrad, die Agilität der Belegschaft und die Kosten betrifft.
Die Rezession wird vorübergehen, und die Verbraucher werden wieder mehr ausgeben. Längerfristig ist es für Unternehmen jedoch entscheidend, die sich verändernden Faktoren zu erkennen, die zunehmend die Kaufentscheidungen der Verbraucher beeinflussen. Vor der Pandemie sahen wir eine wachsende Nachfrage nach nachhaltigen und ethischen Produkten. Während der Krise hat sich in bestimmten Kategorien der Fokus auf Marken mit Purpose fortgesetzt – sprich auf solche mit klaren Werten, Haltung, authentischer Transparenz und einem übergeordneter Unternehmenszweck.
Verantwortungsbewusster Konsum wird auch nach der Krise ein langfristiger Trend und ein wichtiger Einflussfaktor für den zukünftigen Erfolg bleiben. Unternehmen, die Nachhaltigkeit und den Kunden in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen, werden sich gut positionieren, um Marktanteile zu gewinnen und langfristig zu wachsen.