Marketing:
Steht uns das Ende des Purpose bevor?
"Purpose-getriebene Unternehmen sind erfolgreicher" hieß und heißt es nach wie vor. Frank Albrecht, Director Strategy & Insight bei Bloom, sieht das anders. Seine Rechnung: Je vollmundiger das Versprechen, desto größer die Fallhöhe.
Seit langem ist der „Purpose“ nicht mehr aus den Top-Marketingthemen wegzudenken. Ohne den „positiven Beitrag zur Gesellschaft“ darf heutzutage keine Marke, die etwas auf sich hält, mehr antreten. „Purpose-getriebene Unternehmen sind erfolgreicher“ hieß und heißt es wortwörtlich in einigen Artikeln. Auch und gerade fürs Employer Branding dient der Purpose wie eine Art „Geheimwaffe“. Fast scheint es, als brauche die Gen Z den Purpose wie die Luft zum Atmen.
Ergebnis dieser Einsichten ist etwas scheinbar Wunderbares: Die Unternehmen dieser Welt machten sich allesamt auf, diese zu retten. Und weil es so schön naheliegend ist, verknetet man alles gleich mit dem Thema Nachhaltigkeit.
Gegen die Wand gefahren
Neueste Zahlen holen uns alle zurück auf den Boden der Tatsachen: Alle machen Purpose, aber das Vertrauen in die Marken sinkt trotzdem. Deutlich sagt es der aktuelle Meaningful Brands Global Report 2023 von Havas: Ganze 72 Prozent der Menschen sind es leid, dass Marken so tun, als wollten sie der Gesellschaft helfen, obwohl sie nur Geld verdienen wollen. Die Wunschlage der Konsumenten hat sich derweil gar nicht geändert: Ebenfalls 72 Prozent der Teilnehmer an Meaningful Brands sagen, dass „kollektive Gerechtigkeit“ – sprich gut für den Planeten und die Gesellschaft zu sein – wichtig ist.
Auch in der Auswertung des Purpose Readiness Index der Kölner Managementberater von Globeone von 2022 gelingt es nur einem von zehn deutschen Großunternehmen, voll und ganz mit einem glaubwürdigen Sinn zu überzeugen. Den meisten Unternehmen fehlt schlichtweg die kulturelle Basis, um überhaupt glaubwürdig zu sein. Und genau hier liegt das Grundproblem: Ein Purpose hat im Ursprung nur mittelbar mit CSR & Nachhaltigkeit zu tun. Vielmehr beschreibt er die Antriebsfeder eines gesamten Unternehmens. Welchem Motiv folgt es? Für was steht es ein?
Fragen, die auf jeder Ebene, in jeder Faser eines Unternehmens beantwortet werden müssen. Es geht in erster Linie nicht um Marketing, sondern um einen gemeinsamen Geist, eine Haltung. Ein „Purpose“ setzt also an den Wurzeln eines Unternehmens an, egal, woher es kommt. Entsprechend werden Unternehmen nie erfolgreich sein, weil sie sich einen zeitgemäßen „Purpose“ verpassen, sondern nur, weil sie schon einen haben, nach dem sie dann auch handeln. Wer glaubt, den Verbraucher mit ein paar schönen Headlines und Bildern an der Nase herumführen zu können, hat es sich schlicht und ergreifend zu leicht gemacht.
Da machen die Studienergebnisse der Purpose Studie von Kienbaum und Human Unlimited schön den Deckel drauf. Denn 60 Prozent der Befragten Mitarbeiter konnten den Purpose des eigenen Unternehmens nicht aus dem Stegreif benennen. Hier wünscht man viel Spaß bei der Umsetzung!
Ein Spiegelbild gebrochener Versprechen
Aber zurück zur Marketingsicht: Markenvertrauen aufzubauen, ist der heilige Gral der Markenführung. Loyale Kunden bekommt man nur über Konsistenz und Verlässlichkeit. Die Grundlage lautet nach wie vor: Wofür stehst du als Unternehmen? Was versprichst du? Aus dieser Perspektive ist ein allzu leicht dahingesagter „Purpose“ dann auch nichts weiter als ein gebrochenes Versprechen. Und damit sinkt das Vertrauen.
Grundkurs Marketing Teil 1: Wer nur schöne Worte und Bilder malt, wird entlarvt! Umso schlimmer, wenn man sich mit hochsensiblen Themen Sympathiepunkte erschleichen will.
Das Markenvertrauen hat generell schon einen schweren Stand: Ganze 71 Prozent der für den Havas-Report befragten 395.000 Verbraucher haben nur wenig Vertrauen, dass Marken ihre Versprechen einhalten. Nur 47 Prozent der Marken werden noch als vertrauenswürdig eingestuft. Zieht man in Betracht, dass sich die meisten Marken heutzutage mit einem Purpose schmücken, ist diese Zahl alarmierend. Noch bedenklicher ist diese Zahl: 75 Prozent aller Marken könnten über Nacht verschwinden und den meisten Menschen wäre das vollkommen egal, weil sie problemlos Ersatz dafür finden könnten.
Natürlich liegt das Problem nicht beim Purpose allein. Besorgniserregend ist, dass parallel dazu immer häufiger der Grundnutzen der Marke verweigert wird: Leistung und Qualität hinken den Erwartungen oft meilenweit hinterher (der sog. „Experience-Gap“) und sinken oft parallel zur Nachhaltigkeit des Unternehmensanstrichs. Eines muss spätestens hier klar werden: Purpose ist im Marketing kein Selbstläufer. Ein aufgemalter Purpose bringt eine Marke nicht weiter. Vor allem kompensiert er auch nichts. Im Gegensatz zu seiner kulturellen Tragfähigkeit wird Purpose im Marketing nur bei Waffengleichheit zu einem entscheidenden Asset! Das bedeutet ganz konkret, dass der Purpose nur dann sticht, wenn die Marke ihre volle Leistung abliefert. Vertrauen kommt durch Handlung, nicht durch Worte.
Das Problem der Entkopplung
Die Gesamtrechnung ist dabei klar: Je vollmundiger das Versprechen, desto größer die Fallhöhe. Je weniger Substanz eine Leistung hat, desto schneller fällt man in Ungnade. Und der Purpose-Hype wird zum Boomerang. Das Problem: Die meisten Unternehmen wollen alle Marketingtrends mitnehmen, haben es aber noch nicht verstanden, zeitgemäße Kommunikations- und Informationsstrukturen aufzubauen. Kennt man eigentlich wirklich die Richtlinien des eigenen Handelns? Gibt es die überhaupt? Kommuniziert man sie im Unternehmen? Geht man offen mit den Aktivitäten des Unternehmens um? Informiert und schult man Mitarbeiter in strategischer Hinsicht? Das ist wohl eher selten der Fall. Dabei ist genau das der einzig richtige Ansatz, um von Purpose zu profitieren. Mit entkoppelten, uninformierten und unmündigen Mitarbeitern gelingt das nicht.
Was zu tun ist
Nun ist es ja nicht so, dass ein guter Purpose nichts bringt. Zahlreiche Marken zeigen, dass man mit ehrlichem und konsequentem Handeln sehr wohl einen Wettbewerbsvorteil herausarbeiten kann. Und das lohnt sich auch in Zahlen!
Die Frage ist: Wie kann man die Purpose-Power nutzen, ohne in die Purpose-Falle zu tappen? Hierbei können vier Schritte helfen. Eine kleine Reise von der Selbsterkenntnis zum Kundenfokus.
- Eine ehrliche Analyse:
Wer mit seinem Purpose hausieren gehen will, der muss erst einmal in sich hineinhorchen und klar analysieren, wer man ist, was das Unternehmen trägt und wie man sich in gesellschaftsrelevanten Fragen wirklich verhält. Im Zweifelsfall ist ein ehrliches kleines Statement viel mehr wert als ein geheucheltes Weltretten in großen Lettern.
- What’s in for … the client?
Aus Punkt 1 lässt sich in den meisten Fällen sehr klar ableiten, wo und wie man Mehrwert für den Kunden erreichen kann. Denn darum geht es im Kern ja immer. Wie kann man seine klassischen Markenversprechen aufwerten, klären, etc.?
- Transparenz
Die Kunden von heute sind kritischer und stellen mehr Fragen. Und das trifft sich gut! Denn der Purpose entfaltet seine Wirkung nur dann, wenn man nach ihm handelt. Wenn man ihn also fürs Marketing nutzen will, muss man die Türen weit öffnen und sein Handeln transparent machen! Je stringenter man nach seinen eigenen Richtlinien handelt, desto wirkungsvoller ist es.
- Guidance in Zeiten der Komplexität
Jetzt kommt der Teil, der Spaß macht: Wenn man seine Handlungen und den daraus resultierenden Mehrwert nahtlos aus dem Purpose erklären kann, dann kann man auch in die höchste Disziplin aufsteigen: Guidance für die Kunden da draußen. Denn die Welt ist komplex und Kunden suchen händeringend nach ehrlicher und zielsicherer Orientierung. Unterstützt eure Kunden aktiv dabei, gute Entscheidungen zu treffen. Sie werden es euch danken.
Der Autor: Frank Albrecht ist Director Strategy & Insight bei Bloom in München und berät die Kunden der Agentur in den Bereichen internationale Markenpositionierung und Kommunikationsentwicklung.